Königsweg oder Sackgasse? Oder gar ein Patient auf dem Sterbebett? Und was hat Fussball in dieser Diskussion verloren?
Mit grossen Metaphern wurde bei der gestrigen «Arena», bei der es zum gefühlt siebzehnten Mal um das Rahmenabkommen mit der EU ging, nicht gespart. Das durfte man auch nicht. Denn eine Debatte über das Rahmenabkommen befindet sich eher auf einer Stufe mit Erklärstücken über Finanzderivate als auf der Kaffeeklatsch-mit-Tante-Hildegard-Stufe. Oder metaphorisch gesagt: Sie ist trocken wie alter Zwieback.
Nichtsdestotrotz muss man über diesen «Chnorz», wie es Moderator Sandro Brotz ausdrückte, reden. Denn bereits wenige Stunden nach dem BGI-Nein pochte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf eine Fortsetzung der Beratungen.
Geredet wurde dann natürlich auch. Und zwar mit folgenden Gästen:
Bereits die Auswahl der Debattierer liess aufhorchen. Denn es hiess nicht Aeschi gegen den Rest, nein, der SVP-Fraktionschef hatte Gewerkschafter Daniel Lampart im Seitenwagen. Dieser fühlte sich ob dieser aussergewöhnlichen Konstellation genötigt, sich zu rechtfertigen: «Eigentlich gehöre ich auf die andere Seite!», sagte Lampart halb lachend, halb verzweifelnd.
Dass Lampart jedoch Seite an Seite mit Aeschi argumentierte, hatte schon seine Richtigkeit. Denn sowohl Aeschi als auch Lampart betonten an diesem Abend mehrmals, dass das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU in den «Chüdder» gehöre.
Für Daniel Lampart ist das Rahmenabkommen vor allem aus einem Grund nicht tragbar: Er befürchtet Lohndumping. «Dieses Abkommen ist brandgefährlich», sagte Lampart im Einzelgespräch mit Brotz. Würde es angenommen, so drohten der Schweiz Lohnverhältnisse wie in Deutschland oder sogar in Polen. «Unser Lohnschutz wird ausgehöhlt», prophezeite er. Die flankierenden Massnahmen, welche die hohen Löhne in der Schweiz absichern sollen, wären mit einem Rahmenabkommen nutzlos.
Harter Gegenwind kam von GLP-Präsident Jürg Grossen. Er warf der unheilvollen Allianz auf der Gegenseite vor, dass die Argumente «linksaussen und rechtsaussen» wie das Ende eines Hufeisens aufeinandertreffen und das Rahmenabkommen zu Fall bringen würden. «Damit wird der Schweiz ein substantieller Schaden zugefügt. Ich finde das absolut verantwortungslos.»
Christa Markwalder und Jürg Grossen hatten an diesem Abend keinen einfachen Job. Vorwurf nach Vorwurf mussten sie entkräften, widerlegen, richtig stellen. Neben dem Lohnschutz ging es dabei vor allem um fremde Richter. Zwei Worte, welche die SVP seit Jahren für sich gepachtet zu haben scheint. Und so war es auch Thomas Aeschi, der immer wieder auf dieses Thema zu sprechen kam.
«Die Schweizer Souveränität steht auf dem Spiel», sagte der SVP-Fraktionschef gleich zu Beginn. Die Schweiz wäre nicht mehr selbst in der Lage, zu entscheiden. «Wir müssten uns von der EU diktieren lassen, was in der Schweiz gelten soll.» Ausserdem würde der Europäische Gerichtshof bei Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz das letzte Wort haben.
Auf die Einwände Grossens' hin, dass die EU keine Bananenrepublik sei und dem Vergleich Markwalders', dass der Schiedsrichter bei einem Fussballspiel auch unparteiisch sei, setzte Aeschi zum verbalen Seitfallzieher an: «Wenn Deutschland gegen die Schweiz Fussball spielt, dann wäre es doch auch besser, wenn der Schiedsrichter nicht aus Deutschland kommt.»
Für Aeschi blieb es bei diesem einen Traumtor. Topskorerin war an diesem Abend nämlich Christa Markwalder. Die FDP-Nationalrätin bewies ein ums andere Mal, dass ihr beim Dossier Rahmenabkommen niemand etwas vormacht. Sandro Brotz bezeichnete Markwalder gar als «EU-Turbo der Schweiz».
Überzeugend konnte sie darlegen, wieso auch beim Abschluss des Abkommens der Lohnschutz garantiert sei, wieso die Schweizer Justitia nicht plötzlich ein EU-Chäppli tragen würde, und vielleicht am wichtigsten: Sie schaffte es aus der Defensive und veranschaulichte sachlich, was ein Rahmenvertrag mit der EU für Vorteile hätte. «Wir sind auf einem helvetischen, pragmatischen Mittelweg.», sagte Markwalder. Die Interessen der Schweiz könnten gewahrt werden, ohne dass man EU-Mitglied werden müsse.
Trotz allen Eifers wirkte Markwalder aber nicht wie ein EU-Groupie. Sie konnte eingestehen, dass es Präzisierungen im Abkommen brauche, zum Beispiel bei der Unionsbürgerrichtlinie. Diese würde zu weit gehen und die Ausschaffungsinitiative, welche das Volk angenommen hat, tangieren.
Das beste Votum für ein institutionelles Rahmenabkommen kam aber aus dem Publikum. Oder zumindest das Helvetischste. Gymi-Lehrer Nino Wilkins erklärte nüchtern in zwei Sätzen: «Entweder wir haben dieses Rahmenabkommen oder wir rennen in eine Wand. Und diese Wand besteht aus zwei Möglichkeiten: Totale Abschottung oder EU-Beitritt.»
Diese Einschränkungen unserer direkten Demokratie sind untragbar.
Die "fremden Richter" haben wir bei keinem Freihandelsabkommen, überall sind es Drittstaaten. Wieso nicht auch hier? Heute sind wir Partner, wenn wir das Gericht brauchen nicht mehr ganz.
Der fehlende Lohnschutz und die mögliche Unionsbürgerschaft geben dem Abkommen den Rest.
Und die Befürchtungen von Lampert teile ich voll und ganz: Deutschland hat aufgrund der Personenfreizügigkeit mittlerweile den größten Niedriglohnsektor Europas!!!
Ich habe selbst Bekannte aus Teneriffa, die nach Deutschland ausgewandert sind und nun zum Mindestlohn oder sogar drunter arbeiten (müssen).
nehmen wir halt zur Strafe milde "Ausgleichsmassnahmen" in Kauf. Wenns so einfach wär. Lampart hat Recht: hart bleiben bei den Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen.