Reinhard Lutz, geboren 1955, wächst in Männedorf, einer beschaulichen Gemeinde am rechten Zürichseeufer, auf. In der «Zürichsee Zeitung» erinnern sich ehemalige Schulkollegen an den «Reini». Er sei schon immer ein Bluffer gewesen, sagen sie. Einer, der einen ausgeprägten Geltungsdrang hatte.
Mit 16 dealt Lutz das erste Mal mit Drogen. Als ihm ein Kumpel ein paar Kilogramm Hasch aus Indien in die Schweiz mitbringt, verkauft er sie weiter. Ohne grosse Mühe.
Zwei Jahre später, Lutz ist erst volljährig geworden, kommt seine Mutter bei einem Velounfall ums Leben. Er wird zum Vollwaisen. Einem Reporter von SRF, der Lutz später im Gefängnis besuchte, sagte er über den Unfall: Der Tod seiner Mutter sei für ihn ein Schock gewesen. «Mein Ziel war immer, legal etwas zu besitzen, ohne ‹Krämpfe› zu machen».
Er macht eine Lehre als Feinmechaniker. Die gefällt ihm nicht besonders, er fühlt sich in einem langweiligen Trott gefangen. Als er heiratet und eine Tochter bekommt, fehlt zu Hause das Geld. Einem Radiojournalisten sagte er, er habe die Notlage überbrücken wollen und begonnen, mit Haschisch und Kokain zu dealen. Lutz ist damals 21 Jahre alt.
Mit dem eigenen Auto bringt er die Drogen von Holland in die Schweiz. Das geht nicht lange gut. 1977 fliegt er auf und wandert für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Während der Haft kommt Lutz mit den grossen Namen des Zürcher Kreis 4 in Kontakt und knüpft Kontakte in die Unterwelt. Nach seiner Entlassung beginnt er vorerst eine Malerlehre. Doch als er seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, schmeisst er seine guten Vorsätze über Bord.
Er aktiviert die neu gewonnenen Kontakte und kauft mit einem Kollegen in den 1980er-Jahren das Piccolo Giardino, ein Lokal unweit der Zürcher Langstrasse. Der Ort wird zur Kiffer-Beiz.
Es dauert nicht lange, bis auch Kokain über den Tresen verkauft wird. «Wo man hinkam, lag Kokain auf dem Tisch», sagte Lutz in einem Interview. Und: Der Handel mit Koks ist vor allem lukrativ. Mit wenig Aufwand lässt sich viel Geld verdienen.
Viele Jahre später, in einem Beitrag der SRF-Sendung «Schweiz aktuell», erinnert sich Lutz an die damalige Zeit: «Wir hatten immer mehr Bestellungen. Die Leute wollten immer mehr und immer Besseres. Wir hatten damals einen Ehrenkodex. Wir verkauften nur Pures. Darauf gab es einen Riesen-Run.»
Schnell steigt Lutz zu einer festen Grösse in Zürichs Drogenszene auf. Als «Schneekönig» leistet er sich ein Leben in Saus und Braus. Er kauft sich ein Penthouse am Zürichberg und fährt mit einem Rolls-Royce die Langstrasse auf und ab. Man kennt ihn im Quartier. So auch die Polizei.
1984 fliegt alles auf. Die Polizei verhaftet seinen Geschäftspartner. Lutz kann sich im letzten Moment nach Brasilien absetzen. Eine internationale Fahndung wird gestartet. Noch keine 30 Jahre alt ist Lutz da.
Im Januar 1985 bittet die Polizei in der Sendung «Aktenzeichen XY ... ungelöst» nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort des Flüchtigen. Im Nachhinein sagte Lutz gegenüber einem Reporter: «Meine Frau rief mich an und sagte mir, ich habe Glück gehabt. Meine Tochter sei gerade ins Bett gegangen, als die Sendung im Fernseher lief. Sie hat das Foto von mir nicht gesehen. Ich dachte: Super, jetzt sitze ich hier in Brasilien, bin auf der Flucht und ohne Geld.»
1986 wird er in Brasilien verhaftet und in die Schweiz ausgeliefert. Wegen Drogenhandel wird er zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Davon muss er aber nur vier Jahre absitzen. Dann wird er bedingt entlassen.
Seine Zeit in Freiheit wird jedoch nicht von langer Dauer sein. Zusammen mit einem Komplizen wird Lutz den grössten Kokain-Deal begehen, den die Schweiz bis dahin je gesehen hat.
