Schweiz
Blaulicht

Ausbildung im Gefängnis: 3 Häftlinge aus Lenzburg erzählen.

Gefaengnis Lenzburg, Ausbildung
Ali K. macht im Gefängnis Lenzburg eine Ausbildung zum Maler. Bild: Severin bigler / ch media

Vom Messerstecher zum Maler: Wenn Häftlinge eine Lehre machen wollen – 3 Beispiele

Erfolgreiche Bildungsgeschichten: Drei Gefangene über ihre Laufbahn – vor und nach der Inhaftierung.
29.04.2019, 05:08
andreas maurer / ch media
Mehr «Schweiz»

Ausbildungen in Gefängnissen werden wichtiger. Denn es gibt immer mehr Insassen und die Haftdauer wird tendenziell länger. So ist die Zahl der Inhaftierten schweizweit innerhalb von 30 Jahren um 50 Prozent gestiegen. Mittlerweile befinden sich mehr als 6000 Personen in einem Freiheitsentzug.

Im geschlossenen Strafvollzug machen die meisten Insassen eine Praxisausbildung. Viele sind zufrieden damit. Drei Gefangene der Strafanstalt Lenzburg berichten über ihre Bildungswege.

Vom Messerstecher zum Maler

Ali K., Zelle 262, hat drei tätowierte Tränen am Hals. Sie symbolisieren die drei Jahre, die er im Gefängnis verbringt. In zwei Monaten sind diese vorbei. Doch die Entlassung wird für AliK. kein Freudentag. Denn dann wird er ausgeschafft in die Türkei.

Der 27-Jährige kam mit 10 in die Schweiz. Seine Familie lebt seither in der Nähe von Basel. Er hat sechs Geschwister. «Ichwar das schwarze Schaf», sagt er im Besucherraum des Gefängnisses. Er hat ein schmales Gesicht, einen schmächtigen Körper und dunkelbraune Augen. In ruhigem Ton spricht er über seine unruhigen Zeiten. Damals habe er seine Emotionen nicht im Griff gehabt: «Ich bin schnell explodiert.»

Er habe die falschen Freunde gehabt und sei mit ihnen zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Damals, das war vor vier Jahren im Ausgang in Baden AG. Ali K. kam direkt von seinem Job auf dem Bau zum Treffen mit seinen Kumpels. Er trug noch die Arbeitskleidung, in der Hosentasche ein Japanmesser. Als es zu einem Streit kam, zog er es plötzlich seinem Gegenüber durchs Gesicht. Schwere Körperverletzung, urteilte das Gericht. Neben der Freiheitsstrafe verhängte es einen Landesverweis.

Ali K. hat im Gefängnis an seinem Charakter gearbeitet. Er ist nicht mehr der aufbrausende Typ von damals. In der internen Malerwerkstatt absolvierte er eine Praxisausbildung. Sein Chef bezeichnet ihn als Mustergefangenen. Ali K. hat sich auf die Arbeit mit dem Farbsprühgerät spezialisiert. Er sagt: «Ohne Arbeit würde ich hier durchdrehen.» Dass das Zertifikat nicht offiziell anerkannt wird, bedauert er. Doch da er vor der Haft bereits einen Lehrabschluss als Industrie- und Unterlagsbodenbauer gemacht habe, sei er nicht auf ein Diplom angewiesen. Die Ausbildung werde ihm aber dabei helfen, in der Türkei eine Arbeit zu finden.

Vom Räuber zum Metallbauer

Maik B., Zelle 344, hat am Hals ein Drachen-Tattoo. Das Tier stehe für Intelligenz und Sterblichkeit, sagt er. Die beiden Eigenschaften prägen sein Leben. Er ist gescheit, doch sein Leben in Freiheit endete früh. Mit 18 sass er zum ersten Mal imGefängnis. Heute ist er 38 und wieder am gleichen Ort, womöglich für immer.

Maik B. ist ein Verwahrter. Eine nicht enden wollende Serie kleiner Verbrechen veranlasste das Gericht zu dieser Massnahme. Er prahlt: «Ich bin ein Berufsverbrecher.» Dokumentiert sind Raubüberfälle, Betrügereien und Erpressungen. Fest steht: Maik B. ist nie einer normalen Arbeit nachgegangen. «Ich bin ein fauler Mensch», sagt er. Doch hier in Lenzburg hat er eine Praxisausbildung in der Schlosserei absolviert. Das Dokument sei zwar nichts wert, sagt er. Doch die Arbeit als Schlosser gefalle ihm.

Das Ausbildungsangebot decke ein breites Spektrum ab: «Jeder findet etwas.» Die Justizvollzugsangestellten in Lenzburg würden sich Mühe geben. Zuvor sass er in den Anstalten Pöschwies und Thorberg. Dort sei der Umgang weniger respektvoll und weniger freundlich.

Vom Drogenboss zum Schweisser

Odin N., Zelle 202, hat kein Tattoo am Hals. Er ist ein kleiner, dicker Mann aus dem Kongo mit einem freundlichen Gesicht. Der 50-Jährige arbeitete in seinem früheren Leben als Gabelstaplerfahrer. Wegen familiärer Probleme sei er in den Drogenhandel gerutscht. Verhaftet wurde er 2010 in Basel, nachdem er zwei Drogenhändler über die Grenze gebracht hatte. Er sagt: «Ich habe Scheisse gebaut und muss jetzt dafür zahlen. Das akzeptiere ich.»

Odin N. tippt sich an den Kopf und sagt: «Ich will die Zeit hier für meine Bildung nutzen.» Jeden Werktag arbeite er in der Schlosserei und schneide Metall, schleife, schweisse, biege. Er habe einen Plan. Sein Horizont sei der August 2022. Dann kommt er bei guter Führung frei. Vorher wolle er in den offenen Vollzug wechseln, eine Attestlehre als Metallbauer abschliessen und danach die Schweisserprüfung machen. Auf diesem Gebiet werde er dann in Freiheit eine Arbeit suchen. Er ist zuversichtlich: «Ich habe bisher immer etwas gefunden.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Ein Tag im Gefängnis
1 / 23
Ein Tag im Gefängnis
In der geschlossenen Anstalt in Affoltern am Albis sitzen 65 Häftlinge ein, 23 Aufseher kümmern sich um sie.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Zu viele Häftlinge. Gefängnisse in der Westschweiz überfüllt
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
3
Die befestig­te Sprachgrenze
Im Ersten Weltkrieg soll die Fortifikation Murten einen französischen Angriff aus Westen aufhalten. Im Berner Seeland und im Murtenbiet entstehen Schützengraben und Bunker. Viele dieser Bauten liegen direkt auf der Sprachgrenze!

Mit den Seespiegelsenkungen der Ersten Juragewässerkorrektion ist das Grosse Moos leichter passierbar geworden. Vorher bildeten die Sümpfe ein natürliches Geländehindernis im Landesinneren. Ab 1901 ist Bern per Eisenbahnstrecke via Neuenburg und Val de Travers mit Pontarlier verbunden. Diese Route ist die kürzeste Verbindung von Frankreich nach Bern. Nachdem 1913 die Eisenbahnstrecke Lötschberg-Simplon eröffnet wird, ist die Linie Pontarlier-Bern Teil der zweiten Alpentransversale durch die Schweiz.

Zur Story