Auf der Alp Tschingel oberhalb von Kandergrund, im Berner Oberland, hat sich diesen Sommer eine Serie von Schafrissen ereignet. Mehrere Tiere wurden tot aufgefunden, andere gelten als vermisst. Als Verursacher wird ein einzelner Luchs vermutet – ein Raubtier, das eigentlich hauptsächlich Wildtiere wie Rehe und Gämsen jagt. Der betroffene Schäfer brach die Sömmerung vorzeitig ab, die Herde wurde ins Tal zurückgebracht, wie TeleBärn berichtet.
Laut kantonalen Behörden sind bislang fünf der toten Tiere eindeutig dem Luchs zuzuordnen. An drei Kadavern hat sich der Gänsegeier zu schaffen gemacht, sie sind somit nicht mehr eindeutig dem Luchs zuzuordnen, drei weitere gelten als vermisst.
Der Luchs ist eine geschützte Art, Abschüsse sind nur unter strengen Bedingungen möglich. Beim Fall vom Berner Oberland sind die Voraussetzungen für einen Abschuss gemäss dem nationalen «Konzept Luchs» noch nicht erfüllt – dieses fordert in der Regel mindestens 15 nachweisliche Risse. Es gibt aber auch Ausnahmen: Die Kriterien (Anzahl Risse, Zeitspanne, Schadenperimeter) können die betroffenen Kantone in begründeten Ausnahmefällen «mit Zustimmung des Bafu» im angemessenen Rahmen den lokalen und regionalen Gegebenheiten anpassen.
Für die Schafhalter auf der betroffenen Alp ist die Lage klar: Der Luchs soll abgeschossen werden – und zwar sofort. Man habe alles versucht, darunter den Einsatz von Vergrämungsmitteln, doch das Raubtier sei weiterhin aktiv geblieben. Die Geduld ist erschöpft: «Dieser Luchs muss weg – noch diesen Sommer», lautet die Forderung. Ansonsten werde man in Zukunft keine Tiere mehr auf die Alp bringen, wie SRF berichtet.
Besonders im Visier steht die kantonale Jagdinspektorin Nicole Imesch. Ihr werden Unerreichbarkeit, gebrochene Abmachungen und fehlendes Verständnis für die Situation der Tierhalter vorgeworfen. In einem Brief an Regierungsrat Christoph Ammann (SP) fordern die Tierhalter Konsequenzen – eine Antwort erwarten sie bis Anfang August, wie der Schafshalter gegenüber SRF erzählt.
Auch die Vereinigung zum Schutz der ländlichen Lebensräume vor Grossraubtieren in Bern schaltet sich ein. Sie verlangt, dass der Kanton seinen Handlungsspielraum ausschöpft und eine Ausnahme vom «Konzept Luchs» erwirkt – wie es andere Kantone bereits vorgemacht haben.
Die Berner Kantonsbehörden zeigen sich zurückhaltend – und verweisen auf geltendes Recht. Die Abschussbedingungen gemäss Bundesvorgaben seien derzeit nicht erfüllt: Fünf nachgewiesene Risse reichen nicht aus, auch nicht in Kombination mit vermissten oder unklaren Fällen. Für eine Ausnahme brauche es die Zustimmung des Bundes.
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) teilt diese Einschätzung. Auch aus Bern heisst es, dass das Verhalten des Luchses zwar auffällig, aber nicht ausreichend dokumentiert sei. Der Kanton hat deshalb bis heute keine offizielle Abschussverfügung erlassen. Ein solcher Entscheid müsste im Amtsblatt publiziert werden, was bislang nicht erfolgt ist.
Zu den Vorwürfen gegen Jagdinspektorin Nicole Imesch äussert sich der Kanton derzeit nicht. Die Situation sei «in Abklärung», heisst es lediglich. Auch eine inhaltliche Reaktion auf den Brief des Nationalrats Knutti bleibt aus – zumindest vorerst.
Für Fridolin Zimmermann, Wildtierbiologe bei der Stiftung Kora, handelt es sich beim betroffenen Luchs offenbar um ein einzelnes Tier mit «abnormalem» Verhalten, wie er gegenüber SRF erzählt. Luchsangriffe auf Nutztiere seien in der Schweiz sehr selten, meist jagen sie Wild. Dennoch könnten sich einzelne Individuen gelegentlich auf leichtere Beute spezialisieren.
Im Vergleich zum Wolf verursache der Luchs deutlich weniger Schäden, so Zimmermann. Zudem stelle er keine Gefahr für den Menschen dar. Eine systematische Gefahr für die Nutztierhaltung im Alpenraum sieht der Experte also nicht. Trotzdem müsse man Einzelfälle ernst nehmen – vor allem, wenn wie hier der Sömmerungsbetrieb beeinträchtigt wird.
SVP-Nationalrat Thomas Knutti aus dem Berner Oberland hat sich mit deutlicher Kritik eingeschaltet. In einem Brief an Regierungsrat Ammann fordert er den sofortigen Abschuss des Luchses. Die Jagdinspektorin sei «nicht in der Lage, konsequent zu handeln», schreibt er – und stellt öffentlich ihre Eignung infrage.
Knutti, bekannt für seine harte Linie gegenüber Grossraubtieren, verlangt zudem auch eine Entschädigung für die vermissten Schafe. Normalerweise werden nur nachweislich getötete Tiere vergütet. Der SVP-Politiker beruft sich auf einen Präzedenzfall im Kanton Schwyz, wo 2024 ein Luchs nach nur neun Rissen getötet wurde – mit Zustimmung des Bundes.
Die Forderungen zeigen: Der Umgang mit Grossraubtieren bleibt politisch umstritten. Zwischen Tierwohl, Schutzstatus und wirtschaftlichen Interessen wird ein immer wieder neu ausbalancierter Kompromiss gesucht – im Fall Kandergrund mit bislang offenem Ausgang. (les)
Der Bauer sollte seine Tiere besser schützen - aber lasst den Luchs in Ruhe! Immer gleich alles abknallen wollen... 😤
Der SVPler fordert natürlich den Staat als Vollkaskoversicherung für Bauern, ganz egal, weshalb die Schafe nun tatsächlich tot sind. Klar doch, dörfs na es bitzli meh si? Z.B. noch ein paar Franken fürs Geranienkistli?