Der Rücken am Schienbein des hinteren Soldaten, der Blick auf den Hinterkopf des vorderen Soldaten – in dieser Position haben Hunderttausende Militärangehörige den Lastwagen Saurer 6DM von innen kennen gelernt. Künftig wird dies nicht mehr möglich sein. Denn die Schweizer Armee hat entschieden, den 6DM – wie auch seinen grösseren Bruder, den 10DM – komplett aus dem Bestand zu nehmen, wie das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) gegenüber der «Nordwestschweiz» bestätigt.
Der Grund dafür ist simpel: Nach drei Jahrzehnten im Dienst hat der Lastwagen, auf dessen Ladebrücke 36 (respektive 44) Personen Platz nehmen können und der eine Nutzlast von sechs (respektive zehn) Tonnen aufweist, seinen Zenit überschritten. Ersatzteile seien nicht mehr erhältlich, teilt Armasuisse mit. Im Rahmen der generellen Flottenerneuerung habe man sich deshalb zu diesem Schritt entschieden. Armeeangehörige und Material kurven neuerdings in Fahrzeugen von verschiedenen Herstellern, die mehrheitlich zivilem Standard entsprechen, über Strassen und Felder.
Die Ausserbetriebnahme der Saurer-Lastwagen ist an sich nichts Aussergewöhnliches. Und doch ist sie bemerkenswert. Denn der 6DM weckt Gefühle – bei (ehemaligen) Armeeangehörigen wie in der Bevölkerung. Bei den Truppen hat er den Ruf eines Kultwagens, allerdings nicht nur in positiver Hinsicht. Manch einer, der das Gefährt auf einer längeren Strecke sitzend auf der Ladebrücke verteufelt hat. «Der 6DM ist wohl wie alle Saurer-Militärfahrzeuge emotional belastet», sagt Rudolf Baer, Präsident des Oldtimer-Clubs Saurer. Dies, weil viele Wehrmänner selbst Stunden auf und mit dem Lastwagen verbracht haben. Und weil das Ungetüm – ein 10DM ist fast 9 Meter lang und auch in leerem Zustand noch 12 Tonnen schwer – auf den Strassen auffällt.
Hinzu kommt, dass die Ausrangierung dem Ende eines Stücks Schweizer Industriegeschichte gleichkommt. Saurer in Arbon TG war der bedeutendste Schweizer Hersteller von Lastwagen und seiner Konkurrenz in technischer Hinsicht während vieler Jahre überlegen. «Es ist unglaublich, was sie alles gemacht haben. Saurer war extrem innovativ. Irgendwann hat die Firma aber den Anschluss ans Ausland verpasst, weil sie sich zu lang in einem geschützten Markt bewegte», sagt Martin Huber vom Zeughaus-Museum in Schaffhausen. Immer schon war Saurer eng mit der Schweizer Armee verbunden. Dank der Lieferungen von 300 6DM respektive 400 10DM ans Militär konnte Saurer seine Lastwagenproduktion in der Schweiz zwar länger aufrechterhalten. Den ab den Achtzigerjahren schleichenden Niedergang dieses Firmenzweigs konnte das Geschäft dennoch nicht aufhalten. 1987 wurde der letzte 10DM – und damit der letzte in der Schweiz hergestellte Armee-Lastwagen – ausgeliefert.
Mitte 2016 werden die letzten 6DM ausser Betrieb gestellt sein, beim 10DM dauert die Gnadenfrist voraussichtlich bis 2018. Verschrottet werden dürften aber nur die wenigsten: Denn die Armee versteigert die Lastwagen periodisch, wobei auch Privatpersonen mitbieten dürfen. Mit einigem Erfolg: Von den 300 6DMs wurden bis Ende November bereits 277 verkauft. Der Mindestverkaufspreis liegt bei rund 6700 Franken pro Modell, wobei Armasuisse betont, dass die Fahrzeuge «in den allermeisten Fällen» zu einem höheren Preis den Besitzer wechseln.
Wohin die Lastwagen gehen, bleibt derweil weitgehend unklar. Eine armeeinterne Quelle gibt an, 100 Stück der 6DM seien an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verkauft worden. Dies lässt sich aber nicht bestätigen. Gemäss Armasuisse sind bislang «Einzelpersonen sowie Händler aus der Schweiz, aus Deutschland und den Niederlanden» in Erscheinung getreten. Verkaufen diese die Lastwagen dann einfach weiter an die VAE? Überprüfen lässt sich das nicht, denn die Rüstungsbeschafferin gibt die Käufer «aus Konkurrenzgründen» nicht bekannt. Man habe aber «weder direkte noch indirekte Informationen», dass ein Händler die 6DMs in den Wüstenstaat weiterliefert, so Armasuisse. Ohnehin seien die Lastwagen abgerüstet, sogar die Gewehrhalterungen in der Fahrerkabine wurden entfernt. Entsprechend gelten die Fahrzeuge weder als Kriegsmaterial noch alssogenannte «besondere militärische Güter». Damit erhalten Käufer keine Auflagen.
Auch wenn es sich nicht bestätigen lässt: Sollten die Fahrzeuge tatsächlich eines Tages auf der Arabischen Halbinsel landen, würde dies nicht einer gewissen Ironie entbehren. Denn in den Truppen wurde stets gemunkelt, dass der Saurer-Lastwagen eigentlich besser für die Wüste als für die Schweizer Topografie geeignet sei. Oldtimer-Club-Präsident Baer: «Die Radaufhängung und auch die Pneugrössen waren eher für schlechte, weiche Terrains – etwa Sand – und nicht für die gut befestigten Schweizer Strassen konzipiert.»
Ah, by the way: es würde mich nicht wundern, wenn diese Fahrzeuge auf der "falschen Seite" landen würden...