«Beschämend», sei es, was die Stadt Zürich mache. Dazu ein Bild einer toten Taube am Bahnhof Stadelhofen. Diesen und ähnliche Posts findet man zurzeit auf den sozialen Medien.
Stadttauben – sie sind ein emotionales Thema.
Die einen ekeln sich vor ihnen, die anderen wollen ihren schlechten Ruf revidieren und setzen sich für einen artgerechten Umgang mit den Tieren ein.
Und in der grössten Stadt der Schweiz kochen die Emotionen wegen der Tauben gerade über. Denn Tierschützer erheben den Vorwurf, dass Zürich die Stadttauben «absichtsvoll und systematisch» zu Tode hungern lasse, um ihre Zahl zu dezimieren.
Was ist da los in Zürich?
Seit Anfang dieses Jahres gilt im Kanton Zürich ein neues Jagdgesetz. Und das betrifft nicht nur Hündeler – diese müssen ihre Lieblinge jetzt nämlich im und beim Wald während der Brut- und Setzzeit an der Leine führen –, sondern auch Vogelfreunde.
Denn Wildtiere dürfen nicht mehr gefüttert werden. Und zu den Wildtieren gehören nicht nur Tiere wie Greifvögel oder Füchse – sondern auch «verwilderte Haustauben». Die Begründung für das Fütterungsverbot im Kanton Zürich:
Vom Verbot nicht betroffen sind Wasservögel oder Eichhörnchen, die weiterhin mit kleinen Mengen gefüttert werden dürfen. Auch Vogelhäuschen für Singvögel sind weiterhin erlaubt.
Mit dem Jagdgesetz will der Kanton erreichen, dass der Schutz für Wildtiere und ihrer Lebensräume sichergestellt werden kann – oder sogar verbessert. Aber auch Schäden vom Wildtieren an landwirtschaftlichen Kulturen oder Nutztieren sollen «auf ein tragbares Mass» begrenzt werden.
«Als Wildtiere werden in Zürich – aus rechtlicher Sicht fragwürdig – auch Stadttauben (verwilderte Haustauben) betrachtet», schreiben die Juristen von Tier im Recht auf Instagram.
Mehrere wissenschaftliche Studien – die das Verhalten und die Genetik von Stadttauben weltweit untersucht haben – zogen einhellig den Schluss, dass Stadttauben von Haustauben abstammen. Stadttauben seien domestizierte Tiere und keine Wildtiere, sagen Forschende und Tierschützer. Und das hat mit ihrer Geschichte zu tun:
«Tauben werden seit über 7000 Jahren domestiziert», sagt Sabine Ruch vom Verein Stadttauben Schweiz. Bereits im Neolithikum wurden wilde Felsentauben (columba livia) systematisch von Menschen gefangen und zu den verschiedenen Haustaubenrassen gezüchtet – als Fleisch- und Eierlieferanten. Später wurden auch Brieftauben oder Hochzeitstauben gezüchtet – «zur Unterhaltung», so der Umwelt- und Tierrechtsaktivist Robert Rauschmeier von der Tierrechtsorganisation Zurich Animal Save.
Tatsächlich stammen die verwilderten Stadttauben in unseren Städten von diesen Haustauben ab. Diese wurden und werden nämlich immer wieder freigelassen oder entfliehen – um sich dann im städtischen Lebensräumen, in der Nähe von Menschen, anzusiedeln. Darum zeigten die verwilderten Stadttauben in den Schweizer Städten auch die typischen Zuchtmerkmale, so Rauschmeier gegenüber watson:
Ruch betont, dass Stadttauben in ihrer Wildform als Felsentaube nie in unseren Breiten ansässig waren – sondern eigentlich aus dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten kommen.
Trotzdem hat sich die Taube fast auf der ganzen Welt verbreitet und gehört zu einer der erfolgreichsten Vogelarten überhaupt. Doch, so Rauschmeier:
Und was sagt die Stadt Zürich dazu, dass die Stadttauben im neuen Jagdgesetz des Kantons als Wildtiere gelten?
Marc Werlen, Leiter Kommunikation Grün Stadt Zürich, schreibt auf Anfrage, dass diese Kategorisierung der Taube als Wildtier nicht von der Stadt Zürich komme. Sie sei vielmehr im Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel für die ganze Schweiz geregelt.
Redewendungen wie «Tauben sind die Ratten der Lüfte» zeigen, mit welchen falschen Vorstellungen die Vögel assoziiert werden. Tauben sind dreckig und übertragen Krankheiten, so die weitverbreitete Annahme.
Auch die Stadt Zürich gibt online Auskunft, dass gerade Taubenkotverschmutzungen bei vulnerablen Personen gesundheitliche Probleme zur Folge haben könnten:
Doch das stimme so nicht, kontert Rauschmeier. Medizinisch sei mittlerweile widerlegt worden, dass Tauben Krankheitserreger auf den Menschen übertrügen. So seien Tauben «nicht gefährlicher als Katzen oder Hunde».
Die falschen Mythen hätten aus der Stadttaube «einen soziokulturellen Sündenbock gemacht, ein scheissendes, krankmachendes Etwas», wie Ruch es formuliert. Der Tierschützer Rauschmeier appelliert an die Bevölkerung:
Zurück zum neuen Fütterungsverbot in Zürich.
Die Stadt Zürich schreibt, dass in der Stadt rund 16'000 Tauben leben. Tierschützer wie Ruch bezweifeln die Zahl. Auch der bekannte Augsburger Taubenexperte Rudolf Reichert meinte in einem Interview, dass die kursierenden Zahlen meist viel zu hoch seien.
