Wie sieht die Zukunft einer nachhaltigen Landwirtschaft aus?
Vielleicht so:
Kinder kuscheln Kühe, die bis ins hohe Alter auf ihren Weiden fläzen. Bienen summen zwischen Bäumen, an deren Äste alte Obstsorten hängen. Im Schatten der Bäume pflückt eine Kundin Beeren. Schafe grasen auf saftigen Wiesen, dazwischen scharren vereinzelt Hühner. Daneben lernt eine Schulgruppe alles über die Biodiversität, während sie auf einem reifen Feld steht, das von Bäumen umgeben ist. An diesem Ort geben natürliche Abläufe den Takt vor. Und mittendrin steht das Bauernpaar, das dies alles erschaffen hat: Thomas Reinhard und Fabienne Meier.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn Reinhard und Meier haben gerade erst begonnen, ihren Bio-Legehennen-Betrieb auf diese Vision umzustellen. So wollen sie dem Klimawandel, den kaputten Böden und der industriellen Nutztierhaltung die Stirn bieten.
Ein Hofbesuch bei einem Bauernpaar, das sich an eine «TransFARMation» wagt.
Der 36-jährige Reinhard hatte den Naturhof Waltwil4 2016 gepachtet und 2018 gekauft. Seine Partnerin Fabienne Meier (34) und er leiten den Bauernhof nun in vierter Generation. Der Vater von Reinhard hat den Betrieb in den 1990er Jahren auf Bio umgestellt, um qualitative Lebensmittel zu produzieren.
Doch Bio reicht dem jungen Bauernpaar nicht mehr: Sie haben im Januar dieses Jahres den Prozess gestartet, ihren Hof in einen Lebenshof umzuwandeln – ein Konzept, bei dem die natürlichen Abläufe und Biodiversität im Zentrum stehen und Tiere keine Nutztiere mehr sein müssen. Meier sagt: «Wir gehen hier durchaus einen Schritt weiter als Bio. Was wir hier machen, machen wir aus ethischen und aus ökologischen Gründen». Das Ziel: Zurück zum natürlichen Kreislauf und langfristig eine neue und nachhaltige Landwirtschaft kreieren.
Unsere Hoftour beginnt im Hühnerstall. Dort, wo das Bedürfnis der Umstellung aus der Notwendigkeit heraus entsprang.
Der Hof lebt bis anhin von der Produktion von Bio-Eiern. Dazu lebten 2000 Hybrid-Legehennen in einem veralteten Stall mit Auslauf auf eine Wiese. Doch genau diese Haltungsform wurde zum Problem: Da die Tiere immer auf derselben Fläche lebten, haben sich Krankheiten und Parasiten im Boden eingenistet, die für die Hühner teilweise tödlich waren.
Dazu kommt die Praxis des sogenannten «Ausstallens», mit der sich das Bauernpaar nicht mehr identifizieren kann: Hybrid-Legehennen legen ab dem 5. Lebensmonat regelmässig ihre Eier – rund 320 in einem Jahr, wie Gallo Suisse, der Lobby-Verband der Eierproduzenten, schreibt. Danach nimmt die Legeleistung ab und das Huhn ist nicht mehr rentabel. Darum werden Legehennen ab 1,5 Lebensjahren «ausgestallt». Also geschlachtet, obwohl es eigentlich gesunde Tiere wären.
So wollten die jungen Landwirte nicht mehr weitermachen. Doch wie weiter?
«Nach langer Recherche kamen wir auf das Konzept Lebenshof», erklärt Meier. Beraten und unterstützt werden Reinhard und Meier vom Verein Hof Narr, einem Landwirtschaftsbetrieb, der das Konzept «Lebenshof» vorlebt und willige Bauern auf ihrem Weg mit Rat und Tat zur Seite steht. Zudem werden sie vom Verein während der ersten Zeit finanziell unterstützt. «Ohne diese Unterstützung wäre die Umstellung nicht möglich.»
Der erste Schritt für den Naturhof in seiner Transformation zum Lebenshof war, den Legehennen-Bestand drastisch zu verkleinern: von 2000 Tieren auf 250. Die überschüssigen Tiere wurden an Privatpersonen vermittelt, sagt Reinhard. Von den frischgebackenen Hühnerbesitzern nahmen einige zwei Hühner mit, andere bis zu 20.
