Ausländische Staatsoberhäupter inszenieren ihre Booster-Impfung gerne öffentlich. Wie etwa US-Präsident Joe Biden. Der 78-Jährige krempelte am 27. September im Weissen Haus vor Journalisten sein Hemd hoch, liess sich die dritte Impfung verpassen – und beantwortete gleich noch Fragen.
Auch Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson (57) liess sich den Booster öffentlichkeitswirksam verpassen. «Hi, wie geht es? Einen fröhlichen Tag», grüsste er mit erhobenem Arm in die Kamera – und meinte dann: «Nummer drei. Zum dritten Mal glücklich. Here we go.»
Biden und Johnson liessen sich den Booster als Vorbild für ihre Landsleute öffentlich verpassen. Ganz nach dem Motto: Seht her, wenn es bei mir so locker geht, ist das auch für euch überhaupt kein Problem.
Deutlich diskreter gehen die Mitglieder der Schweizer Regierung vor. Sie machen ein kleineres Staatsgeheimnis daraus, wer die dritte Impfung schon erhalten hat – und wer nicht. «Über individuelle Impftermine gibt die Bundeskanzlei keine Auskunft», sagt Bundesratssprecher André Simonazzi.
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Klar sind nur drei Dinge. Erstens: Alle Bundesrätinnen und Bundesräte lassen sich boostern – also auch Ueli Maurer (71). Zweitens: Das grosse Boostern der Landesregierung begann am Montag, 29. November. Und drittens: Am 17. Dezember werden alle Mitglieder der Landesregierung ihre dritte Impfung erhalten haben.
Bundesratssprecher Simonazzi bestätigt: «Ab dieser Woche werden alle Bundesrätinnen und Bundesräte das dritte Mal geimpft. Dieses Verfahren wird am 17. Dezember abgeschlossen sein.»
Die Regierungsmitglieder folgen damit für ihre Auffrischimpfung den Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, wie Simonazzi betont. Diese hatte die dritte Impfung in der Schweiz am Freitag vor einer Woche für alle zwischen 16 und 65 Jahren geöffnet. Unter einer Bedingung: Die zweite Impfung muss bereits sechs Monate her sein.
Die Auffrischimpfung sei «nötig, um die Regierungsfähigkeit sicherzustellen», sagt Simonazzi. Er verweist auf die vielen Kontakte, die Bundesratsmitglieder haben und die zahlreichen Reisen, die sie absolvieren.
Es überrascht, dass die Bundesräte ihre dritte Impfung erst seit der Freigabe der Impfkommission vom Freitag erhalten. Noch zu Beginn des Jahres lief das anders. Die Bundesratsmitglieder begannen sich ab dem 15. Januar zu impfen. Sie erhielten damit ihre zweite Impfung bereits Mitte Februar. Also Monate, bevor sich der grosse Teil der Schweizer Bevölkerung überhaupt den ersten Piks setzen lassen konnte.
Das sorgte für Empörung. «Bundesräte liessen sich heimlich impfen – ist ihre Gesundheit mehr wert als die eines älteren Normalbürgers?», fragte die «Schweiz am Wochenende» in einem Kommentar.
«Polemisch ausgedrückt: Die Bundesräte nehmen in extremis den Tod von schwächeren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Kauf, um ihre eigene Haut zu retten», hielt sie weiter fest. «Das ist ein Grad an Zweiklassenmedizin, wie ihn unser Land in dieser Kälte noch nie gesehen hat.»
Die Kritik liess die Landesregierung offensichtlich nicht unberührt. Bei der Booster-Impfung wartete sie ab, bis die Impfkommission sie für alle öffnete. Sie nahm damit einen deutlich schwächeren Infektionsschutz der Mitglieder der Regierung in Kauf. Für viele liegt die zweite Impfung bereits neun Monate zurück.
Überraschend ist, dass sich offenbar auch Ueli Maurer zu einer dritten Impfung entschieden hat. Er ist 71 Jahre alt und hätte sie schon deutlich früher erhalten können. Die Impfkommission empfahl sie am 26. Oktober Personen ab 65 Jahren.
Noch im Februar hatte Ueli Maurer in einem SVP-Livestream gesagt, dass er zwar die erste Impfdosis erhalten habe, aber auf die zweite Impfung verzichten wolle. Er sei «zäh». Drei Monate später bestätigte er aber, die zweite Dosis inzwischen doch erhalten zu haben.
Nur: Wer hat denn nun im Bundesrat die Auffrischimpfung bereits erhalten? Recherchen zeigen, dass es mindestens drei Bundesräte sind – die institutionell «wichtigsten»: Bundespräsident Guy Parmelin, Vizepräsident Ignazio Cassis, ab 1. Januar neuer Bundespräsident – und Alain Berset, als Gesundheitsminister zuständig für die Pandemie.
Und weshalb macht die Bundeskanzlei nicht öffentlich, wer den Booster erhalten hat und wer nicht? Ihr stecken noch die Schlagzeilen zur ersten Impfung in den Knochen. Sie will verhindern, dass wieder spekuliert wird, wer noch keine Auffrischungsimpfung erhalten hat – und weshalb nicht.
Bundespräsident Parmelin seinerseits hatte auf der Reise vom 28. Oktober nach Israel realisiert, wie wichtig die dritte Impfung war, die Israel der gesamten Bevölkerung ab August empfahl.
«Kennzahlen und verschiedene Studien zeigen auf, dass Israel mit der Booster-Impfung gute Erfolge erzielt hat», sagt Urs Wiedmer, Kommunikationschef des Wirtschaftsdepartements. «Die Ansteckungszahlen sind zurückgegangen.»
Das habe Bundespräsident Parmelin bei seinem Besuch in Israel persönlich erfahren. «Deshalb hat er zusammen mit den Fachleuten in den letzten Wochen immer wieder auf die Bedeutung der Booster-Impfung hingewiesen.»
Hätte Parmelin als Bundespräsident das Boostern in der Schweiz nicht energischer forcieren müssen? Nein, sagt Urs Wiedmer. «Die Eidgenössische Kommission für Impffragen und Swissmedic sind unabhängig», betont er. «Da darf und will der Bundesrat keinen politischen Druck machen.» (aargauerzeitung.ch)
Bei uns inszenieren gewisse Mitglieder der Regierung lieber ihre sture Verbohrtheit vor laufender Kamera...