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Armee drohen Klagen: Über 40 Schiessstände verstossen bald gegen Gesetz

Schiessstand
Gesundheitsschädigender Knall: Schiesslärm kann zur Belastung für Anwohner werden.Bild: Walter Schwager/ARC

Schweizer Armee droht Klagewelle: Mehr als 40 Schiessstände verstossen bald gegen Gesetz

Bis Ende Juli müsste das Verteidigungsdepartement seine Schiessstände lärmsanieren. Klappen wird dies nur in Ausnahmefällen, zeigt eine Auswertung.
28.04.2025, 05:3628.04.2025, 05:36
Benjamin Rosch / ch media
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Geht es um Schiesslärm, zeigt sich der Föderalismus im Schweizer Parlament. In unregelmässigen Abständen erkundigt sich fraktionsübergreifend eine Nationalrätin oder ein Ständerat, ob der Bundesrat sich der Problematik rund um einen Schiessstand XY bewusst sei und ob er die hohe Zahl der Klagen kenne, die dieser verursache. Ja, beteuert der Bundesrat in diesen Fällen üblicherweise, das Problem sei bekannt. Die Schiessplätze der Schweiz würden aber lärmsaniert.

So sieht es die Lärmschutzverordnung aus dem Jahr 1986 vor, die 2010 aktualisiert wurde. Seither ist sie für die Armee verbindlich, davor galt lediglich eine Empfehlung. Schiessstände, welche die geltenden Emissionswerte überschreiten, muss die Armee anwohnerverträglich herrichten. Auch eine Frist sieht das Gesetz vor: Diese läuft am 31. Juli dieses Jahres ab.

Rund 45 Standorte seien davon betroffen, schreibt das Verteidigungsdepartement (VBS) auf seiner Website. Ende März lieferte das VBS eine Übersicht, wie es um die Umsetzung steht. Eine Karte lässt erkennen: Fast jeder Kanton beheimatet einen Schiessplatz, der unter obige Bestimmung fällt.

schiessplätze schweiz
Bild: armasuisse/ruben schönenberger

Nur die allerwenigsten davon wurden aber auch fristgerecht saniert: einer in Frauenfeld TG, einer in Spiez BE, dazu einer je in Bôle und Les Pradières im Kanton Neuenburg. Wobei: Sowohl in Frauenfeld als auch in Les Pradières sind die Schutzmassnahmen ungenügend. Die Grenzwerte werden noch immer überschritten, räumt das VBS ein.

So bald ändern wird sich diese Situation nicht: Von den verbleibenden 41 Schiessplätzen befinden sich lediglich 3 in der «Realisierungsphase». Diese beginnt, «sobald die rechtskräftige militärische Plangenehmigung (Bau- und Betriebsbewilligung) vorliegt, alle Planungsfragen bereinigt sind und der erforderliche Zahlungskredit freigegeben ist». Auch hier zeichnet sich in einem Fall ab, dass eine Sanierung das Einhalten der Grenzwerte nicht garantiert. Alle anderen Schiessplätze zwischen Bière und Bernhardzell verharren in der Konzept- oder Projektierungsphase. Von Konzept bis Realisierung verstreichen im Schnitt 6,5 Jahre, hat das VBS 2024 berechnet.

Das Departement erklärt die Verzögerungen mit neuen Stationierungskonzepten, die seit 2018 gelten. Diese Änderungen müssten neu berücksichtigt werden, schreibt das VBS auf Anfrage.

«Da die Lärmbelastung bei über 100 Schiessplätzen zu ermitteln ist und lärmreduzierende Massnahmen aufgrund des Vorsorgeprinzips und aus Rücksicht auf die Bevölkerung auch geprüft werden, wenn die Grenzwerte nicht überschritten sind, kann die Frist nicht überall eingehalten werden.»

Im Fall von bleibenden Überschreitungen der Grenzwerte kann die Armee Ausnahmen beantragen: «Wie bei den Militärflugplätzen mit Kampfjetbetrieb müssen Erleichterungen gewährt werden, wenn die Lärmbelastung mit verhältnismässigen Massnahmen und ohne übermässige Einschränkung der militärischen Ausbildung nicht eingehalten werden kann.» In einigen Fällen sei dies bereits geschehen, andere stehen in Vorbereitung.

Gesundheitsschädigend: Heftige Kritik

«Unverständlich» findet hingegen Gabriela Suter das Vorgehen der Armee. Die SP-Nationalrätin ist Präsidentin der Schweizer Lärmliga:

«Es ist enttäuschend, dass das VBS die Sanierung nicht innert der vorgesehenen Frist erledigt, sondern offensichtlich verschlafen hat.»

Die unregelmässig und plötzlich auftretenden Knalleffekte von Schiesslärm seien gesundheitsschädlich, weil der Körper bei jedem Knall Stresshormone ausschüttet. «Dies erhöht die Gefahr, an Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes Typ II zu erkranken.»

Bereits jetzt mussten sich die Schweizer Gerichte mehrfach mit Schiesslärm befassen. Es ist anzunehmen, dass Betroffene aus dem Ablauf der gesetzlichen Frist neue Hoffnung schöpfen – dem VBS droht damit eine Klagewelle.

Zu Hilfe eilt der Armee dagegen die Politik: Der Ständerat hat vergangenen Herbst ein Postulat der Sicherheitspolitischen Kommission zu diesem Thema an den Bundesrat überwiesen. Die Regierung muss nun überprüfen, ob die Lärmgrenzwerte rund um militärische Schiess- und Übungsplätze angehoben werden könnten. Dies, um Geld anstelle für Lärmsanierung zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit freizuschaufeln. (aargauerzeitung.ch)

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164 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Superdave
28.04.2025 06:10registriert September 2019
Tja, dem Militär soll es in dem Punkt nicht besser gehen wie den Sportschützen. Unser Schiesstand steht seit 120 Jahren. In den letzten 20 Jahren sind immer mehr Leute in die angrenzenden Dörfer direkt 500m Luftlinie parallel zu unserem Stand gezogen. Kaum waren deren Villen gebaut haben die Herrschafften angefangen Lärmklagen einzureichen. Resultat: unsere Schiesstage wurden krass eingekürzt. Unsere Reaktion seither: Wir schiessen nun haupts. am Sonntagmorgen. Nicht mehr am Samstagnachmittag wie früher üblich🤷‍♂️ Die Herrschaften sind unterdessen weggezogen, die Vorschriften sind geblieben…
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MRDL
28.04.2025 06:10registriert August 2020
Naja, wenn man 15 Jahre Zeit hat (vorher war es ja nicht verbindlich) kann man es vor lauter Däumchendrehe schon mal vergessen, zumal da immer mal wieder Unvorhergesehenes auftaucht...
Habt ihr noch Zahlen was all die Jahre Projektierung, Konzeptierung, Realisierung, Überprüfung und Nachbesserung bis jetzt gekosteten haben?

Unglaublich!
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johnwolf
28.04.2025 06:04registriert Oktober 2022
bitte was 40jahre geschlafen?!?

So sieht es die Lärmschutzverordnung aus dem Jahr 1986 vor, die 2010 aktualisiert wurde. Seither ist sie für die Armee verbindlich, davor galt lediglich eine Empfehlung.
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