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Corona-Leaks: Bundesräte sehen die Kollegialität gefährdet

Bundesrat Alain Berset, links, und sein Kommunikationschef Peter Lauener steigen ihn ihren Minibus nachdem sie das Drive-In Corona Testzentrum und den Kulturbetrieb in der Kulturfabrik Kofmehl besucht ...
Alain Berset und Peter Lauener 2021 bei einem Besuch eines Testzentrum.Bild: keystone

Wegen dieser Corona-E-Mails sehen Bundesräte die Kollegialität gefährdet

Alain Berset muss sich im Bundesrat erklären, Vizepräsidentin Viola Amherd könnte dabei besondere Rolle zukommen. Die «Schweiz am Wochenende» dokumentiert mit Auszügen aus einigen der E-Mails, die Peter Lauener verschickt hat, wie die Kontakte liefen. Erwähnt wird auch Bundesrat Berset.
21.01.2023, 07:0821.01.2023, 07:11
Francesco Benini und Patrik Müller / ch media
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Der intensive Informationsaustausch zwischen dem Departement von Alain Berset (SP) und dem Ringier-Chef Marc Walder habe mehrere Bundesräte «schockiert». So formuliert es eine bundesratsnahe Quelle. In der Landesregierung habe man zwar vermutet, dass während der Pandemie das Ringier-Blatt «Blick» von Indiskretionen aus Bersets Umfeld profitiert habe, doch «das Ausmass des Informationsaustauschs» habe die Bundesräte «erschüttert». Walder hatte von wöchentlichen Kontakten während der Pandemie gesprochen.

Die «Schweiz am Wochenende» zitierte am vergangenen Samstag aus Einvernahmeprotokollen und E-Mails. Sonderermittler Peter Marti hatte drei Männer vorgeladen: Bersets langjährigen Kommunikationschef Peter Lauener als Beschuldigten (für ihn gilt die Unschuldsvermutung), Ringier-Chef Marc Walder und Bundesrat Berset als Auskunftspersonen.

Diese Woche hielten sich mit Ausnahme von Elisabeth Baume-Schneider (SP) alle Mitglieder des Bundesrats am WEF in Davos auf. Dort gaben die Coronaprotokolle zu reden, vor allem hinter den Kulissen. Öffentlich äusserte sich Ignazio Cassis (FDP) zu den Indiskretionen während der Pandemie. «Ich gehe davon aus, dass das thematisiert wird im Bundesrat», sagte der Aussenminister. Er sei «gespannt» auf die Diskussion im Regierungsgremium.

Dass die «Schweiz am Wochenende» den Fall Lauener-Ringier publik gemacht hatte, verurteilte Berset in Davos. Es gehe nicht, dass ein ganzes Dossier aus einem laufenden Strafverfahren in den Medien lande. Doch die anderen Bundesräte treibt eine andere Sorge am meisten um: Das Vertrauensklima ist nach den Leaks aus dem Departement Berset gestört, das Funktionieren der Kollegialbehörde in Frage gestellt.

Fünf Bundesräte wollen von Berset eine Erklärung

Cassis ist nicht der einzige Bundesrat, der von Berset mehr erfahren möchte. Auch alle anderen in Davos anwesenden Bundesräte – Viola Amherd (Mitte), Karin Keller-Sutter (FDP), Guy Parmelin (SVP) und Albert Rösti (SVP) – fordern, dass sich der Bundespräsident erklärt.

Ein Beobachter sagt, dass Bundesrat Berset am kommenden Mittwoch nicht geschont werden soll. In der Regierung sind Zweifel verbreitet, dass Berset nichts darüber wusste, wie eng der Kontakt zwischen seinem Kommunikationschef und dem CEO von Ringier war und welche Informationen dabei übermittelt wurden.

