Warum noch zwei, drei Wochen auf die Booster-Impfung warten, wenn man sie sofort haben kann? Warum die 6-Monate-Frist einhalten, wenn andere Länder schon nach vier oder fünf Monaten boostern? Das hatten sich viele gesagt, die von den Ausnahmen im Zürcher Impftram erfahren haben. An Weihnachten einen fast hundertprozentigen-Impfschutz zu haben - das war ihnen eine Stunde anstehen im Regen wert. Auch am Mittwoch wieder.
Wie Augenzeugenberichte und Beiträge in den sozialen Medien zeigten, bekam man bisher im Impftram gegen Unterschrift auf einem Ausnahmeformular, die dritte Spritze, auch wenn die zweite noch nicht 6 Monate her war. Das Formular war nötig, weil der Booster offiziell erst nach Ablauf der Frist zugelassen ist.
Doch seit heute Donnerstag ist Schluss damit. Welche Verantwortlichen auch immer angesichts der hohen Fallzahlen pragmatisch gehandelt haben - sie wurden offenbar zurückgepfiffen. Nun ist Boostern wieder strikte erst sechs Monate nach der zweiten Impfung erlaubt. Dies zeigt der Bericht eines Augenzeugen.
Als sich der Augenzeuge am Donnerstagmorgen kurz vor 10 Uhr bei der Station Burgwies in Zürich einfand, traf er auf ein Schlange von rund zehn Impfwilligen vor dem Tram, ein halbes Dutzend Sicherheitsleute und ein Schild, auf dem steht, dass nur einen Booster erhält, wer die zweite Impfung vor dem 10. Juni bekommen habe.
Die Weisung gelte seit gestern Mittwoch, sagte ein Sicherheitsmann gemäss dem Augen- und Ohrenzeugen. Also seit die Anfrage zum toleranten Impftram dieser Zeitung bei der Gesundheitsdirektion einging.
Zum Verhängnis wurde die neue Weisung einer Frau, die am 10. Juni 2021 ihre zweite Spritze bekam. Sie wurde gemäss dem Augenzeugen abgewiesen. Erst am Freitag ist sie reif für den Booster. Der Beobachter sagt:
Laut der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, hat es die Ausnahmen im Impftram gar nie gegeben. Tags zuvor am Mittwoch schrieb der Kommunikationsdienst auf Anfrage noch: «Es gibt keinen Kulanzbereich. Boosterimpfungen sind nur auf Anmeldung über das kantonale Impftool möglich, sechs Monate nach der Grundimmunisierung.» Auch ausserkantonale Personen seien nicht zugelassen. Dass das Impftram ganz offiziell ein Walk-in-Angebot ohne Terminvereinbarung ist, wurde in der Antwort ignoriert.
Auf telefonische Nachfrage wurde man gebeten, die Fragen noch mal schriftlich einzureichen, zum Beispiel jene, warum es denn ein offizielles Formular gebe für Off-Label-Impfungen, wenn diese gar nicht erlaubt seien. Der Leiter der Kommunikation, Patrick Borer, antwortete: «Es besteht kein Widerspruch: Die Erst- und Zweitimpfung erhält man beim Impftram auch ohne Terminvereinbarung. Boosterimpfungen setzen grundsätzlich eine Terminvereinbarung voraus.» Nur in Einzelfällen könne in Impfzentren und im Impftram in Absprache mit dem Arzt eine Boosterimpfung verabreicht werden, auch wenn noch nicht sechs Monate vergangen seien.
Wie auch immer, der Fall zeigt: Viele Leute würden sich boostern lassen vor Weihnachten, wenn nicht strikt auf den sechs Monaten beharrt würde – und genug Angebote vorhanden wären. Der Kanton Zürich macht zwar vorwärts mit den Drittimpfungen, doch offenbar haben unter 65-Jährige nun Mühe einen Booster-Termin zu erhalten, selbst wenn die sechs Monate abgelaufen sind: So schreibt eine Leserin, auf dem Impfportal VacMe seien die Termine auf unbestimmte Zeit verschoben worden, obwohl sie nun dran wäre. «Wir können uns nicht anmelden und eine SMS haben wir auch nicht mehr erhalten. Die Stadt Zürich hat den festgelegten Zeitpunkt aus VacMe gestrichen.» Die Frau und ihr Mann ärgern sich darüber, dass Vordrängler und Ausserstädtische im Tram geimpft worden sind.
Ein Sprecher der Gesundheitsdirektion widerspricht dieser Wahrnehmung einer Leserin. Es gebe genügend freie Termine, um sich in Stadt und Kanton Zürich boostern zu lassen. Zum Beispiel diesen Sonntag, 12. Dezember im Impfzentrum in Zürich-Oerlikon. (Infos und die Möglichkeit zur Anmeldung dazu gibt es hier)*
Auch in anderen Kantonen ist die Empörung über die Impfbürokratie zu hören. Ein Leserin berichtet von ihrem Erlebnis beim Impfzentrum des Kantonsspitals Aarau. Obwohl sie bei der Anmeldung angegeben habe, dass ihr zweite Impfung noch nicht sechs Monate her ist, bekam sie einen Termin. Als sie vor Ort war, wurde sie abgewiesen. Sie schreibt:
* Der Artikel wurde um die Information zu freien Booster-Terminen in Zürich ergänzt.
Wer auch immer für diese Regelauslegung und Planung der Zentren zuständig ist, kriegt von mir den inoffiziellen Vollpfosten-Award.
Schon mal jemand dran gedacht, dass die Politik- & Staatsverdrossenheit eigentlich grossteils Bürokratieverdrossenheit ist? Nein? Dachte ich mir...