«Echte Schweizer» – so heisst Luka Popadićs Dokumentarfilm, der nächste Woche in die Schweizer Kinos kommt. Acht Jahre gingen die Arbeiten für den Film. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, was es bedeutet, ein «echter Schweizer» zu sein – und im Kontext der Schweizer Armee.
Popadićs Eltern kommen aus Serbien, er selbst ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Das macht ihn zu einem Secondo. An diesem Nachmittag betont Popadić allerdings lieber, dass er Badner ist. Nicht Zürcher. Obwohl watson ihn in seinem Lieblingscafé in Zürich trifft, wo er lässig im Stuhl sitzt.
Über ein Drittel der Schweizer Soldaten haben einen Migrationshintergrund. Die drei Protagonisten in seinem Film gehören zu diesem Drittel, sie sind Hauptleute für die Schweizer Armee – ihre Eltern wurden im Ausland geboren. Popadić hat auch eigene Erfahrungen in die Doku eingewebt. Etwa den Tod seiner beiden Eltern und ihre Herkunft. Obwohl er selbst eigentlich nicht gerne im Mittelpunkt steht. «Ich habe mich zunächst dagegen gesträubt, meine Geschichte zu thematisieren. Im Schnittprozess haben wir aber gemerkt, dass es diese autobiografischen Elemente braucht.»
Diente das Machen des Films auch der Psychohygiene des Regisseurs selbst? «Nein, die meisten Dinge, die ich im Film sage, sind Erkenntnisse, die ich vorher schon hatte.»
Der Dokumentarfilm ist trotzdem alles andere als nur ernst und informativ. Viele Stellen bringen einen zum Lachen – das liegt wohl an Popadić selbst. Im Gespräch wirkt er nonchalant. «Das Leben ist herrlich lustig – auch in den traurigen Momenten», sagt er.
Popadić spricht melodisch. Wenn er erzählt, klingt es wie in einem Skit eines Rapsongs. Gefragt danach, wer er ist, erklärt er, dass er in seinem Leben schon alles Mögliche gemacht hat. Im Call-Center, auf dem Bau, hinter der Bar hat er gearbeitet. Gerappt habe er auch, eine kurze Zeit lang war er sogar Maler. Dass er aktuell an der Zürcher Hochschule der Künste doktoriert, erwähnt er mit keinem Wort. Das ist bloss auf seinem LinkedIn-Profil zu lesen.
Dass er einige Wochen im Jahr Hauptmann bei der Schweizer Armee sein würde und dass ihm die Arbeit sehr gefallen würde, damit habe er nicht gerechnet. Er komme aus einem linken Umfeld: «Meine Freunde lehnen den Militärdienst ab. Die meisten waren nie in der Armee.»
Popadić ist kein intellektueller Linker, mit dem man sich nur über soziale Ungerechtigkeit und Poststrukturalismus unterhalten kann. Er sagt: «Ich würde mich weder als politisch links, noch als politisch rechts bezeichnen. Die Schere zwischen den beiden Lagern ist viel zu starr geworden.»
Würde er eine SVP-Vorlage annehmen? «Wenn es eine gute Vorlage ist, würde ich sie annehmen. Man sollte weniger in diesem starren Schema denken. Ich habe dumme SVPler kennengelernt und ich habe dumme SPler und Grüne kennengelernt.»
Eine grosse Stärke der Schweiz sei es, dass es um Sachpolitik ginge und nicht nur um Parteien und ihre Parolen. Aber mittlerweile gäbe es mehr Stimmungsmache, als konstruktive Diskurse. «Sprechen wir doch miteinander, anstatt uns anzuschreien.»
Um diesen konstruktiven Diskurs voranzutreiben, hat Popadić seinen Dokumentarfilm gedreht. Die Idee hatte er während seines Studiums in Belgrad. Dort, in der Stadt, die seine Eltern einst verliessen, studierte er von 2007 bis 2015 Filmregie.
Seine Kurzfilme, die er als Student machte, liefen in diversen Ländern auf Festivals und in Kinos. Also reiste auch Popadić um die ganze Welt. Dort lernte er Filmstudenten kennen und erklärte ihnen: «Wir Schweizer haben alle eine Waffe zu Hause und ein Mal im Jahr gehen wir alle ins Militär.» Die erste Reaktion sei immer gewesen: «Das geht doch nicht» und «Aber ihr seid doch neutral?»
Erst mit dem Blick von Aussen habe Popadić verstanden, wie speziell das Schweizer Milizsystem ist – und dass es eine Grundlage für einen Dokumentarfilm sein könnte.
Weiss er nach über acht Jahren, was einen echten Schweizer ausmacht? «Das Selbstbild der Schweiz ist nicht deckungsgleich mit der Realität. Die Schweiz sei in vielen Bereichen moderner, als sie es wahrhaben möchte.» Dennoch findet Popadić, dass die Schweiz das Potenzial ihrer Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund nicht ausschöpfe.
Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy sei Secondo. Der britische Premierminister Rishi Sunak genauso. In der Schweiz seien Secondos in der Politik oder in den Verwaltungsräten bedeutsamer Konzerne noch immer selten. «Einerseits ist es klar eine verschenkte Chance. Andererseits denke ich aber nicht, dass das ein gewollter oder böswilliger Rassismus ist.» Die Schweiz sei in all ihren Prozessen träge, das Endergebnis sei aber gut durchdacht und funktioniere.
Popadić ist trotzdem zuversichtlich. Im Parlament hocken inzwischen einige Politikerinnen und Politiker mit Wurzeln im Balkan. Wann hat die Schweiz einen Secondo-Bundesrat?Popadićs Prognose: in 16 bis 20 Jahren. «Dann haben wir einen echten Secondo-Bundesrat. Einen, dessen Namen die Leute nicht richtig schreiben können.»
Im Jahr 2015 äusserte der ehemalige Verteidigungsminister Ueli Maurer öffentlich Zweifel daran, ob Männer aus Familien mit Migrationshintergrund im Falle eines Konflikts mit ihrem Herkunftsland tatsächlich die Schweiz unterstützen würden.
Damals sagte Maurer an einer SVP-Delegiertenversammlung:
Popadić findet, dass die Art und Weise, wie Maurer dieses Misstrauen äusserte, grenzwertig gewesen sei. Das sei Stammtisch-Niveau gewesen – ein Verteidigungsminister, der im Amt ist, sollte keine Meinungsmache betreiben.
In seiner Doku fragt Popadić die drei Hauptleute darum: Für welches Land würdet ihr in den Kampf ziehen? Und weshalb? «Es ist eine faire Frage», sagt er. Dann überlegt er lange und korrigiert: «Ich weiss nicht, ob es eine faire Frage ist.» Wieder eine Pause. «Aber es ist eine berechtigte Frage im Kontext meines Films.»
Popadić fragt die Hauptleute auch, ob sie bereit wären, für die Schweiz zu sterben. Und er selbst? Würde er sein Leben geben? Er antwortet innert Millisekunden: «Ja.»