Hurra, die S-Bahn ist in der Nacht wieder da! Seit gestern sieht man sie wieder auf den Geleisen zur früher Stunde: Die Nachtzüge und -busse, die die fröhliche, heitere, tränenverschmierte oder delirisch-schlafenden Partyleute nach Hause bringen. Sie waren der Inbegriff für die Kombination von «Wochenende und Agglomeration»: Wer nicht in der Stadt wohnte, kam dank eines Fünfliibers auch nach Mitternacht heim.
Das war nicht immer so. Wir wissen schliesslich alle, wie es früher war: Es war trist. Es war alles langweilig. Und vor allem schwarz-weiss.
Nachtzüge fuhren damals keine. Wer frühmorgens vom Oxa oder dem Gaschessel nach Hause wollte, musste deshalb woanders nach Hause, sich ein teures Taxi holen oder weiterfeiern. Es gab zwar eine Alternative, die war aber oft keine wirkliche Lösung: Nachtbusse fuhren bereits in den 1990er-Jahren und brachten Nachtschwärmende von Zürich nach Bern, St.Gallen oder Luzern. Sie waren aber mit Zuschlägen von bis zu 30 Franken ziemlich teuer.
Das änderte sich 2002. Zürich erhielt ein Nachtnetz. Medien spuckten in den Kommentaren grosse Töne: «Zürich, das sich auch Downtown Switzerland nennt, hat sein Selbstverständnis als kleine Weltgrossstadt bekräftigt.» Die Jugend feierte die Einführung der «SN»-Züge im eiskalten Dezember 2002 ab. Chronisten berichteten damals von einem «Ansturm»: Die Perrons seien rappelvoll gewesen.
In den Berichten von damals fallen auch Zitate von Zeitzeugen: «Einfach geil!», wird eine Teenagerin vom «Tages-Anzeiger» zitiert – sie soll der Journalistin zufolge eine verwaschene Jeans und Wollmütze getragen haben. Auch eine ältere Frau kommt zu Wort. Auf die Frage, ob sie denn Bedenken während der nächtlichen Bahnfahrt habe, antwortet sie: «Gaat's no? – Das Nachtnetz ist ein Superangebot, schreiben Sie das.» Die Journalistin schrieb es.
Das Nachtnetz kam und mit dem Nachtnetz auch der Nachtzuschlag. Wer die S-Bahn an Wochenenden nach ein Uhr besteigen wollte, musste einen Fünfliiber am Automaten bezahlen. Dafür war ein besonderer Billett-Code notwendig. Touchscreens gab es nämlich keine: Wer den Zuschlag bezahlen wollte, musste «Stärnli 162» auf der Zahlentastatur tippen. Wobei «wollte» der falsche Begriff ist: Bezahlt werden musste er von allen, die nicht zufällig jugendliche Kundinnen oder Kunden der Zürcher Kantonalbank waren.
GA-Besitzerinnen und -Besitzer sahen darin eine Diskriminierung und stürmten gar in den Lesebriefspalten dagegen. Ein gewisser J. K. aus Götighofen TG stellte dort fest: «Wir treuen Bezahler eines Generalabonnements haben wirklich genug bezahlt.» Genützt hatte es nichts: Der Zuschlag musste bezahlt werden.
In der allerersten Nacht wurde das tatsächlich zum Problem: «Viele haben eben das Gefühl, es reiche, dass sie 2800 Franken für ihr GA bezahlt haben», wird ein Kontrolleur zur Tatsache zitiert, dass besonders viele GA-Kunden zuschlagsfrei unterwegs waren. Das fehlende Verständnis verschwand aber mit der Zeit und je frühlingshafter es im darauffolgenden Jahr 2003 wurde, desto mehr wurde den Verantwortlichen bei den Zürcher Verkehrsbetrieben (ZVV) klar: Mist, das Nachtnetz ist ein grosser Erfolg.
Im ersten Jahr fuhren nur vier Linien:
Der Ausbau kam aber prompt: Zunächst nur in der Region Zürich, dann aber auch in anderen Städten. Was den Erfolg noch verstärkte: Plötzlich wussten Jugendliche in allen Schweizer Tälern und Ortschaften, dass Züge auch in der Nacht verkehren können. Dort, wo sie eingeführt wurden, werden sie an warmen Sommer- und lustigen Winternächten gerne genutzt. Dort, wo sie fehlen, schaut man neidisch in die Grossstadt und fragt sich: Wann kriegt Hintertupfingen auch einen Nachtzug?
Letztes Jahr hätte dieses mittlerweile schweizweit angewachsene Nachtnetz den 18. Geburtstag feiern können. Die Pandemie machte dem Jubiläumsjahr einen Strich durch die Rechnung. Seit gestern fahren sie wieder: neuerdings zuschlagsfrei und hoffentlich weiterhin mit der Maske.
Wir bräuchten keine stündlichen Partyzüge, sondern einfach einen Fahrplan bis nach Mitternacht, gerade am Wochenende. Das Problem bei der RhB mit dem Nachtzug/-bus ist eher, dass die Bahnhöfe im Tal liegen. Niemand kommt dorthin, wo er oder sie sollte.
Ich schätze es sehr, in Zürich ins Kino oder Theater zu gehen und danach noch eins am Apero zu trinken. In Graubünden ist das ohne Auto nicht möglich. Nach der Vorstellung abseckla, damit es auf den letzten Zug noch reicht.