In einem nächsten Schritt sollen die verbliebenen Hühner in einen fahrbaren Stall umziehen, der zwischen verschiedenen Hofparzellen zirkuliert. Damit könne der Boden geschont werden und die Hühner blieben gesünder, erklärt Meier.
Die rund 200 Eier, die heute täglich produziert werden, spenden die Bauern an die Schweizer Tafel und verkaufen sie im kleinen Hofladen. Ein paar verkauft auch der Bio-Gemüsebauer auf dem Markt.
Durch die Reduktion der Legehennen ist für das Bauernpaar die Haupteinnahmequelle komplett weggebrochen: «2000 Hühner gelten als Minimum, wenn Eier das Hauptstandbein eines Betriebs sind. Das ist eigentlich verrückt», sagt Meier.
Mittlerweile stehen wir auf dem Auslaufgelände der Hühner im Schatten eines Baumnuss-Baums, aus dessen Früchten später im Jahr Baumnussöl gepresst wird. Ein paar vorwitzige Hennen picken an unseren Schuhen herum oder flattern unsere Beine hoch. Neben den Hühnern wären auf dieser Fläche noch sieben Schafe zu Hause. Doch wir bekommen nur die auffällig verfressene Tilly zu Gesicht.
So verfressen sei Tilly, weil das Schaf so gezüchtet wurde, dass es möglichst schnell ein Schlachtgewicht erreicht, sagt Reinhard. Gezüchtet, nur um fett zu werden – auch das ein Phänomen, das zeige, dass Nutztierhaltung nicht artgerecht sei.
Plötzlich wird es hektisch, denn Reinhard will eine Henne einfangen. Das Tier hat Blut am Schwanz, was sehr gefährlich werden könne, da die anderen Hühner die blutige Stelle pickten und das Huhn noch mehr verletzten. «Hühner sind manchmal gemein untereinander.» Ein weiterer Grund, den Tierbestand zu reduzieren, so der Bauer. Man verliere ab einer gewissen Zahl Tiere das einzelne Huhn aus den Augen, denn Hühner würden ihre Schmerzen verstecken.
Doch wenn die Einnahmequelle der Eier wegfällt, wovon wollen die beiden künftig leben?
Klar ist: Der Hof soll durch mehrere finanzielle Standbeine verankert werden. «Wenn ein Projekt nicht gelingt, dann fällt nicht gleich alles zusammen», meint Meier. Das erste Standbein haben sich die beiden im Oktober 2019 aufgebaut, mit einer tiergerechten Pferdepension. Dies sei aber nur ein kleiner Zustupf.
Neu sollen Veranstaltungen oder Kurse rund um den Hof Einnahmen generieren. Neben den Veranstaltungen sollen auch die Tiere Menschen auf den Hof locken. Dazu soll jedes Hoftier einen oder mehrere Paten bekommen. Das Patentier darf man jederzeit besuchen und so «seine individuellen Flausen entdecken».
Die Suche nach Tierpaten hat eben begonnen: Hühner, Schafe und Kühe suchen einen Götti oder eine Gotte. Diese bezahlen für mindestens ein Jahr einen monatlichen Betrag, der die Lebensunterhaltskosten sowie die angenommenen Einnahmen deckt, die man bei einer Nutztierhaltung generieren könnte.
Als Beispiel: Eine Kuh bringt pro Jahr ein Kälbchen auf die Welt, das in absehbarer Zeit geschlachtet werden soll. Die Paten übernehmen für die Kuh die Lebensunterhaltskosten sowie den Betrag, welches ein potenzielles Kälbchen einbringen würde.
Auf dem Naturhof geht es nicht nur um die Ethik im Umgang mit den Hoftieren, sondern auch um Biodiversität und natürliche Lebensräume. Denn diese litten massiv unter unserem Lebensstil und der Landwirtschaft. «Wir müssen wieder lernen, wie die Natur funktioniert», so Meier.
Um das zu erreichen, plant das Paar auf dem Hof eine mindestens ein Hektar grosse Permakulturanlage aufzuziehen: Obstbäume, Wildobstsorten und Beerensträucher sollen im Herbst gepflanzt werden und ein selbsterhaltendes Ökosystem bilden. Dazu sollen weitere Lebensräume kommen, wie zum Beispiel ein Teich oder vielleicht ein Gemüsegarten.
