Was bleibt von der Ukraine Recovery Conference in Lugano? Nicht allzu viel, wenn man ehrlich sein will. Sie war ein Signal an das geschundene Land, dass die Welt sich für den Wiederaufbau engagieren will. Sie vermittelte einige Impulse, aber handfeste Entscheide blieben aus. Dafür war der Zeitpunkt zu früh und die Gästeliste zu leichtgewichtig.
Es war keine schlechte Idee von Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis, die ohnehin geplante Ukraine-Reformkonferenz nach dem russischen Überfall kurzerhand in eine Wiederaufbau-Konferenz zu transformieren. Es war jedoch immer klar, dass ihr Erfolg vom Kriegsverlauf abhängig sein würde. Und der Krieg ist nicht vorbei.
Teilweise wurden auch unrealistische Erwartungen geschürt, ob vom Aussendepartement oder von den Medien. Wichtige Staats- und Regierungschefs würden den Weg ins Tessin finden, sogar Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident aber verlässt sein Land nicht, solange Krieg herrscht. Auch an den Gipfeln von EU, G7 und Nato nahm er nur virtuell teil.
Am Ende kamen vorwiegend Leute aus der zweiten und dritten Reihe. Das Gruppenbild vor dem Monte San Salvatore sieht auf den ersten Blick imposant aus, aber der internationale Beobachter entdeckt nur ein bekanntes Gesicht: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ihr Kurzaufenthalt war in Sachen Promi-Faktor das Highlight in Lugano.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Chefin einer Institution, mit der die Schweiz derzeit eine Menge Ärger hat, die Konferenz vor der Irrelevanz bewahrt hat. Der «Tages-Anzeiger», der gegenüber der EU eine merkwürdige Linie verfolgt, hatte aber prompt etwas zu bemäkeln. Er unterstellte von der Leyen, sie habe «beinahe für einen Eklat» gesorgt.
Dabei hatte die EU-Kommissionspräsidentin in ihrer Eröffnungsrede bloss die Machtverhältnisse aufgezeigt. Sie verwies auf «eine bedeutende Wiederaufbau-Konferenz», die der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz letzte Woche zum Abschluss des G7-Gipfels in Bayern angekündigt hatte, ohne Lugano auch nur mit einem Wort zu erwähnen.
Das ist nichts als logisch: Die Pflöcke für den Wiederaufbau der Ukraine, inklusive eines neuen «Marshallplans», werden anderswo und auf einer höheren Ebene eingeschlagen. Die Schweiz wird in diesem Prozess nur als Sidekick agieren und «auch in Zukunft die Hauptrollen der EU und den USA überlassen müssen», wie die NZZ zu Recht feststellte.
Die zweitrangige Bedeutung von Lugano zeigte sich auch in der Berichterstattung der internationalen Medien. Sie ignorierten die Konferenz nicht und handelten sie doch nur nebenbei ab. Der Aufmarsch der Journalisten war überschaubar, wie Kollege Corsin Manser vor Ort feststellte. Die Stars der Zunft glänzten am Luganersee durch Abwesenheit.
In gewisser Weise war die Wiederaufbau-Konferenz ein Abbild des helvetischen Hangs zur Nabelschau und zur Selbstüberschätzung. Was nicht heisst, dass sie nutzlos war. Für die grosse ukrainische Delegation war sie ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Aber sie war nur das Vorspiel. In die Geschichte des Konflikts wird sie als Fussnote eingehen.
Ignazio Cassis kann sich immerhin rühmen, eine gute Figur gemacht zu haben. Was beim von Ex-SP-Präsident Christian Levrat einst als «Praktikant» geschmähten Aussenminister nicht selbstverständlich ist. In der zweiten Jahreshälfte 2022 aber soll er sich endlich daran machen, das vom Bundesrat mutwillig beschädigte Verhältnis zur EU zu reparieren.
Wenn begreift man den in der ganzen Schweiz, dass die Zeit der Federführung für die Schweiz, falls sie je da war, nicht gegeben ist?
Sicherlich hat sich da die Schweiz etwas präsentieren können, doch die grossen Dienste werden heute, morgen und übermorgen nicht von der Schweiz ausgehen.
Sorry wenn ich eine "gefährliche" und etwas "überrissene" Parallele ziehe:
Die Schweiz muss sich so wie Russland von falsch verstandenen Grösse lösen.