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Und das noch von einem Bundesrat! Eine klare Überschreitung der Grenzen der politischen Zuspitzung.
Der Frust bei den Befürwortern der Unternehmenssteuerreform USR III sitzt tief. Mit fast 60 Prozent Nein erlitten sie am Sonntag an der Urne eine böse Schlappe – obwohl selbst die Gegner einräumen, dass eine Reform des Steuersystems angesichts der ausländischen Drucks notwendig ist. Was ist schief gelaufen? Das Drama um die USR III, erzählt in fünf Akten:
In den 1990er Jahren leidet die Schweiz unter einer hartnäckigen Wirtschaftsflaute. Als «Gegenmittel» schlägt der damalige Finanzminister Kaspar Villiger (FDP) eine Reform der Unternehmensbesteuerung vor. Die Schweiz soll attraktiver für ausländische Firmen werden. Oder vielmehr noch attraktiver, denn sie gehört schon damals zu den steuergünstigsten Ländern, nicht zuletzt weil Kantone wie Zug seit Jahrzehnten vorgespurt hatten.
1998 tritt die USR I in Kraft. Kernstück ist die privilegierte Besteuerung von Gewinnen, die im Ausland erzielt werden. Die Kantone Genf und Waadt, die stärker als andere von der Krise betroffen waren, locken zahlreiche Firmen etwa aus der Rohstoffbranche an den Genfersee. Im Ausland allerdings stossen die helvetischen Steuer-Schlaumeiereien auf Widerstand.
2005 erklärt die Europäische Union in einem Brief nach Bern, die Sonderbehandlung für ausländische Unternehmen widerspreche dem Freihandelsabkommen von 1972. Einzelne EU-Länder preschen vor. Italien setzt die Schweiz auf eine schwarze Liste und beschert den Unternehmen einen zusätzlichen administrativen Aufwand. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris droht 2006 mit einer ähnlichen Massnahme.
Die Schweiz sieht widerwillig ein, dass sie ihr System ändern muss. Zuvor allerdings ist die Unternehmenssteuerreform II an der Reihe. Kaspar Villigers Nachfolger Hans-Rudolf Merz (FDP) will damit die kleinen und mittleren Unternehmen entlasten, unter anderem mit einer geringeren Besteuerung der Dividenden. Im Abstimmungskampf 2008 behauptet Merz, die Reform koste den Bund rund 80 Millionen Franken. Das Volk ist skeptisch und sagt mit 50,5 Prozent nur knapp Ja.
Das Misstrauen erweist sich als berechtigt, die Ausfälle sind weit grösser als prognostiziert. Genau beziffern lassen sie sich nicht. Es sollen mehrere hundert Millionen, wenn nicht Milliarden sein. Die SP scheitert Ende 2011 mit einer Abstimmungsbeschwerde vor Bundesgericht, doch in der öffentlichen Urteilsberatung in Lausanne fallen harte Worte. SP-Bundesrichter Niccolò Raselli spricht von einer «systematischen Irreführung» der Stimmbürger.
Hans-Rudolf Merz ist sich keiner Schuld bewusst, doch sein Prognose-Flop bleibt haften. SP-Doyen Helmut Hubacher bezeichnet den im Bundesrat permanent überforderten Ausserrhoder als «Märchenerzähler». Am 9. Februar 2017, nur drei Tage vor der Abstimmung über die USR III, rügt die Eidgenössische Finanzkontrolle den Bundesrat wegen seiner häufigen Fehlprognosen.
Am 14. Oktober 2014 unterzeichnen die neue Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) und die 28 EU-Finanzminister eine Absichtserklärung. Darin verpflichtet sich die Schweiz, die verpönten Steuerprivilegien bis zum 1. Januar 2019 abzuschaffen. Widmer-Schlumpf schlägt neue, international akzeptierte Massnahmen vor, darunter die zinsbereinigte Gewinnsteuer.
Zur Gegenfinanzierung möchte die Finanzministerin eine Kapitalgewinnsteuer einführen. Wegen der breiten Ablehnung in der Vernehmlassung lässt sie dieses Instrument fallen. An einer höheren Dividendenbesteuerung hält sie fest. Hinter den Kulissen sind die Arbeiten an der Unternehmenssteuerreform III in vollem Gang. Als Experten werden die Steuerspezialisten der grossen Beratungsfirmen hinzugezogen, insbesondere von KPMG und PWC.
Ihr Wunschszenario ist eine generelle Senkung der Unternehmenssteuern auf rund 13 Prozent, schreibt der Tages-Anzeiger. Das allerdings hätte den grösseren Kantonen Probleme beschert. Abschreckendes Beispiel ist Luzern. Der Zentrumskanton der Zentralschweiz hatte 2012 die Gewinnsteuer auf 12,6 Prozent gesenkt und befindet sich seither im permanenten Sparmodus.
