Über 300 Corona-Patienten auf den Schweizer Intensivstationen – das sind die Folgen
Die Science Taskforce hat es vorausgesagt: Noch im Verlaufe des Dezembers würden bei gleichbleibender Dynamik 300 Covidpatient:innen auf den Schweizer Intensivstationen liegen, hiess es im wissenschaftlichen Update vom 23. November.
Dennoch verzichtete der Bundesrat tags darauf, weitere Massnahmen gegen das Coronavirus zu ergreifen. Alain Berset meinte an einer Medienkonferenz: «Aktuell ist die Belastung mit Corona-Patienten auf den Intensivstationen relativ tief.»
Nun, drei Wochen später, ist genau das eingetroffen, was die Wissenschaftler:innen prognostiziert haben. Die 300er-Grenze wurde überschritten. Am Mittwochmorgen lagen in der Schweiz 303 Covidpatient:innen auf den Intensivstationen, momentan sind es 289.
Das sind die Folgen
Dies hat Folgen für die Qualität der Behandlung. Die Science Taskforce schreibt: «Ab rund 300 COVID-19 Patient:innen auf der Intensivstation kann die gewohnte Behandlungsqualität nicht mehr aufrechterhalten werden und implizite Triage findet statt.» Mit implizierter Triage ist gemeint, dass etwa erkrankte Personen gar nicht mehr ins Spital gebracht werden, sondern im Altersheim bleiben müssen.
Die Einschätzung der Taskforce deckt sich mit den Erfahrungsberichten der vergangenen Tage. Seit Anfang Dezember häufen sich die Warnzeichen von den Personen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Chefärzte sprechen von «Albträumen» und «wirklich schlimmen» Situationen in den Spitälern. Nicht nur in der Zentralschweiz sind Triagen bei der Vergabe der Intensivbetten bereits Realität.
Auch im Verlauf dieser Woche kamen Alarmsignale von der Front. «Aufgrund der zunehmenden Anzahl von Covid-19-Patienten kommt es zu einer Einschränkung der Gesundheitsversorgung auch für andere Patienten», schrieben die Thurgauer Kantonsspitäler am Montagabend in einer Mitteilung.
Die Spitäler warnen davor, dass bald nur noch Covid-Patient:innen auf den Intensivstationen liegen könnten. «Ein Covid-19-Patient benötigt Ressourcen, die sonst etwa 10 Patienten zur Verfügung stehen würden. Die längere Liegedauer führt auch unweigerlich dazu, dass mit der Zeit nur noch Covid-19-Patienten auf der Intensivstation liegen, wenn man nicht die Anzahl der für sie zur Verfügung stehenden Plätze begrenzt.»
Aktuell werden im Thurgau 14 Covidpatient:innen und 10 Nicht-Covidpatient:innen auf den Intensivstationen behandelt. Man könne keine weiteren Intensivbetten in Betrieb nehmen, da dazu das Personal fehle, heisst es aus dem Thurgau weiter.
Von einer prekären Personalsituation spricht am Mittwoch auch der Bund. «Engpässe beim Fachpersonal führen dazu, dass es den Spitälern und Intensivstationen kaum mehr möglich ist, kurzfristig zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu stellen», steht in einer Mitteilung, die vom Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) verschickt wurde. Es gelte aufgrund der starken Zunahme von Spitaleintritten, «weitere nicht dringliche Eingriffe zugunsten der Verfügbarkeit von Intensivplätzen» zurückzustellen.
Die nächste Grenze
Operationen werden verschoben, Triage auf den Intensivstationen ist bereits Tatsache und es mangelt an Fachpersonal. Keine guten Aussichten für diejenigen, die in den kommenden Tagen auf Spitalpflege angewiesen sind. Und die Lage dürfte sich weiter verschärfen. Die Infektionszahlen sind nach wie vor hoch, auch unter den Pflegenden dürfte es weiter viele Erkrankte geben, was die Personalsituation weiter verschlechtert.
Die Fallzahlen haben sich in den vergangenen Tagen auf sehr hohem Niveau stabilisiert. Nicht aber die Hospitalisationen, sie steigen weiter an. Es ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der Intensivpatient:innen in den kommenden Tagen weiter steigen wird, zumal neben der Delta-Variante sich jetzt auch noch Omikron schnell ausbreitet.
Tanja Stadler rechnet damit, dass Omikron bereits Anfang 2022 die dominante Variante in der Schweiz sein wird. Dies dürfte das Gesundheitssystem noch stärker belasten, wie die Taskforce-Präsidentin am Dienstag sagte.
Diese Medikamente braucht ein Covid-Patient auf der Intensivstation
«Wir gehen davon aus, dass die Krankheitsverläufe von Omikron mit jenen der Delta-Variante vergleichbar sind», meinte Stadler. Es gebe keine belastbaren Daten, wonach die Verläufe milder als bei der Delta-Variante seien. Da die Omikron-Variante aber ansteckender sei, würden sich die Spitäler schneller füllen.
Schaffen wir keinen Turnaround, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die dritte Grenze überschritten wird, die die Taskforce am 23. November definierte. Dann, wenn 400 Covid-Patient:innen auf den Intensivstationen liegen. Die mit dem vorhandenen Intensivfachpersonal betreibbaren Intensivbetten wären bei dieser Grenze erschöpft.
Die Aussichten wären gemäss Taskforce düster: «In dieser Situation kommt es zu regelmässigen Verschiebungen von Patient:innen, es werden alle nicht-dringlichen Interventionen gesamtschweizerisch gestoppt, Hilfspersonal wird in grösserem Stil auf den Intensivstationen eingesetzt, es werden ad hoc Betten aufgebaut werden und die Behandlungsqualität wird sinken.»
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