Die Tierschützer sagen, dass es derzeit auffällig sei, dass mehr erschöpfte und kranke Tauben in der Stadt unterwegs seien als früher. Auch der Tierrettungsdienst würde vermehrt Anrufe wegen kranken und toten Tauben erhalten.
Werlen von der Stadt Zürich widerspricht: Man habe keinen signifikanten Anstieg von toten Tieren verzeichnet. Zudem könne derzeit keine Aussage darüber gemacht werden, ob die Tiere kränker seien als vor dem Fütterungsverbot.
Online klärt die Stadt auf, dass «Stadttauben in Zürich zu jeder Jahreszeit so gut genährt sind, dass sie sogar im Winter erfolgreich brüten und Junge aufziehen». Für die Tierschützer hingegen ist klar, dass die Stadttauben auch dann brüten, wenn sie nicht genug Futter finden — denn dazu wurden sie nunmal gezüchtet: «Der Brutdrang ist während der Domestizierung angezüchtet worden», so Ruch.
Auf den sozialen Medien, aber auch seitens des Vereins Stadttauben Schweiz wird der Vorwurf erhoben, dass die Stadt Zürich sich eine «Bestandsregulierung» erhoffe durch das Fütterungsverbot – «was in diesem Fall nichts anderes heisst als behördlich angeordnetes Verhungernlassen eines Haustieres». Für die individuelle Taube bedeute das:
Werlen von der Stadt Zürich betont, dass die Stadt Zürich hinter der Haltung des Kantons stehe, «dass wild lebende Tiere nicht auf die Fütterung von Menschen angewiesen sind». Und er sagt gegenüber watson:
Die Tauben in Zürich vertilgen häufig Abfälle: Pommes, Döner, Abfälle, Erbrochenes oder Hundekot. Doch dies ist alles andere als artgerecht: Tauben sind eigentlich Körnerpicker – genau wie die Felsentaube, von der sie abstammen.
Durch die falsche Nahrung bekommen die Vögel weissen, schmierigen Durchfall, wie er überall im Stadtbild zu sehen ist. Allein in der Stadt Zürich fallen jährlich 80 Tonnen Taubenkot an.
Dabei würde normaler Taubenkot – feste, trockene Kotkringel – keine Gebäude beschädigen, so Rauschmeier. Seine Aussage wird gestützt von einem wissenschaftlichen Gutachten der Universität Darmstadt.
Auch eine Chemikerin des deutschen Tierschutzbundes Wildvogelhilfe schreibt, dass der PH-Wert von Taubenkot bei Stichproben «bei einem Wert zwischen 5,3 und 5,7» gelegen habe. Dieses Milieu, habe keine ätzende Wirkung auf Mauerwerk. Der Tierschutzverein Augsburg, wo ein besonders beachtetes Taubenkonzept betrieben wird, stützt diese Aussage ebenfalls: «Taubenkot hat, entgegen landläufiger Meinung, keine stark ätzenden Eigenschaften.»
Doch der Bund ist nicht derselben Meinung. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen schreibt auf seiner Homepage: «Treten die Tauben in grosser Zahl auf, können sie mit ihrem Kot Gebäude erheblich beschädigen.» Und auch die Stadt Zürich vermerkt auf ihrer Webseite: «Taubenkot kann Fassaden angreifen und Schäden verursachen.»
Und nicht nur der Kot ist ein Problem in den Augen der Stadt. Fütterung führe zu grossen Taubenschwärmen an einzelnen Orten. Die dort täglich ausgestreuten «dutzenden Kilo Futter» würden neben den Tauben auch Möwen und Ratten anziehen, so Werlen.
Der Verein Stadttauben Schweiz hat kürzlich eine Petition gestartet. Denn dass Tauben auch von dem neuen Jagdgesetz betroffen sind, würde «Tierqual» bedeuten und dem geltenden Tierschutz widersprechen.
Als artgerechte Lösung für den Umgang mit Tauben führen die Tierschützer den Taubenschlag nach dem Augsburger Modell ins Feld. Er ermögliche eine artgerechte Fütterung und ein kontrolliertes Dezimieren der Population.
In diesen betreuten Vorrichtungen werden die Tauben nicht nur mit Körnern gefüttert, sondern ihre Eier werden durch Attrappen ausgetauscht, um die Population zu kontrollieren.
In Städten wie Aarau, Bern oder Olten ist der Augsburger Taubenschlag bereits erfolgreich im Einsatz – ein« vorbildliches Stadttaubenmanagement» werde dort betrieben, attestieren die Tierschützer.
Allerdings sind die Tauben nicht davor gefeit, auch bei erfolgreichem Betrieb von Augsburger Taubenschlägen weiterhin Abfall zu fressen, denn die Körner gibt es auch im Augsburger Modell nur im Schlag.
In Zürich stehen bereits drei Taubenschläge nach dem Augsburger Modell, die von Privatpersonen betreut werden. Doch es bräuchte wohl viel mehr, um die Taubenpopulation sinnvoll zu kontrollieren. Die Stadt bestätigt gegenüber watson, dass sie nicht grundsätzlich abgeneigt sei, noch mehr solche Taubenschläge aufzustellen:
Die Stadt Zürich gehe also davon aus, dass Stadttauben genügend Nahrung finden. Sie sei aber zusätzlichen Massnahmen gegenüber grundsätzlich offen, sollten sie denn aus ihrer Sicht nötig sein. Die Vogelschützer sehen allerdings jetzt Handlungsbedarf, um Lösungen für einen artgerechten Umgang mit Stadttauben und eine vertretbare Regulierung der Population zu finden. Rauschmeier äussert sich gegenüber watson:
Wobei ich schwer bezweifle, dass Tauben dazu nicht in der Lage sind.