Dieser Gerichtsschreiber kann einem leidtun: 219 Seiten und 842 Erwägungen benötigte das Bundesverwaltungsgericht, um einen Entscheid zu fällen, der den Glasfaserausbau in der Schweiz nachhaltig beeinflussen wird. Die Swisscom hatte das Gericht angerufen, um vorsorgliche Massnahmen der Wettbewerbskommission (Weko) anzufechten.
Diese hatte der Swisscom Ende 2020 vorsorglich untersagt, ihr Glasfasernetz mit dem gewählten Modell auszubauen. Die Wettbewerbsbehörde sah die Gefahr des marktmissbräuchlichen Verhaltens. Diese Ansicht teilten nun auch die Richter in St. Gallen – und bestätigten die Weko-Massnahmen.
Die Swisscom reagierte konsterniert auf das am 5. Oktober versandte Urteil. «Der Netzausbau droht im schlimmsten Fall um Jahre verzögert zu werden». Das sei «zum Nachteil von Wirtschaft und Gesellschaft».
Der Glasfaserausbau und damit der Anschluss ans schnelle Internet für viele Menschen ausserhalb der grossen Städte stockt nun. Davon betroffen sind nicht nur Randregionen: Derzeit hat erst etwa jeder dritte Haushalt in der Schweiz Zugang zum Glasfasernetz der Swisscom. Alle Netze eingerechnet, beträgt der Anteil laut einer EU-Studie von 2020 etwa 40 Prozent – ein im europaweiten Vergleich tiefer Wert. Noch tiefer ist der Anteil der Glasfaser an allen Breitbandanschlüssen. Allerdings hat das auch mit dem hierzulande gut ausgebauten Kabelnetz zu tun.
Dieses Jahr wollte die Swisscom unter anderem auch grössere Orte mit Zehntausenden Einwohnern mit Glasfasern bis in die Haushalte und Geschäfte versorgen. Dies wird «Fibre To The Home» (FTTH) genannt – im Vergleich zu FTTS («Fibre To The Street»), das Glasfaserkabel nur bis in die Verteilschächte umfasst. Das geht aus der «Netzbaustrategie 2020» der Swisscom hervor, die im Urteil zitiert wird – und die nun nicht mehr wie geplant umgesetzt werden kann.
Vom Urteil betroffen sein dürften Hunderte Gemeinden in der ganzen Schweiz. Das Gericht hat in seinem Urteil stellvertretend dafür 20 Gemeinden genannt, die dieses Jahr hätten mit FTTH ausgebaut werden sollen und die ausserhalb von Randregionen liegen. Die Orte wurden geschwärzt. CH Media konnte sie dennoch identifizieren.
2021 wollte die Swisscom demnach unter anderem Aarau, Baden, Binningen, Liestal, Neuchâtel, Wettingen oder Wohlen mit Glasfaserkabeln erschliessen. In diesen Gemeinden können Swisscom-Kunden derzeit nur Internetgeschwindigkeiten von 500 Mbit/s nutzen. In Gemeinden mit Glasfaserkabeln sind die Geschwindigkeiten 20 Mal so hoch. In Zeiten von Homeoffice, Streaming und Online-Gaming werden hohe Geschwindigkeiten immer wichtiger und zum Standortvorteil.
Neben Gemeinden, deren Haushalte noch keinen Anschluss an die Swisscom-Faser haben, sollte das Netz 2021 auch in Lugano, Thun oder Schaffhausen weiter ausgebaut werden. Sie sind teilweise bereits erschlossen. Insgesamt nennt das Gericht 20 Orte, die auf der Ausbauagenda standen:
Nun herrscht Ratlosigkeit. In Binningen BL orientierte die Swisscom die Gemeindeverwaltung vor kurzem über einen bevorstehenden Ausbau, wie Dominique Ehrsam von der Verwaltung sagt. Der Einfluss des Urteils sei noch unklar. «Es wird aber wohl zu Verzögerungen kommen.»
Die Gemeinde Wohlen AG rechnet damit, von der Swisscom über allfällige Verzögerungen informiert zu werden. Das dürfte geschehen, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Die Auswirkungen seien noch nicht bekannt. Der Ausbau sei für die Wirtschaft und die Bevölkerung «sehr wichtig».
