Der Bürgenstock ist ein spektakulärer Ort. Die Hotelanlage liegt auf einem Bergrücken über dem Vierwaldstättersee. Man hat eine grandiose Aussicht, und seit katarische Investoren die Hotels aufgemöbelt haben, bieten sie wieder jenen Luxus, der einst viele Berühmtheiten angezogen hat. Auch wichtige politische Treffen fanden hier statt.
Nun soll ein weiteres hinzukommen, mit enormer Symbolkraft. Im Juni will die Schweiz eine hochrangige Ukraine-Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock durchführen. Der Bundesrat hatte sich beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Januar in Bern dazu verpflichtet, seinem gepeinigten Land zu helfen.
Noch aber ist vieles unklar, selbst das Datum. Die Konferenz solle «voraussichtlich» am 15. und 16. Juni stattfinden, hiess es am Mittwoch. Auch sonst gebe es «einige Unbekannte», räumten Bundespräsidentin Viola Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis vor den Medien ein. Welche Staaten werden teilnehmen und wen schicken sie?
Der Aggressor Russland wird nicht kommen. Das stand von Anfang an fest. Selenskyjs Ziel ist es, möglichst viele Länder auf seine Seite zu ziehen, vor allem aus dem Globalen Süden. Cassis betonte, es dürfe «keine rein westliche Konferenz» werden. Dabei sollte die Schweiz mit ihrem in weiten Teilen der Welt intakten Image als neutrale Vermittlerin helfen.
Nun sieht es so aus, als habe Selenskyj clever gepokert. Offensichtlich hat der Bundesrat genügend positive Signale erhalten, um sich auf die Durchführung der Konferenz festzulegen. Die Frage ist nur, wer am Ende kommen wird. Im Januar sprach Viola Amherd noch vollmundig von einem «Friedensgipfel» mit den Staats- und Regierungschefs.
Es ist zweifelhaft, dass dies gelingen wird. Am Dienstag vermeldete die NZZ, der amerikanische Präsident Joe Biden werde an der Konferenz teilnehmen. Das Dementi der US-Botschaft in Bern erfolgte rasch und ziemlich undiplomatisch. Der Präsident habe seine Teilnahme NICHT bestätigt, hiess es auf X. Anderweitige Gerüchte seien «rein spekulativ».
The President of the United States has NOT confirmed his participation in the Ukraine Peace Conference.
— U.S. Embassy Bern (@USEmbassyBern) April 10, 2024
Rumors to the contrary are purely speculative. pic.twitter.com/jhnGCvFeD7
Die heftige Reaktion lässt auf eine gewisse Verärgerung schliessen. Offenbar haben die Amerikaner das Gefühl, ihr Präsident werde von der Schweiz als eine Art «Lockvogel» missbraucht, um andere hochkarätige Gäste in die Innerschweiz zu lotsen. Denn trotz des signalisierten Interesses ist es alles andere als sicher, dass sie am Ende kommen werden.
Gerade die Länder des Globalen Südens verhalten sich ambivalent. Sie erkennen, dass Wladimir Putin im Nachbarland einen kolonialen Eroberungskrieg führt und haben Russland vor der UNO verurteilt. Aber zu einer klaren Distanzierung und einer Solidarisierung mit der Ukraine konnten sie sich nur in seltenen Fällen durchringen.
Ihre Teilnahme auf dem Bürgenstock ist möglich, aber auf die «Topshots» kann die Schweiz kaum zählen. Also kein Narendra Modi, kein Lula da Silva, kein Mohammed bin Salman und schon gar kein Xi Jinping. Dabei wäre gerade China besonders willkommen, doch Experten vermuten, dass Peking höchstens einen Vertreter der dritten Garnitur entsenden würde.
In diesem Fall wird Joe Biden kaum anreisen. Das heisst nicht, dass die Konferenz sinnlos wäre. Alles, was zu einem Ende des Krieges beitragen könnte, ist wertvoll, und vielleicht kommt es zum unerwarteten Durchbruch. Aber es droht auch ein Déjà-Vu mit der «Wiederaufbaukonferenz» in Lugano vor zwei Jahren, an die sich kaum jemand erinnert.
Dazu passt der zweite Beschluss des Bundesrats zur Ukraine vom Mittwoch. Bis 2036 will er den Wiederaufbau mit insgesamt fünf Milliarden Franken unterstützen. Eine erste Tranche von 1,5 Milliarden Franken bis 2028 soll aus dem Budget für internationale Zusammenarbeit finanziert werden. Ignazio Cassis nannte dies vor den Medien «pragmatisch».
Finanzministerin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin allerdings wollten gemäss Tamedia den ganzen Wiederaufbau zu 90 Prozent auf Kosten der Entwicklungshilfe finanzieren. Hilfswerke reagierten entsetzt. Die bewährte Entwicklungszusammenarbeit werde «kurz und klein geschlagen», kritisierte die Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud.
Das könnte ins Auge gehen, denn von der Schweizer Entwicklungshilfe profitieren jene Länder des Globalen Südens, die man auf dem Bürgenstock unbedingt dabeihaben will. Eine Finanzierung des Ukraine-Wiederaufbaus auf ihre Kosten werden sie kaum goutieren. Hinzu kommt die Frage, ob die fünf Milliarden Franken überhaupt ausreichen werden.
Denn kurz und klein geschlagen wird derzeit auch die Ukraine, vom russischen Aggressor, mit Drohnen und Raketen. Besonders im Visier ist Charkiw, die zweitgrösste Stadt des Landes. Die Schäden sind schon jetzt gigantisch und dürften weiter zunehmen. Der Beitrag der Schweiz bis 2036 wirkt vor diesem Hintergrund wie ein besseres Trinkgeld.
Es scheint fraglich, dass die westlichen Unterstützer der Ukraine dies akzeptieren werden, allen voran die USA. Immerhin hat die Schweiz rund 7,5 Milliarden Franken an russischen Geldern eingefroren und weit grössere Summen werden auf hiesigen Konten vermutet. Die Schweiz wehrt sich gegen ihre Konfiszierung, mit Verweis auf das Eigentumsrecht.
Sie wird damit kaum durchkommen. Der Druck etwa der G7-Staaten ist schon heute gross. Ein Erfolg der Bürgenstock-Konferenz würde der Schweiz zweifellos helfen. Ob es klappt, wisse man nicht, sagte Viola Amherd. Der Austragungsort passt somit gut zur gesamten Schweizer Ukraine-Politik: Sie ist eine Gratwanderung mit Absturzgefahr.
Am Schluss wird der Steuerzahler den Wiederaufbau der Ukraine bezahlen müssen und die russischen Oligarchen werden weiter in Saus und Braus leben.
Ob es etwas Gutes ist, wenn so einer wie Cassis eine solche Konferenz veranstaltet, bezweifle ich. Ich befürchte sogar, dass das der Ukraine eher schadet als dass es ihr hilft.
Und ja, bei Cassis weiss ich nie, ob ich mit ihm nun Mitleid haben soll oder ein spöttisches Lächeln. Er ist die Verkörperung eines über alle Masse überforderten Menschen, der nicht den Mut hat, das zuzugeben und die Konsequenzen zu ziehen und Platz zu machen.