Die öffentliche Empörung über den Entscheid der Sekundarschule Therwil, den beiden muslimischen Teenagern zu erlauben, keiner Lehrperson mehr die Hand zu geben, reisst nicht ab. Immer stärker unter Beschuss gerät dabei Rektor Jürg Lauener. Er wird als «Zauderer» («Basler Zeitung») und führungsschwache Person dargestellt, der nicht deutlich genug Schweizer Werte verteidigt habe und auf den Kanton und sein Rechtsgutachten angewiesen sei. Bestens in dieses Bild passt, dass Lauener und die ganze Schulverwaltung in Therwil seit vorgestern auf Tauchstation sind und weder auf Anrufe noch Mailanfragen reagieren.
Der bz liegt nun allerdings ein Brief vor, der aufzeigt, wie schwierig die Situation für die Schulleitung wirklich war, und dass ein simpler Händedruck-Zwang nicht umzusetzen gewesen wäre. Im Schreiben vom 4. Dezember des vergangenen Jahres schildern Lauener und die beiden Konrektoren Jean-Daniel Schlegel und Michael Horn dem Baselbieter Amt für Volksschulen (AVS) sowie dem Präsidialausschuss der Schulleitungskonferenzen (PAS) erstmals ausführlich den Fall und wie sie auf die umstrittene Lösung gekommen sind. Zudem bitten sie bereits da um eine «juristische Expertise».
Aus dem Brief geht hervor, dass die beiden muslimischen Schüler «ungefähr seit den vergangenen Herbstferien» ihren Lehrerinnen den Händedruck verweigern und dies religiös begründen. Gemäss «Blick», der Facebook-Posts ausgewertet hat, ist einer der beiden Brüder fasziniert vom «Islamischen Staat» («IS») und von Hasspredigern (siehe Artikel unten). Aber erst durch den Brief wird nun klar, dass «die Familie bzw. der Vater dieser beiden Jugendlichen den Schulen schon seit Jahren wegen extremen religiösen Auffassungen bekannt ist» (siehe Ausschnitt rechts). Die Jugendlichen selbst hätten ihren «plötzlichen Gesinnungswandel» damit erklärt, durch Predigten im Internet auf das Berührungsverbot gekommen zu sein. «Die Befürchtung einer Radikalisierung ist natürlich sogleich bei Lehrpersonen und Schulleitung aufgetaucht», heisst es.
Nicht zuletzt dies machte den Fall für die Schule äusserst anspruchsvoll. In der Folge führten Lehrer und Schulleitung mehrere Gespräche mit der Familie und korrespondierten auch brieflich. Aus dem Schreiben vom 4. Dezember geht weiter hervor, dass intensiv versucht wurde, der Familie die wichtige Bedeutung des Händedrucks klar zu machen, einerseits als Ritual bei Begrüssung und Abschied, andererseits: «Die einseitige Verweigerung des Händedrucks gegenüber Lehrerinnen diskriminiert diese faktisch gegenüber den Lehrern, selbst wenn das Verhalten der Schüler nicht diskriminierend im Sinne von abwertend gemeint ist.» Zudem wurden die Jugendlichen darauf hingewiesen, dass sie beim Übergang von der Schule in die Berufswelt mit Schwierigkeiten rechnen müssten, etwa wegen weiblichen Vorgesetzten, Mitarbeiterinnen oder Kundinnen.
Auch die Lehrerschaft sei informiert worden. Dabei hätten sich «einige Lehrpersonen sehr engagiert geäussert, dass dieses Verhalten nicht zu tolerieren sei». Die Schulleitung hielt darauf am abschliessenden Gespräch Ende November fest, «dass eine Ungleichbehandlung der Lehrpersonen (nach dem Kriterium Geschlecht) für uns auf keinen Fall tolerierbar sei». Dennoch wollten die beiden Teenager «aufgrund ihrer starken religiösen Überzeugung nicht von ihrem Verhalten abweichen». So sei man schliesslich zum aktuell geltenden Kompromiss gekommen, dass die beiden Schüler «die Lehrpersonen mit Namen zu begrüssen haben, unter Anwendung einer Respekt und Anstand ausdrückenden Form, ohne Berührung».
Im Brief finden sich mehrere Formulierungen, die ausdrücken, dass der Kompromiss von der Schulleitung nicht angestrebt wurde. So nennt sie ihn eine «Schein-Lösung» und dass man mit der Situation nicht zufrieden sei. Auch verleiht sie ihrem Unbehagen Ausdruck, indem sie fragt, «was denn wohl als Nächstes kommt»: Dass die Schüler von einer unverschleierten Lehrerin keine Anweisungen mehr akzeptierten oder sich weigerten, überhaupt von einer Frau unterrichtet zu werden? Oder dass sie Dispensationen forderten, um täglich fünfmal beten zu können? Die «Schein-Lösung» hatte aus Sicht der Schulleitung vor allem etwas Gutes: «Die Befürchtung einer Radikalisierung (im Sinne von Gewaltbereitschaft) konnte vorerst zerstreut werden», schreibt sie.
Wie die Schulleitung zu diesem Schluss kommt, bleibt vorerst offen. Ebenfalls kann nicht beantwortet werden, was die Schule in den vergangenen Jahren mit dem Wissen um den ultrareligiösen Vater gemacht hat. Bei auffälligen Schülern – oder auch bei auffälligem Umfeld – ist es eigentlich Usus, einen Jugendsachbearbeiter der Polizei zu konsultieren. Um diese Fragen zu klären, müssten Lauener und sein Team nun dringend wieder auftauchen. (bzbasel.ch)