Die Gemeinde Thalwil ZH ist mit der Swisscom in Kontakt und prüft die Auswirkungen des Urteils. «Ein guter Ausbau des Glasfasernetzes ist wünschenswert und trägt zur Standortattraktivität bei», sagt eine Sprecherin. Im ebenfalls betroffenen Baden gibt es bereits ein flächendeckendes Glasfasernetz, das nicht der Swisscom gehört und von ihr nicht genutzt wird.
In Aarau wiederum ist nicht mit einem Ausbau zu rechnen. «Wir rechnen nicht damit, dass es in nächster Zeit eine grossflächige Erschliessung von Privathaushalten geben wird», sagt Jens Hübner, der Leiter Tiefbau der Stadt. Die Swisscom habe auf Anfrage im April mitgeteilt, dass der FTTS-Ausbau abgeschlossen sei. «Ein weiterer, grösserer Ausbau oder ein FTTH-Ausbau durch die Swisscom ist uns nicht bekannt.»
Doch warum stoppt ein Gericht den Glasfaser-Ausbau? Das Interesse an schnellen Internetverbindungen ist schliesslich unbestritten. Der Weg dahin allerdings nicht.
Bis 2025 will die Swisscom die Abdeckung von Geschäften und Wohnungen mit FTTH auf 60 Prozent verdoppeln. In der ersten, abgeschlossenen Ausbauetappe, in der vor allem die grossen Städte dran waren, setzte sie auf eine Methode namens «Point-To-Point» (P2P). Vereinfacht erklärt erhält damit jede Wohnung ihre eigene Glasfaserleitung bis zur Swisscom-Zentrale.
Für das nächste Drittel der Anschlüsse wollte die Swisscom auf die «Point-To-Multipoint-Methode» (P2MP) wechseln. Dabei teilen sich mehrere Anschlüsse eine Glasfaserleitung von der Zentrale bis zu einem sogenannten Splitter.
Damit sinkt die Kapazität und die Geschwindigkeit, welche einzelnen Kunden zur Verfügung gestellt werden kann. Dafür ist der Bau günstiger. Gegen diese Methode wehren sich Konkurrenten der Swisscom, allen voran die Winterthurer Telekom-Firma Init 7, welche im Verfahren den Status einer «beigeladenen Partei» hatte.
Konkurrenten, welche keine eigenen Glasfasernetze besitzen, müssen sich bei der Swisscom einmieten. Sie monieren: Mit der Art und Weise, wie die Swisscom die P2MP-Methode anwendet, sind sie abhängig von der Technologie und Angebotsprofilen, welche die Swisscom vorgibt. Er könne seinen eigenen Kunden nur noch zehnmal tiefere Internetgeschwindigkeiten anbieten und werde zum faktischen Wiederverkäufer der Swisscom, sagte Init-7-Chef Fredy Künzler zu SRF.
Er hatte die Swisscom 2020 bei der Weko angezeigt. Danach verbot diese der Swisscom, P2MP-Netze zu bauen, wenn sie der Konkurrenz keinen Layer-1-Zugang zur Verfügung stellt. Darunter wird eine eigene physische Leitung von der Zentrale zum Kunden verstanden, die frei wählbare Geschwindigkeiten und Preise ermöglicht. Gegen diese Verfügung wehrte sich die Swisscom nun erfolglos.
Sie kann auf einen detaillierten Fragenkatalog dieser Zeitung noch keine Stellung nehmen. Die Swisscom habe das Urteil erst letzte Woche erhalten, sagt Medienchef Sepp Huber. «Wir arbeiten es nun im Detail auf und prüfen die weiteren Schritte.»
Nein, diese Gemeinde müssen nun länger auf schnelles Internet warten, weil die Swisscom ihre marktbeherrschende Stellung ausbauen wollte und die Wettbewerbskommission sie daran zurecht hindert. Die Swisscom hätte von Anfang an mit P2P planen können, wollten sie aber nicht. Um die geringfügigen höheren Kosten ging es nie, dass ist meiner Meinung nach nur ein vorgeschobener Grund.
Man hätte die Infrastruktur ja auch von Anfang an gesetzeskonform ausbauen können statt nach irgendwelchen rechtswidrigen Monopolen zu gelüsten. Dann gäbe es auch keine Verzögerungen und viele weitere Haushalte hätten schon heute ordentliches FTTH.