Bei seinen öffentlichen Auftritte stellt General Carsten Breuer inzwischen immer eine Frage unvermittelt: «Können Sie Krieg? Können wir Krieg?» In der Folge wird es still unter den Zuhörenden. Breuer ist Generalinspekteur und damit ranghöchster Soldat der deutschen Bundeswehr.
Ähnliches fragt sich der Urner Ständerat Josef Dittli (FDP): Ist die Schweizer Armee verteidigungsfähig? Seine knappe Antwort: Nein. «Die Armee ist heute auf subsidiäre Einsätze ausgerichtet, nicht auf Verteidigung», sagt er. Die Schweiz habe ein Problem bei den Kampftruppen für die klassische Verteidigung. «Die Armee ist überhaupt nicht mehr gerüstet für den Kampf der verbundenen Waffen. Das muss sich ändern.»
Dittlis Aussagen geben zu denken. Der Ständerat kennt die Schweizer Armee aus dem Innersten: Er war während 19 Jahren Berufsoffizier und ist mit Abstand bester Armeekenner im Parlament. Er absolvierte eine Ausbildung an der Militärakademie der ETH Zürich und 2000 den Senior Course in Sicherheitspolitik am NATO Defense College in Rom.
Dittli war Kommandant des Urner Gebirgsfüsilierbataillons 87 und Kommandant des Gebirgsinfanterieregiments 18. Der Oberst im Generalstab war zudem Kommandant des Taktischen Trainingszentrums in der Höheren Kaderausbildung der Schweizer Armee in Kriens.
Dass die Verteidigungsfähigkeit der Armee für Schweizerinnen und Schweizer wichtig ist, zeigt die Studie «Sicherheit 2024» der ETH Zürich. Mit 9 von 10 Punkten steht die Verteidigungsfähigkeit auf Rang zwei der wichtigsten Aufgaben der Armee. Auf Rang 1 steht die Katastrophenhilfe.
Hier setzt Dittli an. Für den Verteidigungskampf stünden der Armee heute nur gerade zwei mechanisierte Brigaden zur Verfügung, die mit Panzern Leopard 2 ausgerüstet seien, bemängelt er. Die dritte mechanisierte Brigade sei ohne Panzer und habe «mehr oder weniger Unterstützungsfunktion mit Artillerie, Genie und Aufklärung».
Zudem seien alle 17 Infanteriebataillone der Schweiz den vier Territorialdivisionen unterstellt. Das bedeutet, dass sie nur subsidiäre Einsätze durchführen. «Das tun sie hervorragend», betont Dittli. «Sie bewachen kritische Infrastrukturen und Botschaften, unterstützen die Kantone beim Konferenzschutz (WEF), unterstützen das Grenzwachtkorps, stehen bei Skirennen an der Piste.»
Das reicht dem Ständerat aber nicht. Der Gesamtbundesrat müsse nun endlich sagen, «wie er das Land verteidigen will», fordert Dittli. «Ich erwarte von ihm ein strategisches Konzept für eine verteidigungsfähige Armee.» Die Armeebotschaft 2024 benenne zwar die zehn zentralen Fähigkeiten für die Armee. Das genüge aber nicht.
Als ehemaliger Berufsoffizier zeigt Dittli auf, wie die Situation aus seiner Sicht schnell verbessert werden könnte: indem die Armee ihren Anteil an der Verteidigung mit bestehenden Truppenteilen stärkt.
Erstens müsste die Armee mit den drei mechanisierten Brigaden und ihren Unterstützungs- und Aufklärungsbataillonen zwei schwere Divisionen bilden, sagt er. Das bedingt, dass ein Teil der 71 in der Ostschweiz gelagerten Panzer Leopard 2 wieder kampffähig gemacht wird.
Zweitens regt Dittli an, vier bis sechs Infanteriebataillone diesen zwei neuen Kampfdivisionen anzugliedern. «Mit ihnen müsste man den Kampf der verbundenen Waffen trainieren», sagt er: «Mit Genietruppen, Fliegerabwehr, Artillerie, Infanterie, Boden-Luft-Abwehr, Luftaufklärung, Luftunterstützung und Führungsverbund.» Damit könnte die Schweiz ihre Verteidigungsfähigkeit «relativ rasch und spürbar stärken».
