Schweiz

In der Schuldenfalle: Mit der ersten Wohnung begann der Teufelskreis

Barbara Zobrist, Leiterin der Schuldenberatung, hilft der Klientin, einen Weg aus der Verschuldung zu finden.
Barbara Zobrist, Leiterin der Schuldenberatung, hilft der Klientin, einen Weg aus der Verschuldung zu finden.bild: sandra ardizzone

In der Schuldenfalle: Mit der ersten Wohnung begann der Teufelskreis

Eine solide KV-Lehre, eine kleine Wohnung und plötzlich finanzielle Probleme. Eine junge Frau erzählt, wie sie fast unscheinbar, dafür umso schneller in die Schuldenfalle geriet.
31.03.2015, 08:0331.03.2015, 12:51
bastian heiniger / aargauer zeitung
Mehr «Schweiz»
Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Und dann stand sie vor einem grossen Schuldenberg. Susanne*, 29, streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und beginnt zu erzählen. «Geld war mir nie so wichtig», sagt sie. Doch als Susanne mit 23 Jahren in ihre erste eigene Wohnung zog, realisierte sie: Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Sie nahm einen Kredit auf, 10'000 Franken. Und der Schuldenberg begann zu wachsen. 

«Wer sich bereits vor 25 verschuldet, steuert auf grosse Probleme zu», sagt Andrea Fuchs, zuständig für die Prävention bei der Schuldenberatung Aargau-Solothurn. Denn: Die teure Lebensphase mit Kind, Heirat, grösserem Auto und gemeinsamer Wohnung komme erst.  

Fuchs sagt auch, Geldprobleme begännen oft nach dem Lehrabschluss: Ein höheres Einkommen, die erste eigene Wohnung, aber kein Budget, keine Rücklagen für Steuern und unvorhergesehene Rechnungen. 

Viele junge Erwachsene unterschätzten die monatlichen Grundkosten, sagt Fuchs. Ein Viertel aller 18- bis 29-Jährigen lebt gemäss dem Bundesamt für Statistik in einem Haushalt mit mindestens einem Kredit.  

Susanne bezahlte mit ihrem Kredit offene Rechnungen, die Kaution und richtete ihre Wohnung ein. Nicht luxuriös, sagt sie. Doch als sie in die eigene Wohnung zog, kam sie nur mit Kleidern und einer Matratze. 

Die Lebenskrise

Susanne hatte sich damals aus einer schwierigen Liebesbeziehung gelöst. Mit 17 verliess sie ihr Elternhaus und richtete sich ein bei ihrem sechs Jahre älteren Freund – gegen den Willen ihrer Eltern. Der Kontakt brach ab. Die Beziehung: Eine Hassliebe. 

Zwar musste sie nie Miete bezahlen, doch als ihr Freund sie schlug, machte sie Schluss. Sie war noch in der Lehre. Pendelte täglich über eine Stunde aus dem Aargau zu ihrem Lehrbetrieb in die Ostschweiz, wo sie das KV absolvierte – und abschloss. 

«Ich ging und nahm die erstbeste Wohnung.» Eigentlich überstieg die über 1000 Franken teure Wohnung Susannes finanzielle Möglichkeiten. Doch weil sie kein Budget führte, war ihr das nicht bewusst. Als sie zwischenzeitlich noch ihre Stelle im Verkauf verlor, türmten sich die Probleme auf. 

«Ein typischer Verlauf», sagt Barbara Zobrist, Leiterin der Schuldenberatung. Komme zum angespannten Budget ein kritisches Lebensereignis wie Arbeitslosigkeit hinzu, führe das oft in die Überschuldung. 

Susanne bezahlte zwar die Miete und Krankenkasse, doch fehlte ihr Geld für Handy, Zahnarzt, Autoleasing und Steuern. Obwohl sie heute beruflich gut dasteht, schuldet sie den Gläubigern 25'000 Franken. 

In der Tretmühle

Susanne arbeitete, bezahlte Rechnungen, nur der Schuldenberg sank nicht. Belastend, sei das. «Sozial ist man angeschlagen, wenn man verschuldet ist», sagt sie. Ein Teufelskreis. 

Bald war auch ihr neuer Freund verschuldet. Auch er nahm einen Kredit auf. Letztlich wurde beiden der Lohn gepfändet. Zusammen kommen sie auf eine Schuldensumme von 70'000 Franken. Das Betreibungsamt vermittelte ihnen 2013 einen privaten Schuldensanierer. «Eine Katastrophe», sagt Susanne. 