Keine Chance hat die Schweiz auch mit neuen, kreativen Eigenkreationen, denn sie wird vom Ausland mit Argusaugen beobachtet. «Wir mussten von vielen guten Ideen absehen, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder auf die Abschussliste von EU und OECD gekommen wären», sagte der Zuger CVP-Ständerat und ehemalige kantonale Finanzdirektor Peter Hegglin.
Im Herbst 2015 gewinnen SVP und FDP die eidgenössischen Wahlen und erringen eine Mehrheit der Sitze im Nationalrat. Der gestärkte rechtsbürgerliche Block will bei der USR III Nägel mit Köpfen machen und eine strikt wirtschaftsfreundliche Vorlage durchpeitschen. Dabei werden auch skurrile Massnahmen beschlossen wie die Tonnage Tax, von der grosse Schifffahrtsunternehmen profitiert hätten. Einige Kantone hoffen, solche Firmen ins Binnenland locken zu können.
Schliesslich fliegt die Tonnage Tax aus der Reform, weil es Zweifel an ihrer Verfassungsmässigkeit gibt. Und weil der Ständerat die grosse Kammer zur Ordnung ruft. Die USR III könne nur Erfolg haben, wenn man die Kantone an Bord hole. 2004 war ein überladenes Steuerpaket an deren Widerstand gescheitert. Nun wird der Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer erhöht. Die Kantone erhalten zusätzlich 1.1 Milliarden Franken, um die erwarteten Ausfälle zu kompensieren.
Als neue, international akzeptierte Instrumente werden eine Patentbox, Abzüge für Forschungsausgaben und die allerdings entschärfte zinsbereinigte Gewinnsteuer beschlossen. Auf eine Gegenfinanzierung auf Bundesebene verzichtet die bürgerliche Parlamentsmehrheit, was die Linke nicht goutiert. Sie erachtet die USR III für zu wenig ausgewogen und ergreift das Referendum.
Im Abstimmungskampf setzt die Linke den Mittelstand ins Zentrum. Und sie ruft den «Bschiss» bei der USR II von Hans-Rudolf Merz in Erinnerung. In Umfragen haben die Befürworter die Nase vorn, trotz einer wenig überzeugenden Kampagne. Die Zahl der Unentschlossen ist jedoch gross. Am 23. Januar 2017 platzt die Bombe: Der «Blick» veröffentlicht ein grosses Interview mit Eveline Widmer-Schlumpf. Im Zentrum steht die erleichterte Einbürgerung, für die sie sich einsetzt.
Natürlich befragen die Journalisten die nicht ganz freiwillig zurückgetretene Ex-Finanzministerin auch nach der Vorlage, die sie aktiv mitgestaltet hat. Und Widmer-Schlumpf legt los: Ein paar Punkte hätten die Reform «aus der Balance gebracht», kritisiert sie. Die Befürworter der USR III sind konsterniert und die Linke kann ihr Glück kaum fassen, zumal einen Tag später der ehemalige Solothurner Finanzdirektor Christian Wanner (FDP) nachlegt und im Interview mit Tages-Anzeiger und Bund warnt, am Ende werde es «der Mittelstand sein, der dafür bezahlt».
Das Momentum kippt auf die Seite der Reformgegner. Den Befürwortern gelingt es zu keinem Zeitpunkt, eine überzeugende Gegenstrategie zu entwickeln. Die kantonalen Finanzdirektoren versuchen, die USR III mit einer Last-Minute-Aktion zu retten, sie versprechen, die Steuern für Privatpersonen nicht zu erhöhen. Damit stützen sie unfreiwillig das Mittelstands-Argument der Gegner. Nur dreieinhalb Kantone sagen am Ende Ja, am deutlichsten der Tiefsteuer-Pionier Zug.
Das Scheitern der USR III stellt die Schweiz vor ein gewaltiges Problem. Sie muss die verpönten Steuerprivilegien abschaffen, und das möglichst bald. Finanzminister Ueli Maurer (SVP) erklärte am Sonntag, dies werde frühestens 2021 der Fall sein. Die Schweiz könnte damit ihr Versprechen an die EU, ihr Steuersystem bis 2019 zu reformieren, nicht einhalten. Die EU aber will bis Ende Jahr eine Liste mit Steueroasen erstellen. Dort könnte sich auf die Schweiz wiederfinden.
Selbst im Ausland stösst das Nein teilweise auf Unverständnis. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» kritisierte, die Eidgenossen hätten mit der Ablehnung der Reform «ihrem Land einen Bärendienst erwiesen». Auch OECD-Steuerdirektor Pascal Saint-Amans zeigte sich im Interview mit Le Temps verwundert. Die Reform hätte die Schweiz «steuerlich extrem attraktiv» gemacht. Trotzdem habe das Stimmvolk sie als exzessiv empfunden. Dies sei «eine Ironie der Geschichte».
Ohne die unselige USR II und den unseligen Hans-Rudolf Merz wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Man denkt unweigerlich an das schöne Sprichwort «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht».