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Epidemiologin korrigiert Bundesrat Berset: Die Fälle wachsen exponentiell

Epidemiologin korrigiert Bundesrat Berset: Die Fälle wachsen exponentiell

Nach einem Interview in der «Sonntagszeitung» gibt es Widerspruch vonseiten der Corona-Taskforce: Auch wenn die Fälle nun langsam steigen, so verdoppelt sich die Wachstumsrate doch alle vier bis sechs Wochen.
14.09.2020, 20:55
Sabine Kuster / ch media
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Bundesrat Alain Berset hoert sich eine Frage eines Journalisten an, waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates zur aktuellen Lage im Zusammenhang mit dem Coronavirus, am Freitag, 11. September 202 ...
Ungenau kommuniziert: Bundesrat Alain Berset.Bild: keystone

Wer immer ein bisschen zu viel isst, nimmt kontinuierlich zu. Sein Gewicht wächst linear. Infektiöse Krankheiten hingegen verbreiten sich immer exponentiell, sobald die Fälle zunehmen: Statt einer oder keiner weiteren Person, steckt ein Erkrankter also zum Beispiel zwei neue Personen an. Wenn die Umstände gleich bleiben, stecken diese zwei wiederum zwei an, womit es vier Neuerkrankungen gibt. Diese sorgen für acht Neuerkrankungen und diese acht (wieder mal zwei) für 16.

1-2-4-8-16-32? ist der altbekannte Faktor «hoch zwei» aus der Schule. Das exponentielle Wachstum eben, das rasch starke Auswirkungen hat. Eine klassische Veranschaulichung ist ein Reiskorn auf dem ersten Schachbrettfeld - fürs letzte Feld bräuchte es einen enormen Reisberg. Auch das Bevölkerungswachstum ist exponentiell - ein Stammbaum verdeutlicht das.

Massnahmen wirken: Langsameres Wachstum als im März

Nun steigen die Corona-Fallzahlen aber nicht sehr rasch an. Sie verdoppeln sich aktuell alle vier bis sechs Wochen. Ein exponentielles Wachstum ist das dennoch - anders als sich Bundesrat Alain Berset in der «Sonntagszeitung» ausgedrückt hat.

Nicola Low, Epidemiologin an der Universität Bern.
Nicola Low, Epidemiologin an der Universität Bern.zvg

Er sagte: «Ich stelle einfach fest, dass wir im Moment kein exponentielles Wachstum haben. Die Fallzahlen sind hoch, steigen aber sehr viel langsamer als im Frühling.»

Darauf korrigierte Nicola Low, Epidemiologin an der Universität Bern und Mitglied der Corona-Taskforce auf Twitter: «Die Anzahl der neuen Covid19-Fälle nimmt definitiv exponentiell zu.»

Tanja Stadler, ebenfalls Mitglied der Taskforce erklärt auf Anfrage weiter:

Exponentielles Wachstum findet immer statt, wenn sich die Zahl der Neuinfektionen in regelmässigen Abständen verdoppeln.
Tanja Stadler, Mathematikerin an der ETH Zürich.
Tanja Stadler, Mathematikerin an der ETH Zürich. ETH Zürich

Also auch, wenn das Wachstum deutlich langsamer ist als noch im März. Es reicht, dass der berühmte R-Wert auf nur 0.1 über 1 steigt. Auf 1.1 liegt er nämlich seit längerem und steht für ein langsames exponentielles Wachstum.

Zwar ist die Zahl der wöchentlichen Tests über Sommer stark angestiegen und eine Erklärung für die steigenden Fallzahlen könne daher das vermehrte Testen sein. Doch liefern 100 gemachte Tests heute mehr positive Resultate als im Juni.

Die sogenannte Positivitätsrate ist gestiegen von ca. 0.4 % im Juni auf momentan rund 3%. Tanja Stadler sagt: «Also steigen die Fallzahlen auch nach Korrektur für vermehrtes Testen.» Kurve wird längerfristig trotzdem steiler.

Bundesratssprecher: «Situation ist mit März nicht vergleichbar»

Bundesratssprecher Peter Lauener sagt zur Aussage Bersets: «Er hat sich darauf bezogen, dass momentan keine so extreme Multiplikation statt findet wie noch im März. Die jetzige Steigerung ist mit damals nicht vergleichbar.»

Dass die Epidemie sich nun viel langsamer verbreitet als noch im März hat damit zu tun, dass die meisten Infizierten nun keine weiteren Personen anstecken, weil sie Hygiene- und Abstandsregeln befolgen und mehr Masken getragen werden.

So kommt es seltener zu Ansteckungs-Ereignisse, wie auch die gefürchteten Super-Spreader-Events, wo durch Nähe, schlechte Luft und lautes Sprechen auf einmal sehr viele weitere Personen angesteckt werden.

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pbel
14.09.2020 21:49registriert April 2017
Bei Epidemien kann es prinzipbedingt kein lineares Wachstum geben, ausser zwei Effekte wirken sich zufällig ganz kurz gleich stark invers entgegen (z.B. Aufbau von Resistent in der Bevölkerung). Ansonsten gibt das einfache Ansteckungsmodell (das oft bis zur Durchseuchung oder Gegenmassnahmen korrekt ist) etwas grösser eins (auch wenn evtl nur 1.0000001) hoch Zeitabschnitt (vereinfacht Inkubationszeit), weil ein kranker mehr als einen anderen Ansteckt. Alles kleiner eins verschwindet nämlich von selbst. Bei Zufällig gleich 1 bleiben die Zahlen konstant.
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