Dieser hätte helfen sollen, doch machte alles noch schlimmer. 10'000 Franken kosteten dessen Dienste. Nur: Schulden hatten sie keine abgebaut. Der öffentlichen Schuldenberatung ist dieses Problem bekannt. 

Fuchs sagt: «Geld mit verschuldeten Personen zu verdienen – ein solches System kann nicht aufgehen.» Nicht selten landen Klienten von privaten Schuldensanierern bei ihnen. 

Jetzt auf

Der Weg aus dem Minus

Susanne und ihr neuer Freund wollten endlich raus aus der Misere. Sie wünschen sich eine gemeinsame Zukunft, Heirat, Kinder. Letzen Sommer gingen sie zur Schuldenberatung Aargau-Solothurn. Erst waren sie skeptisch, bald überzeugt. 

Für beide erarbeitete die Beratung je einen Plan, wie sie die Schulden abbauen können. Bei neuen Klienten verschafft sich die Beratungsstelle einen Überblick: Budget erstellen, Schulden sichten, aber auch die psychische Verfassung und das soziale Umfeld fliessen mit ein. Jeder Klient erhalte eine auf ihn angepasste Beratung, sagt Barbara Zobrist. Das überzeugte Susanne. 

Für sie handelte die Beratungsstelle mit den Gläubigern einen gerichtlichen Nachlassvertrag aus. Susanne muss nun monatlich 700 Franken abzahlen. «In drei Jahren bin ich schuldenfrei», sagt sie und fügt an: «Ich werde es bleiben.» Sie sagt es mit Überzeugung. «Nach vielen Jahren sehe sie endlich einen Horizont.» *Name geändert

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Themen
Das könnte dich auch noch interessieren:
7 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
stadtzuercher
31.03.2015 08:17registriert Dezember 2014
Sorry, aber die Dame hat einfach keinen Umgang mit Geld. Wer für die Wohnungseinrichtung Schulden macht anstatt im Brocki für ein paar hundert Franken für die ersten Jahre Möbel zu holen ist selbst schuld. Wer nicht beurteilen kann (und speziell mit einem KV Job), eine wie teure Wohnung man sich leisten kann, ist selbst schuld. Es gibt andererseits Menschen, die verdienen wenig, die finden keine Wohnung, die haben kein Auto - und kommen trotzdem nicht über die Runden. Die würde ich eher als Opfer eines Systems sehen, aber bestimmt nicht KV-Angestelle mit einem normalen Lohn.
3612
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schneider Alex
31.03.2015 10:39registriert Februar 2014
Es ist unglaublich, aber wahr: In der Volksschule werden in den verschiedensten Fächern Kenntnisse vermittelt, welche zur Berufs- und Lebensbewältigung kaum etwas beitragen. Hingegen wird lebenswichtiges Basiswissen in den Bereichen Ökonomie, Recht, Gesundheit, Psychologie und Politik in den Verantwortungsbereich der Eltern oder an die freiwilligen Bildungsmöglichkeiten in der Freizeit delegiert, wo es sehr oft unzureichend vermittelt wird.
Die Volksschule könnte die Chancengleichheit für den Erwerb von finanziellen Kompetenzen gewährleisten.
231
Melden
Zum Kommentar
7
Parlament verhindert Mindestlöhne – und die Kantone sind sauer
Das Parlament hat eine Motion angenommen, die verhindern könnte, dass es in Zukunft weiterhin kantonale Mindestlöhne gibt. Dies verärgert die Kantone. Auch der Bundesrat, der nun mit der Umsetzung der Motion beschäftigt ist, lehnt diese eigentlich ab.

Einen schweizweiten Mindestlohn gibt es nicht. Doch viele Kantone führen örtliche Mindestlöhne ein. Das Parlament hat den Kantonen jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht: National- und Ständerat haben 2022 eine Motion von Mitte-Ständerat Erich Ettlin gutgeheissen. Diese verlangt, dass die Bestimmungen von allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen (GAV) zum Mindestlohn anderslautenden Bestimmungen der Kantone vorgehe. Und zwar auch dann, wenn die minimalen Löhne in einem GAV tiefer sind als der kantonale Mindestlohn. Nun, und eineinhalb Jahre nach Annahme der Motion, muss der Bundesrat einen Umsetzungsvorschlag zu dieser Motion machen.

Zur Story