Dittli sagt, man könne bei der Ausbildung sofort mit dieser Umgestaltung beginnen. Schon 2025 könnten Infanteriebataillone Wiederholungskurse im operativen Verbund mit einer mechanisierten Brigade leisten. «Spätestens 2030, wenn die neuen Kampfflieger und das Patriot-System kommen, müsste man eine neue Struktur mit Kampfverbänden haben.»
Natürlich sollen auch Fähigkeitslücken geschlossen werden, sagt Dittli. Da bestehe «grosser Nachholbedarf». Die Armee benötige ein Fliegerabwehrsystem für kurze und mittlere Distanzen zwischen 5 und 15 Kilometern und müsse verschiedene Systeme ablösen.
Was sagt die Armee zu Dittlis Kritik? «Müssten heute im Fall eines bewaffneten Angriffs gegen die Schweiz mehrere Truppenkörper gleichzeitig aufgeboten werden, würden erhebliche Ausrüstungslücken zutage treten», räumt Stefan Hofer ein, Medienchef der Armee. «Auch die Durchhaltefähigkeit der Armee ist stark eingeschränkt.» Logistik wie Bevorratung seien heute stark nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen optimiert und primär den Bedürfnissen der Ausbildung angepasst. Aufgrund der knappen Gelder habe die Armee in den letzten drei Jahrzehnten die Prioritäten anpassen müssen.
«Trotzdem konnte die Verteidigungskompetenz insgesamt erhalten werden», betont Hofer. «Die Milizkader lernen in Schulen und Kursen nach wie vor, wie Verteidigungseinsätze geplant und geführt werden.»
Es tut sich aber auch sonst etwas. Ab 2022 habe die Armee begonnen, die Ausbildung «sukzessive stärker auf die Verteidigung» auszurichten, sagt Hofer. Ein Beispiel dafür sei die Übung «Pilum» von 2022 für die mechanisierten Truppen. Es war die grösste Militärübung der Schweiz seit dreissig Jahren. 5000 Armeeangehörige waren involviert. Mit «Stabante 2022» habe auch die Luftwaffe den Verteidigungsfall einstudiert. Zudem sei die Mobilmachungsorganisation wieder eingeführt worden.
Ab 2025 ist vorgesehen, dass Infanterieverbände, bodengestützte Luftverteidigung kurzer Reichweite und Sanitätstruppen mit mechanisierten Verbänden trainieren, sagt Hofer. «Damit sollen Erfahrungen für eine spätere Bildung von sogenannten schweren Divisionen gewonnen werden.»
Die Führung von vernetzten Operationen stelle hohe Ansprüche an die Ausbildung von Truppe und Kader, betont Hofer. «Für einen Teil dieser Ausbildung können Simulatoren eingesetzt werden. Simulationen ersetzen aber keine Volltruppenübungen.»
Der Schweiz fehle heute ein Übungsplatz, der einem weitläufigeren städtischen Gebiet entspreche, wie es für das Mittelland charakteristisch sei, betont Hofer. Es gehe darum, den Kampf im überbauten Gebiet zu üben und grössere mechanisierte Kampfverbände zu trainieren.
«Deshalb wäre es zweckmässig», sagt der Armeesprecher, «wenn mittel- bis längerfristig ein Übungsplatz im Inland geschaffen würde, auf dem sich das Gefecht der verbundenen Waffen im scharfen Schuss schulen lässt – mit grösseren Verbänden, als es heute möglich ist.»
Parallel dazu prüfe die Armee, ob sie ausgewählte Verbände auf der Basis von bilateralen Rahmenausbildungsabkommen auf Übungsplätzen in den Nachbarländern trainieren könne.
Viel Zeit bleibt nicht, glaubt man dem deutschen General Carsten Breuer. «Wir sehen Russland in fünf bis acht Jahren befähigt», sagt er der «Zeit», «Krieg gegen NATO-Staaten führen zu können.»
Die Strategie im 2. Weltkrieg mit Reduit und so war der reinste Bluff. Im Kalten Krieg war die Vorstellung die Schweiz könne sich gegen den waffenstarrenden Warschauer Pakt verteidigen auch ein Hirngespinnst.
Dass die Schweiz seit 1848 von Krieg auf eigenen Boden verschont blieb ist Glück und weil die Grossmächte bislang kein Interesse daran hatten die Schweiz militärisch zu unterwerfen und besetzen.
Neutralität schützt nicht wirklich, in den Weltkriegen wurden neutrale Länder wie zB Belgien auch überrannt.