Günstiger Wohnraum für alle – wer kann da schon Nein sagen? Entsprechend gut kommt die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» in der Bevölkerung an. In der ersten SRG-Trendumfrage sagten 66 Prozent bestimmt oder eher Ja. In der aktuellen Tamedia-Umfrage von Mitte Januar waren es immer noch 60 Prozent. Nur 37 Prozent sagten Nein.
Wird die Abstimmung am 9. Februar also zum Spaziergang für den Mieterinnen- und Mieterverband, der die Initiative mit einer Allianz aus vorwiegend linken Parteien und Gruppierungen lanciert hat?
Für das Institut GFS Bern, das die SRG-Umfragen erstellt, ist der Ausgang offen. Die Zustimmung zu Volksinitiativen sei im Verlauf des Abstimmungskampfes üblicherweise rückläufig. Die letzten Umfragen werden am kommenden Mittwoch veröffentlicht. Dennoch lässt sich die Prognose riskieren, dass ein Volksmehr in Reichweite ist, dank einer «Koalition» aus Westschweiz und urbanen Regionen der Deutschschweiz.
Für eine definitive Annahme aber braucht eine Volksinitiative das Ständemehr, also mindestens zwölf Standesstimmen. Diese Hürde könnte sich als zu hoch erweisen, denn zwischen städtischen und ländlichen Gebieten besteht ein Graben auf dem Wohnungsmarkt. In den Städten Zürich oder Genf ist er praktisch leer gefegt. Anders sieht es auf dem Land aus. In der Solothurner Vorortsgemeinde Zuchwil oder in Huttwil im Kanton Bern wird betoniert, was das Zeug hält, angetrieben von Anlegern auf der Suche nach Rendite in Zeiten des Negativzinses.
Das führt zu einem teilweise krassen Überangebot und entsprechend geringen Problemdruck. «Das Ständemehr ist eine Hürde», sagt Natalie Imboden, die Generalsekretärin des Mieterinnen- und Mieterverbands. Gerade in der Wohnungsfrage aber gebe es keinen klassischen Stadt-Land-Gegensatz: «Auch im ländlichen Raum gibt es immer mehr Hotspots mit hohen Wohnkosten.»
Als Beispiel nennt Imboden touristische Regionen wie Crans-Montana, St.Moritz oder Gstaad. Auch das Einzugsgebiet der grossen Städte gehe über die Kantonsgrenzen hinaus. «Die Frage ist, ob es im gesamten Kanton für ein Ja reicht.» Wie aber stehen die Chancen? Gut sieht es nach Ansicht der Initianten im Tessin und weiten Teilen der Westschweiz aus.
Doch schon das Wallis mit seiner starken Baulobby (Baumeister- und Hauseigentümerverband bekämpfen die Initiative) ist ein Wackelkandidat. In der Deutschschweiz ist ein Ja in Basel-Stadt praktisch sicher und in Zürich mit seinen Agglomerationen wahrscheinlich. Schwieriger ist es in Bern, dort könnten die Städte von der Landbevölkerung überstimmt werden.
Ein Ja ist in Zug möglich, dem Kanton mit dem tiefsten Lehrwohnungsbestand der Schweiz, in dem die Steuern tief und die Mieten hoch sind. Klappen könnte es auch im benachbarten Luzern. In St.Gallen, dem Zentrumskanton der Ostschweiz, dürfte es hingegen schwierig werden. Das gilt erst recht für die zahlreichen Voll- und Halbkantone ohne grössere Städte und Agglos.
Ein gutes Beispiel ist Schwyz, wo die Mieten in den letzten sieben Jahren um 40 Prozent gestiegen seien, rechnete SP-Nationalrätin Jacqueline Badran im «Blick» vor: «Der ganze Mittelstand wird dort verdrängt.» Für den äusseren Kantonsteil am Zürichsee trifft dies zu. Im Steuerparadies Freienbach etwa kommt man nur mit Glück oder Beziehungen zu einer günstigen Wohnung.
Nur ist Schwyz auch ein sehr konservativer Kanton. Was von links kommt, stösst häufig auf reflexartige Ablehnung. Der Slogan «Spekulanten stoppen!», mit dem die Initianten ihre Kampagne führen, könnte zum Rohrkrepierer werden. Natalie Imboden lässt dies nicht gelten: «Spekulative Entwicklungen machen vor dem Land nicht halt. Mir soll niemand sagen, dass der Markt funktioniert.»
Die Gegner jedenfalls setzen auf das Ständemehr. Der Hauseigentümerverband hat drei Millionen Flyer in ländlichen Regionen und Agglomerationen verteilt, mit umstrittenen Zahlen. «Solche Mittel haben wir nicht», sagt Natalie Imboden. Die Initianten konzentrieren sich im Schlussspurt auf «Wackelkantone» wie Schaffhausen und eine Plakatkampagne in den grossen Bahnhöfen.
Der Ausgang der Abstimmung dürfte eng werden. Vielleicht kommt es erstmals seit längerer Zeit zu einem unterschiedlichen Ergebnis bei Volks- und Ständemehr. Letztmals war dies 2002 der Fall, als eine Asylinitiative der SVP das Ständemehr schaffte, am Ende aber mit 50,1 Prozent Nein hauchdünn scheiterte. Bei der Wohnungs-Initiative könnte es umgekehrt laufen.
Und weshalb wird das von watson nicht mindestens erwähnt?