FDP-Ständerat Andrea Caroni erklärt nun: «Der Bundesrat sollte überlegen, ob nicht Vizepräsidentin Amherd den Teil der Sitzung leitet, in dem es auch um Bundesrat Bersets persönliches heikles Verhalten bezüglich Corona-Leaks geht.» Caronis Einschätzung wird von verschiedenen Exponenten bürgerlicher Parteien geteilt. «Es ist widersinnig, dass Berset die Sitzung führt, wenn die anderen Bundesräte Auskünfte zu den Indiskretionen bekommen wollen, die sein Departement betreffen», sagt ein Ständerat.

Eine Massnahme des Misstrauens

Ein Nationalrat merkt an, dass die anderen Bundesräte Berset mit dieser Massnahme auch ihr Misstrauen kundtäten. Ein Parteifunktionär meint ausserdem: Es sei möglich, dass der Bundespräsident für einige Zeit das Zimmer verlassen müsse, weil sich die sechs anderen Magistraten ohne ihn besprechen wollen. Das gilt aber als unwahrscheinlich.

Ignazio Cassis sagte am Rande des WEF, er sei auch an Informationen zu einem Vorfall interessiert, der ihn direkt betrifft. CH Media hatte am Montag berichtet, dass Sonderermittler Peter Marti Bersets damaligen Kommunikationschef Lauener auch dazu befragte, dass er Ignazio Cassis möglicherweise habe «destabilisieren» wollen.

Denn Lauener hatte sich gegenüber einer «Sonntags-Blick»-Journalistin «gerne» dazu bereit erklärt, sich mit ihr über Cassis auszutauschen. Sie hatte Lauener geschrieben, Cassis sei «immer noch nicht recht im Bundesrat angekommen». Cassis sagte dazu in Davos: «Ich habe das wie viele andere zur Kenntnis genommen und bin gespannt auf die Diskussion, die unter uns geführt wird – um zu verstehen, was zurzeit läuft.»

In Cassis’ Entourage gibt es einige Leute, die finden: Der Chef komme in den Medien zu schlecht weg. Auch darum lande er in den Ranglisten, die zeigen, wie beliebt die Bundesräte in der Bevölkerung sind, stets auf dem siebten Platz. Nun sehen einige den Verdacht bestätigt, den sie schon lange hegen: Es gibt im Departement Berset Mitarbeiter, die im Gespräch mit Journalisten die Fehler und Versäumnisse von Cassis aufzählen – und damit eine gewisse Wirkung erzielen.

Dieser Umstand trägt zum Misstrauen bei, das zwischen den Mitgliedern der Regierung verbreitet sei. «Die Zusammenarbeit war schon vorher nicht besonders gut, nun muss man von einer eigentlichen Krise im Kollegium sprechen», meint ein Insider. Allein die Klärung der Frage, wie offen man die Öffentlichkeit über die Aussprache vom kommenden Mittwoch ins Bild setze, könnte zu einer neuen Belastungsprobe führen.

Berset wurde in E-Mails von Lauener erwähnt

Bersets Kollegen wollen vor allem wissen, ob er in Laueners Austausch mit Ringier involviert war. In der Einvernahme fragte Sonderermittler Marti den Bundesrat, ob er bestreite, dass Lauener dem Ringier-Chef Walder vertrauliche Informationen habe zukommen lassen. Berset antwortete: «Ich weiss es nicht. Ich kann es auch nicht wissen.»

Seinen Bundesratskollegen wird diese Antwort nicht genügen, wie aus dem Gremium verlautet. Ebenso wenig die Argumentationslinie der SP, die im Hintergrund verbreitet wird: Es gehe nur um zwei E-Mails, die Sache sei nicht gross.

Die «Schweiz am Wochenende» publiziert nun weitere E-Mails. Sie legen nahe, dass Berset kaum «nichts» gewusst hat. In mehreren E-Mails von Bersets Kommunikationschef Lauener an Walder ist der Gesundheitsminister explizit erwähnt:

Am Freitag, 6. November 2020, schrieb Lauener: «Freundliche Grüsse auch von Bundesrat Berset», nachdem er Walder darüber ins Bild gesetzt hatte, dass es momentan wenig realistisch sei, für weitere Coronamassnahmen im Bundesrat eine Mehrheit zu finden.

