Es ist nicht lange her, dass man an Balkonen, Fassaden und Zäunen landauf, landab die Flaggen für die Konzern-Initiative sehen konnte. Sie prägten das Schweizer Strassenbild während des Abstimmungskampfs im vergangenen November. Und werden zum Inbegriff einer Basiskampagne.
Seit watson am Mittwochabend berichtet hatte, dass das «Ehe für alle»-Referendum kurz vor der Unterschriften-Einreihung steht, drehen die Kampagnenräder in links-liberalen, queeren Milieus. Es wird gedacht, geplant und gepostet – so, als stünde die Abstimmung über die Ausdehnung der Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare schon nächsten Sonntag an.
Dabei ist noch unklar, wann an der Urne genau darüber abgestimmt wird. Das Referendumskomitee will der Bundeskanzlei in Bern am Montagnachmittag die Unterschriften überreichen, danach wird nochmals alles gezählt. Steht fest, dass es über 50'000 Unterschriften sind, fehlt nur das genaue Datum für die Abstimmung.
«Wir gehen davon aus, dass es im September oder November sein wird», sagt Maria von Känel, Co-Präsidentin der Pro-Komitees. Definitiv entscheiden tut der Bundesrat. Seine Datumswahl dürfte für die Kampagnenplanung nicht unbedeutend sein. Einerseits wegen der Pandemie, die nach wie vor das alltägliche Leben mitbestimmt. Andererseits, weil Fundraising, Bestellungen und Veranstaltungen neu geplant werden müssten.
Klar ist schon jetzt: Es dürfte ein farbiger Abstimmungskampf werden. Das Fahnenmeer, das die Schweiz von der Konzern-Initiative kannte, werde in Regenbogenfarben erscheinen. Das bestätigt von Känel: «Die Parolen-Fahnen werden ein Mittel sein, mit dem wir schweizweit für ein Ja werben werden. Es wird auch Pins geben, die jede Person individuell an Jacken oder am Rucksack anstecken kann.»
Durch die breite Sichtbarkeit des Regenbogen-Symbols wolle man vor allem Eines erreichen: Dass gleichgeschlechtliche Liebe sichtbar wird. «Und damit aufzeigen, dass es ist völlig in Ordnung ist, wenn sich zwei Menschen des gleichen Geschlechts lieben und heiraten wollen», fügt von Känel hinzu.
Das Pro-Lager dürfte zumindest bei der Ehe-Frage ein leichtes Spiel haben. Die Abschaffung der Diskriminierung für gleichgeschlechtliche Paare stösst seit längerem auf breite Zustimmung in repräsentativen Umfragen. Kritischer dürfte die Bevölkerung bei der zweiten Gesetzesänderung sein, die in der «Ehe für alle»-Vorlage verknüpft ist: der Zugang von lesbischen Paaren zur Samenspende.
Der Kampagnen-Fokus sei zwar bei der Ehe-Frage. «Die Diskussion über die Verbesserungen bei der Fortpflanzungsmedizin scheuen wir aber nicht», sagt von Känel. Die Zweifel wolle man mit Fakten begegnen und so die «Angstszenarien» der Gegnerschaft entkräften. Die Co-Präsidentin des Pro-Lagers betont dabei: «Wir möchten diese Diskussion führen, um Vorurteile abzubauen. Es geht um Gleichstellung, um Schutz der Familie und um die Liebe. Es sollen betroffene Regenbogenfamilien angehört werden und aus der Luft gegriffene, benachteiligende Behauptungen entkräftet werden.»
Budgetiert sind für das Ganze nicht weniger als 1,5 Millionen Franken. «Finanziert wird das vollständig durch Spenden», sagt Olga Baranova, ebenfalls Kampagnen-Verantwortliche. Historisch gesehen ist das zwar ein grösserer Brocken, aber weit unter den 5–8 Millionen Franken, die gegen die Abzocker-Initiative im Jahr 2013 durch die Economiesuisse aufgewendet wurden.
Ein Grossteil des Budgets dürfte dabei vor allem in die tausenden Regenbogenfahnen fliessen. Profitieren kann das Pro-Lager zudem durch das Engagement der Einzelpersonen der LGBT-Szene. «Die Community ist bereits stark mobilisiert und in den Sozialen Medien aktiv. Es wird deshalb unter dem Strich nicht eine, sondern eine Vielzahl von kleinere Kampagnen geben», sagt Olga Baranova weiter.
Das «Nein»-Lager wollte am Mittwochabend kein offizielles Statement abgeben und entschied sich gestern, «bis zur geplanten Einreichung des Referendums keine Zahlen zu kommunizieren».
Dies hinderte Einzelpersonen des Komitees nicht daran, selbstständig mit den Medien zu sprechen. EDU-Vizepräsident Thomas Lamprecht schätzte etwa gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass 60'000 Unterschriften beisammen seien. Sie sollen am Montagnachmittag eingereicht werden. Es ist der letztmögliche Tag, an dem zum Referendum Unterschriften beim Bund deponiert werden können. Die Sammelfrist läuft morgen Samstag ab.
Das wird hoffentlich die klarste politische Ohrfeige, die jemals ausgeteilt wurde.