Auf den weiteren acht Hektar Feldern und den zusätzlich gepachteten neun Hektar Flächen sollen Lebensmittel wachsen, die weniger Dünger brauchen als der Futtermais, der wegen der 2000 Hühner bisher angebaut werden musste. Die Tiere produzierten nämlich so viel Dünger, dass zum Ausgleich starkzehrende Pflanzen angebaut werden mussten.
Weiter ist Agroforst geplant. Dabei werden zwischen die Ackerkulturen Bäume gepflanzt. So soll ein Naturparadies für hunderte Tier- und Pflanzenarten entstehen. Immer mit dem Hintergedanken, dass Natur und Tiere durch die Produktion von Lebensmitteln keinen Schaden nehmen.
Die beiden sind sich bewusst, dass diese Art der Landwirtschaft «arbeitsintensiver» sei, da man im Gegensatz zu Monokulturen weniger mit Maschinen arbeiten könne bei einer Permakultur, wie Meier betont. Aber: «Man kann Produkte verkaufen und es zeichnet den Hof als solchen aus.»
Das Lebenshofkonzept mit seinen vielseitigen Lebensräumen, tierischen Botschaftern und Hofveranstaltungen wollen Reinhard und Meier nicht als grundsätzliche Kritik an der konventionellen Nutztierhaltung oder dem Konsum von tierischen Lebensmitteln verstanden wissen. «Wir sind keine Moralapostel oder Aktivisten.»
Aber sie sagen, dass schon viel gewonnen wäre, wenn jede und jeder die intensive Tierhaltung mehr infrage stellen würde. «Darum wollen wir den Landwirten zeigen, dass man auch mit weniger Tieren gut leben kann. Und wir wollen den Konsumenten aufklären, dass es Alternativen zu Fleisch und Eiern gibt.» Von der Politik erhoffen sie sich, dass künftig pflanzliche Lebensmittel im gleichen Mass subventioniert werden wie tierische.
Wir schlendern auf die Kuhweide. Dort liegen fünf Kühe im Schatten der Bäume. Ursprünglich sollten sie nach wenigen Jahren als Fleisch auf den Tellern landen. Doch im Lebenshofkonzept werden sie «verpatet» und so zu Botschaftern der Vision von Reinhard und Meier.
Tiere wie Kühe, Schafe und Pferde gehören zu den standortgerechtesten Tieren in der Schweiz. Denn auch Wiesen müssten bewirtschaftet werden und die Kuh sei dafür prädestiniert. «Die Wiesen mit der höchsten Biodiversität sind erst durch den Menschen und die Viehwirtschaft entstanden. Damit sie weiterhin bestehen, braucht es Tiere als Landschaftspfleger. Darum kann auch die Landwirtschaft der Zukunft nicht auf Hoftiere verzichten. Aber wir müssen die Waagschalen wieder in ein Gleichgewicht bringen», erklärt Meier.
Eine dieser Botschafterinnen und Landschaftspflegerinnen trabt uns nach wenigen Minuten entgegen. Es ist Daisy. Daisy möchte am liebsten den ganzen Tag gestriegelt werden und schubst, stupst und schnaubt Meier liebevoll an, immer wenn diese aufhört, mit dem Striegel Daisys Fell zu bearbeiten. Einen Paten für Daisy zu finden, wäre der nächste Meilenstein der Transformation.
«Ich habe schon das Gefühl, dass andere Bauern uns manchmal für verrückt erklären», sagt Meier am Ende des Hofrundgangs. Aber: Sollten die beiden mit ihrer Vision scheitern, zurück zum Eierbetrieb geht es nicht mehr: «Wir haben bereits beschlossen: Wenn es so nicht klappt, dann hören wir auf.»
Im schlimmsten Fall würden die beiden ihr Glück ausserhalb der Landwirtschaft suchen und in ihre erlernten Berufe – Koch und Behindertenbetreuerin – zurückkehren. Doch so weit soll es nicht kommen.
Ich drücke den beiden die Daumen.
Es ist eine Schande, wie wir mit der Natur umgehen. Nicht nur Bauern sondern auch Hobbygärtner und Litterer! Pestizide und englischer Rasen im Blumengärtchen und Zigistummel und Redbull-Dosen im Wald.
Es wird nicht viel von jedem verlangt, aber selbst für das bisschen Veränderung ist die Gesellschaft zu verwöhnt. Schade.