Am Montag, 15. März 2021, informierte Lauener Walder darüber, dass am Freitag im Bundesrat wichtige Entscheide anstünden, ebenso beim Treffen mit den kantonalen Gesundheitsdirektoren in der Folgewoche. «Wenn es Ihnen dient, kann ich gerne einen Austausch mit Bundesrat Berset gegen Ende Woche organisieren», schrieb Lauener.

Am Dienstag, 23. März, mailte Lauener dann an Berset («Ciao Alain»), «wir haben Marc Walder auf 17.30 Uhr gebucht».

Am 29. Juni 2021 orientierte Lauener Walder über die Verschiebung einer Kommunikation. Dann liess er ihn wissen: «Bundesrat Berset findet Ihren ‹Interview›-Vorschlag interessant. Soll ich mit Werner De Schepper weiterschauen, ob, wie, usw.» De Schepper ist der Chef des Magazins «Interview by Ringier», in dem dann Berset später tatsächlich auch einen prominenten Auftritt hatte.

Diese ausdrückliche Involvierung in der Kommunikation dürfte für Berset im Gremium schwer zu rechtfertigen sein. Politologe Claude Longchamp wies schon im ersten Bericht der «Schweiz am Wochenende gegenüber dem Schweizer Fernsehen darauf hin, dass ein «Klima des Misstrauens» jeder Konsenssuche abträglich sei.

Wahl zum Bundespräsidenten wäre gefährdet gewesen

Der St.Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth sagte im «Club» des Schweizer Fernsehens: «Stellen Sie sich die Situation im Bundesrat vor, wenn sie jeweils am Mittwoch tagen und permanent diese Indiskretionen haben. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit? Die Mitglieder sind oft miteinander zusammen, um die wichtigsten Probleme des Landes zu besprechen, und dauernd sind sie unsicher, ob sie etwas überhaupt offen auf den Tisch legen können.»

Ein hochrangiger Mitarbeiter eines Bundesratsmitglieds hält die Tragweite der Corona-Indiskretionen für derart gross, dass er sagt: «Wären die Aktivitäten von Bersets Kommunikationschef vor der Bundespräsidentenwahl aufgeflogen, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ins Amt gewählt worden.» Berset hatte am 7. Dezember nur 140 Stimmen erhalten; hätten ihm wegen der Corona-Leaks 20 Parlamentarier ihre Stimme verweigert, wäre er durchgefallen.

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dega
21.01.2023 11:11registriert Mai 2021
Krass, jetzt kommt das Kollegialitätsprinzip zum Zug. Wo war es als einer der SVP mit den Trychlern anzutreffen war und ständig quer geschossen hat gegen den BR? Doppelmoral vom feinsten!
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Lil-Lil
21.01.2023 09:44registriert Februar 2021
Ist das der Grund für die verpennte zweite Welle? BR Berset erzählte ja damals Woche für Woche bei exponentiellem Wachstum der Patienten, „die Lage ist stabil“.
Kollegialität mit der bürgerlichen Mehrheit um jeden Preis?

„Am Freitag, 6. November 2020, schrieb Lauener: «Freundliche Grüsse auch von Bundesrat Berset», nachdem er Walder darüber ins Bild gesetzt hatte, dass es momentan wenig realistisch sei, für weitere Coronamassnahmen im Bundesrat eine Mehrheit zu finden.“ (Also wegen der bürgerlichen Mehrheit).
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fireboltfrog
21.01.2023 09:33registriert Januar 2018
Da diskutier der Kommunikationsverantwortliche eines Bundesrat mit einem der grössten Zeitungen im Land, darüber einen Amtskollegen zu Destabilisieren und gewisse Leute fragen sich noch ob hier das Kollegialitätsprinzip verletzt wurde. Berset muss gehen, so kann der Bundesrat nicht funktionieren.
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