Nach dem Debakel rund um die Bombardier-Schüttelzüge gibt es Good News von den SBB. Seit diesem Mittwoch fahren die ersten von 29 bestellten Giruno-Eurocity des Schweizer Herstellers Stadler Rail mit Passagieren durchs Land. Ab Frühling 2020 verkehren die Kompositionen hauptsächlich auf der Gotthard-Strecke von Zürich nach Mailand. Voraussichtlich ab 2022 zudem nach Bologna und Genua und später nach Frankfurt.
Der watson-Reporter hat den 250 km/h schnellen Hochgeschwindigkeitszug bei der ersten Fahrt mit Passagieren von Zürich nach Erstfeld getestet.
Wer in den 200 Meter langen Giruno steigt, dem fällt sofort die helle und geräumige Kabine auf. Weil der Eurocity sich in den Kurven nicht neigt, ist das Wagenprofil deutlich breiter und höher. Dementsprechend mehr Platz bleibt für die Passagiere, für Velos, fürs Gepäck und für Kinderwagen.
Auf dem Rückweg steigen wir in Arth-Goldau in den aktuellen SBB-Eurocity, den ETR 610 Pendolino, um. Der Unterschied ist krass: In den Neigezügen fühlt man sich wie in einer Sardinenbüchse. Alles ist viel enger.
Fazit
Der Giruno überzeugt mit dem geräumigen Innenraum. Die luftige Kabine macht die Reise gen Süden sehr angenehm. Während der Testfahrt rüttelte der Wagen kaum. Dem neuen SBB-Paradezug fehlt jedoch etwas der Charme, das gewisse Extra, das ein internationaler Zug ausstrahlen sollte. Priorität hat die Funktionalität, man findet keinen Schnick-Schnack im Zug.
Eine Premiere: Der Giruno verfügt über einen Niederflureinstieg, der sich sogar den unterschiedlichen Perronhöhen in Deutschland/Österreich und Italien anpasst.
Die Zeiten sind endgültig vorbei, als man sich wie bei den Neigezügen oder den altehrwürdigen EW4-Eurocitys buchstäblich in den Zug hieven musste.
Fazit
Beim Einstieg in den Zug gibt es fast nichts zu meckern. Einzig der nervige Warnton bei der Türschliessung gibt Minuspunkte.
Die Sitze des Zuges sind sehr hart. Zwar lassen sich die fahrenden Fauteuils manuell nach vorne verschieben, jedoch nur um wenige Zentimeter. Das gibt Abzug in der Bewertung. Positiv fallen hingegen die Kopfstützen auf, die sich bestens für ein längeres Nickerchen eignen. Die Beinfreiheit in den Sitzreihen mit Flugzeugbestuhlung ist ebenfalls gut, selbst wenn man lange Beine hat.
Fazit
Die Sitze sind zwar (noch) sehr hart, aber funktional. Insbesondere in Sitzreihen mit Flugzeugbestuhlung ist der Komfort dank den herunterklappbaren Tischchen optimal.
Besonders auf längeren Fahrten wie von der Deutschschweiz nach Italien sind die Steckdosen für Handy-Junkies mindestens ebenso wichtig wie bequeme Sitze. Denn die Eurocity mausern sich je länger je mehr zum Netflix-Kino oder zum mobilen Büro.
Im Giruno ist auch in der 2. Klasse für jeden Sitz eine Steckdose verfügbar. Prima! Diese sind aber übereinander in der Mittelkonsole angeordnet. Je nach Ladegerät dürfte es schwierig werden, zwei Geräte gleichzeitig einzustecken.
Fazit
Es ist löblich, dass die SBB für jeden Sitz eine Steckdose eingeplant haben. Schade, sind keine USB-Slots vorhanden.
Im Giruno gibt es eine Schweizer Premiere: Das SBB-Flaggschiff verfügt über geschlechtergetrennte WCs. Männer können ihre Notdurft auf einem separaten Pissoir verrichten. Auch für die Damen gibt es Good News: Die normale Toilette ist hell und geräumig.
Fazit
Im Pissoir trifft der Mann auch zielgenau, wenn der Zug mal rüttelt. Die SBB sollten geschlechtergetrennte WCs schleunigst in den IC-Zügen einführen. So könnten Frau und Mann von saubereren Toiletten profitieren.
In den Giruno-Zügen ist der Handyempfang brilliant. Zwischen Flüelen und Altdorf beträgt die Downloadrate sagenhafte 117 Mbps – und zwar im fahrenden Zug.
Der Eurocity ist ebenfalls mit einem richtigen Wifi ausgestattet. Dieses wird allerdings erst auf kommenden Fahrplanwechsel aufgeschaltet und konnte daher noch nicht getestet werden.
Fazit
Besonders für Touristen ist das zugeigene Wlan interessant, das ab Ende Jahr funktionieren soll. Hierbei wird es spannend zu beobachten sein, wie schnell das SBB-Wifi tatsächlich ist.
Per Zufall ist Rollstuhlfahrer Chafik Hamidi auf der Erstfahrt des Giruno mit dabei. «Für mich ist der Zug einfach top, ich kann selbstständig ein- und aussteigen», so das Fazit des Innerschweizers. Die SBB betonen, dass der neue Eurocity über doppelt so viele rollstuhlgängige Plätze und WCs verfügt wie vorgeschrieben.
Für die Velofahrer ist der Giruno ebenfalls ein Fortschritt. Die Bikes können in den Multifunktionsabteilen abgestellt werden. Dank Niederflureinstieg müssen die Velos nicht mehr mühsam in den Zug gehievt werden. Aufgepasst: Wer sein Velo im EC mitnehmen will, sollte vorher unbedingt reservieren.
Fazit
Der neue SBB-Paradezug besticht insbesondere durch die flexible Wagenaufteilung. Ob Familen-, Velo, oder Rollstuhlabteil: Der Zug geht auf viele Bedürfnisse ein.
Blick in dem Führerstand des Giruno pic.twitter.com/srSpbnfdo2
— Adrian Müller (@mueller_adrian) May 8, 2019
Das heisst dass die WCs wegen den daneben urinierenden Männer dreckig waren bzw. sind? 🤔