Es zählt zu den raren Bildern, die nicht nur Geschichten erzählen, sondern selbst Geschichte geschrieben haben und unaufhörlich schreiben: Das Foto des Zebrastreifens vor den Abbey Road Studios in London, auf dem die Beatles die Strasse überqueren. Es ziert das Cover ihres legendären Albums «Abbey Road».
Das Motiv ist unzählige Male nachgestellt, von Fans zitiert oder persifliert worden. Und wie das so ist bei Ikonen der Popkultur, profitieren auch Politiker gerne von deren Strahlkraft – selbst wenn es bloss darum geht, ein sogenannt originelles Foto in die Welt hinauszusenden. Allein, eine tiefere Bedeutung soll das Bild schon für die Musiker nicht gehabt haben.
Bereits Margaret Thatcher, Grossbritanniens «Eiserne Lady», liess sich 1990 im Spätherbst ihrer Karriere als Premierministerin auf dem Zebrastreifen ablichten. Jahre später posierte ein gewisser David Cameron auf der Abbey Road, um für den Verbleib seines Landes in der EU zu werben. Das Resultat ist bekannt. In der Kategorie «Inspiration» ist die Freiburger Kantonsregierung zu nennen, die sich 2014 auf ihrem Jahresfoto wie einst die Beatles präsentierte: im Gleichschritt einen Zebrastreifen überquerend und mit einem VW Käfer im Hintergrund. Diesmal einfach auf eigenem Terrain, auf der Poyabrücke in Freiburg.
Erwähnenswert ist schliesslich Winfried Herrmann, der Verkehrsminister von Baden-Württemberg. Für eine Fussgänger-Kampagne in seinem Bundesland spazierte er mit drei Bürgern im Stile der «Fab Four» über einen Zebrastreifen. Vielleicht wirken solche Auftritte ein bisschen gar bemüht. Aber sie demonstrieren auf rührende Weise Lässigkeit. Und sind so ganz bundesratstauglich.
Für das Bundesratsfoto 2020 wollte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die Regierungsmitglieder ursprünglich wie die Beatles auf dem «Abbey Road»-Cover abbilden, das machte «Le Matin Dimanche» publik. Die Bezüge schienen sich geradezu aufzudrängen; der Magistratin, so hiess es, liege die Musik genauso am Herzen wie die Verkehrspolitik.
Doch dann schlug sie zu: die geballte Beamtenkompetenz. Zu heikel schien diese Beatles-Imitiererei den Juristen des Bundes. Weil man «nicht hundertprozentig sicher» gewesen sei, ob Urheberrechtsprobleme auftreten könnten und der Bund lieber keinen Rechtsstreit riskieren wollte, habe man sich für ein anderes Motiv entschieden, erklärte der Regierungssprecher der Zeitung.
Die Klischees über Bundesangestellte im Allgemeinen und über Bundesjuristen im Besonderen halten sich so hartnäckig wie der Nebel über dem Mittelland. Obwohl sich die meisten bei genauer Betrachtung sehr schnell auflösen. Ein bisschen triumphieren kann man, wenn sich eines dann doch bestätigt. Wenn Wunschvorstellung auf Wirklichkeit trifft. Oder eben Beatles auf Bundesjuristen. Für die eifrigsten und gründlichsten unter ihnen, für jene mit besonders ausgeprägter Null-Risiko-Mentalität also, kann so ein Beatles-Referenz-Regierungsfoto ein schönes neues Spielfeld öffnen. An den Feinheiten ihres Entscheids, dem Bundesrat von einem solchen Bild abzuraten, lassen die Bundesjuristen die Öffentlichkeit zwar nicht teilhaben.
Man kann aber selbst über die Frage nachdenken, wie es unzählige Menschen und Politiker unterschiedlicher Couleur denn geschafft haben, für ein keckes Foto den Beatles nachzueifern, ohne gleich im Knast zu landen. Der Freiburger Regierung jedenfalls wäre es nicht mal in den Sinn gekommen, für ihr Remake im Jahr 2014 eigens juristische Abklärungen vorzunehmen. «Wir wurden diesbezüglich auch nie kontaktiert», versichert ein Sprecher.
Demgegenüber kann man auch gleich einen Sachverständigen um eine persönliche Einschätzung bitten. Zum Beispiel den renommierten Kommunikationsrechtler Rudolf Mayr von Baldegg. «Ich sehe die Urheberrechtsproblematik nicht als dramatisch an», erklärt der Luzerner Anwalt. Zunächst einmal beschränke sich der Urheberrechtsschutz auf das Originalfoto mit den Beatles. Heisst: Dieses darf nicht kopiert, sonst wie verändert oder genutzt werden. Darüber hinaus hält es Mayr von Baldegg kaum für möglich, «dass die Idee der Fussgängerüberquerung für sich allein Schutz geniesst». Ideen seien grundsätzlich nicht geschützt, nur der Ausdruck oder eine konkrete Umsetzung. Und selbst wenn es sich beim Beatles-Cover um ein eigentliches Werk handeln würde, dürfte es für eine Parodie verwendet werden – das Gesetz sieht explizit eine sogenannte Parodiefreiheit vor.
«Obacht!», könnten die Bundesmusterjuristen jetzt einwenden, da gebe es noch das Restrisiko, da lägen noch potenzielle rechtliche Stolpersteine herum. Man würde es sich wirklich zu einfach machen, ihnen ein paar Songzeilen aus «Let it be» entgegenzuschleudern. (aargauerzeitung.ch)
Oder reicht es schon, dass diese in der Schweiz gelb und nicht weiss sind?