Noch in Haft knüpfte Lutz eine freundschaftliche Beziehung zum Szene-Anwalt Valentin Landmann. Er bat diesen, ihm für die Gründung eines Geschäfts ein steuergünstiges Konto zu eröffnen. Landmann hatte mit dem verurteilten Lutz Mitleid, schliesslich habe jeder eine zweite Chance verdient. Also half er ihm.
Doch Lutz nutzte Landmanns Gutgläubigkeit aus. Er gebrauchte das neue Konto, um Geld aus dem Drogenhandel zu waschen. Kaum aus der Haft entlassen, fliessen innerhalb von weniger als einem Jahr 5,4 Milliarden Franken auf das Konto.
Während eines Kokaintransports wird Lutz 1991 verhaftet. Über 100 Kilogramm hat er mit seinem Komplizen aus Brasilien in die Schweiz zu schmuggeln versucht. Die Polizei präsentiert der Presse Bilder der sichergestellten Waffen, Drogen und angehäuften Banknoten.
Lutz wird in der Folge zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. In einem separaten Prozess muss auch Landmann vor Gericht antraben. Obwohl der Anwalt stets seine Unschuld beteuert, wird er 1996 wegen mehrfacher qualifizierter Geldwäscherei zu einem Jahr bedingter Gefängnisstrafe und einer Busse von 15'000 Franken verurteilt.
Lutz kommt nicht von den krummen Geschäften weg. Im Gefängnis lässt er das Drogenbusiness weiterlaufen. Freundinnen schmuggeln ihm Kokain in die Zelle. Dieses verkauft er weiter an Mitinsassen. 2003, Lutz ist immer noch im Gefängnis, werden ihm zweieinhalb Jahre zusätzliches Absitzen aufgebrummt.
2004 darf er bedingt raus. Doch nur fünf Jahre später wird er wieder verhaftet. Wieder weil er mit sechs Kilogramm gedealt hat. Bei einer Hausdurchsuchung finden die Ermittler Waffen und Koks. Lutz sagt, es sei sein Untermieter, der damit gedealt habe. Er soll nur den Kontakt hergestellt haben. Den Richter lässt das unbeeindruckt. Er muss wieder für elf Jahre hinter Gitter.
Das SRF besucht ihn 2013 im Gefängnis in der Strafanstalt Lenzburg. Der Journalist fragt ihn, warum er nicht aus seinen Fehlern gelernt habe. Lutz antwortet: «Ich wurde immer wieder gefragt, ob ich dieses oder jenes organisieren könne. Ich habe Kontakte. Und es ist halt einfach verdientes Geld. Ich kenne die Grossabnehmer, die Finanzierer. So bin ich immer wieder reingekommen.»
Als Lutz 2016 bedingt aus der Haft entlassen wird, ist er 62 Jahre alt. Fast die Hälfte seines Lebens hat er hinter Gittern verbracht. Als ihn das SRF fragt, ob er die Finger von den krummen Geschäften lassen kann, sagt er, es sei sein grösster Wunsch, nie mehr straffällig zu werden. «Das habe ich jetzt zwar schon ein paar Mal gesagt. Aber jetzt muss ich es schaffen. Weil jetzt geht es auch ums Alter.» Früher habe er nie Angst vor etwas gehabt. Nichts hat ihm etwas ausgemacht. «Aber jetzt ist Matthäi am Letzten.»
Aber er schafft es nicht. Nur wenige Monate nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bestellt Lutz bei einem Lieferanten Kokain, das er daraufhin weiterverkaufen will. Was er nicht weiss aber annehmen könnte: Er wird auf Schritt und Tritt observiert.
Die Polizei beobachtet, wie er einem Kunden das Kokain verkaufen will, dieser aber mit der Qualität unzufrieden ist. Als der erste Lieferant von Lutz verhaftet wird, reist er nach Holland um dort einen anderen Deal aufzugleisen. Er schickt daraufhin seine Nachbarin nach Rotterdam, damit sie dort ein Kilogramm Kokain abholt. Doch wieder weiss die Polizei Bescheid und verhaftet die Nachbarin, als diese mit dem Stoff in die Schweiz einreisen will.
Lutz nimmt daraufhin bei sich zu Hause im Kanton Aargau eine Lieferung Koks entgegen und versteckt es in einem Lagerraum. Laut dem «Tages-Anzeiger» lebt er dort mit seiner deutlich jüngeren Freundin, einer Südamerikanerin. Ihm wird nachgesagt, auf grossem Fuss zu leben, mit einem Audi Q7 und einem teuren Motorrad herumzufahren.
Im März 2017 wird Lutz am Flughafen Zürich verhaftet. Er wollte verreisen.