Auslöser für den abrupten Abgang des eingefleischten Aarauers Reto Fischer ist dem Vernehmen nach ein umstrittener Artikel unter der Rubrik «Ratgeber». Diese Zeitungsseite wird den «Aarauer Nachrichten» und den anderen rund 20 Regionalzeitungen des Zehnder-Verlags jede Woche vom Mutterhaus im sankt-gallischen Wil fixfertig geliefert.
Unter dem Titel «Gauner bleibt Gauner – ist so!» haute der «Ratgeber»-Autor des Mutterhauses vor zwei Wochen eine Immigrantenfamilie fremdenfeindlich in die Pfanne. Reto Fischer war daran nicht beteiligt. Auf die in schlechtem Deutsch verfasste Frage einer ausländischen Mutter, warum ihr Sohn Enver weniger Sozialhilfe bekommt, antwortete der «Ratgeber» unter anderem:
«Enver mag vielleicht für dich Gottes Geschenk [...] sein, für die Schweizer Justiz ist er seit Jahren unablässige Ursache ständigen Ärgers. Nein, kein Grosskrimineller, dazu fehlt es an Esprit und Intellekt, eher der Typ erbarmungswürdiger Eierdieb. Dort ein Kioskeinbruch, da ein zum persönlichen Gebrauch entwendetes Fahrrad oder Töffli.»
Nachdem watson den Fall vergangene Woche publik gemacht hatte, brach ein Sturm der Entrüstung über die Ostschweizer Zehnder-Gruppe herein, denn deren Regionalzeitungen erreichen in der Schweiz rund 750 000 Leser. Kenner des Verlags behaupteten unabhängig voneinander, viele Fragen an den «Ratgeber» seien frei erfunden.
Die Zehnder Medien AG entschuldigte sich darauf für den Text, der «in dieser Form nicht hätte erscheinen sollen» und distanzierte sich ausdrücklich von jeglicher Form von Rassismus.
Der Verlag blieb jedoch gegenüber watson.ch den Beweis schuldig, dass der Brief der Ausländermutter an den «Ratgeber» tatsächlich echt ist.
Für den 45-jährigen Reto Fischer, der die «Aarauer Nachrichten» in den vergangenen drei Jahren mit viel Herzblut und fein gestricktem Beziehungsnetz von einer farblosen Wochenzeitung zum zunehmend beachteten Gratisblatt weiterentwickelte, brachte diese Entgleisung gemäss Recherchen der az ein bereits volles Fass zum Überlaufen. Es kam offenbar zum Konflikt.
Bereits früher – so pfeifen es die Spatzen von den Aarauer Dächern – sei es in anderen Bereichen zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Geschäftsleiter der Zehnder-Gruppe gekommen.
Die Zehnder Medien AG bestreitet dies. «Es gibt keinen Zusammenhang mit dem ‹Ratgeber›-Text», sagt Geschäftsführer Urs Billerbeck, der die Freistellung von Reto Fischer bestätigt. «Bei Kaderpositionen sei eine Freistellung üblich.» Weitere kommentierte Billerbeck den Abgang nicht.
Die Freistellung von Reto Fischer wurde bislang in den «Aarauer Nachrichten» nicht kommuniziert. Der Zehnder-Verlag hat jedoch bereits eine Nachfolgerin gefunden: Neu am Ruder ist die Luzernerin Bettina Siegwart. Die frühere Mitarbeiterin der People-Zeitschriften «Gala» und «Schweizer Illustrierten» wohnt seit einem Jahr in Aarau.
Reto Fischer selbst wollte auf Anfrage der az zur Angelegenheit öffentlich keine Stellung nehmen.