Schweiz
Energie

Wie sich die Kantone bei Energie-Problemen aus der Verantwortung stehlen

Energiekrise: Wie sich die Kantone bei Problemen aus der Verantwortung stehlen

Eigentlich wäre es an den Kantonen, die schlingernden Stromkonzerne in der Krise zu führen und zu unterstützen. Die beschränken aber ihre Rolle aufs Dividendeneinziehen. Möglich macht's ein föderaler Kabelsalat um die Beteiligungen an Axpo, Alpiq und BKW.
01.10.2022, 11:23
Florence Vuichard / ch media
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Bundesraetin Simonetta Sommaruga, Mitte, spricht neben Benoit Revaz, Direktor des Bundesamts fuer Energie BFE, links, und Sabine D'Amelio-Favez, Direktorin der Eidgenoessischen Finanzverwaltung E ...
Energieministerin Simonetta Sommaruga musste gemeinsam mit Benoit Revaz, dem Chef des Bundesamts für Energie, und Sabine D'Amelio-Favez, der Chefin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Milliarden für die Stromkonzerne bereitstellen.Bild: keystone

Es ist eine eigentümliche Mischung von Desinteresse, Verdrängung und Ablehnung, welche die Kantone an den Tag legen, wenn es um ihre Stromunternehmen geht - oder präziser: um deren Probleme. Dann sehen sie sich plötzlich nicht mehr in der Verantwortung. Schon als Anfang Jahr ruchbar wurde, dass die unkontrollierbar in die Höhe schiessenden Energiepreise auch bei den hiesigen Stromkonzernen zu Liquiditätsengpässen führen könnten, erklärten sich die Kantone für nicht zuständig. Und gingen auf Tauchstation.

Sinnbildlich hierfür steht die Reaktion des Kantons Bern: In einem Brief an Energieministerin Simonetta Sommaruga vom 30. März zeigt er sich einerseits zuversichtlich, dass die BKW «ihr Geschäft und ihre Risiken im Griff hat und daher seitens des Kantons Bern keine zusätzlichen Massnahmen notwendig sind». Andererseits räumt der Berner Regierungsrat im gleichen Schreiben ein, dass auch bei der BKW «Liquiditätsengpässe nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen werden» könnten. Als Aktionär hafte er aber nur bis zum Betrag seiner Beteiligung. Das heisst: «Es gibt keine Staatsgarantie des Kantons Bern für die BKW.»

Nur gerade vier Kantone stehen abseits

Auf Deutsch: Wir haben es im Griff, sollte aber doch etwas schiefgehen, dann muss der Bund ran. Die Folge: Die Kantone haben trotz Warnungen aus der Bundeszentrale und trotz medienwirksamer Schelte von Bundesrat und Stromkonzernen eigentlich nichts getan - bis heute nicht. Und das, obwohl ihnen das Gros der Stromproduktion im Lande gehört und sie fast alle irgendwie mit Axpo, Alpiq und BKW verbandelt sind. Besonders deutlich wird dies in einer Grafik, die kürzlich in der Wandelhalle die Runde machte: Kreuz und quer verästeln sich die Beteiligungen der Kantone an den drei grossen Stromkonzernen. Die Schweizer Stromwirtschaft: ein föderaler Kabelsalat.

Die Kantone und ihre Stromunternehmen: Das grosse Chaos
Bild: let/bzbasel

Nur gerade vier Kantone können von sich behaupten, die ganze Bundesrettungsschirmdiskussion gehe sie nichts an: Basel-Stadt, Nidwalden und Obwalden sowie der Kanton Tessin, der allerdings seiner in Liquiditätsprobleme geratenen Stromfirma AET Ende August eine Kreditlinie über 110 Millionen Franken gewähren musste.

Alle anderen profitieren vom Rettungsschirm des Bundes, auch der Kanton Graubünden, der eigentlich nur Anteile an der ehemaligen Axpo-Tochter Repower hält: Denn erstens gibt es da eine Verknüpfung über den Zürcher Energieversorger EKZ, der sowohl an Axpo wie auch an Repower beteiligt ist. Und zweitens darf sich auch Repower im Notfall unter den Rettungsschirm stellen. Dafür hat das Parlament vorgesorgt. Und auch die Kantone Baselland, Solothurn und Schwyz sind über ihre Regionalwerke oder Gemeinden mit Alpiq respektive via CKW mit Axpo verbandelt.

Ohne Dividende kein Interesse

Die Kantone beschränken sich auf das Einziehen der Dividenden, bei Problemen stehlen sie sich aus der Verantwortung. Das haben sie schon bei der letzten Krise bewiesen, welche die hiesige Stromwirtschaft kräftig durchrüttelte. Im Nachgang der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 gab es plötzlich, trotz stillgelegter AKW, billige Energie im Überfluss, nicht zuletzt wegen der wieder angeworfenen, bereits abgeschriebenen Braunkohlekraftwerke in Deutschland, der amerikanischen Grossoffensive zur Schiefergasgewinnung und der nur schleppend vorankommenden Konjunktur. Stromschwemme hiess das Problem, keine Spur der zuvor lautstark propagierten Stromlücke.

Die besagte Überproduktion, die hohen deutschen Subventionen für Wind- und Sonnenenergie und der nicht funktionierende CO2-Zertifikatehandel hatten dramatische Auswirkungen auf die Strompreise: Sie fielen ins Bodenlose, teilweise unter die Gestehungskosten, die Profitabilität der Stromkonzerne schwand. Axpo schrieb tiefrote Zahlen, Alpiq stand vor dem Konkurs - und die Dividendenzahlungen fielen aus. Aussicht auf eine rasche Besserung war nicht in Sicht, und so dachten mehrere Eigentümerkantone laut darüber nach, ihre Axpo-Anteile zu verkaufen. Ganz nach dem Motto: «Kein Geld, kein Interesse.»

Wiederkehrende Verkaufsgelüste

Die Zürcher Kantonsregierung etwa hielt im Dezember 2015 fest: «Die Axpo-Beteiligung ist heute in Bezug auf eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung nicht mehr von strategischer Bedeutung für den Kanton.» Mittlerweile hat es sich der Kanton anders überlegt. Ende 2016 verkündete die Regierung: «Die Axpo soll nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen entscheiden und eine möglichst hohe Wertschöpfung anstreben, insbesondere auch im Inland.»

Das Kernkraftwerk Beznau mit dem Logo des Energiekonzerns Axpo, aufgenommen am Donnerstag, 15. September 2022 in Doettingen. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Die Axpo ist für den Kanton Zürich mal mehr mal weniger wichtig.Bild: keystone

Verkaufsgelüste sondert auch immer wieder der Kanton Bern ab. In regelmässigen Abständen werden politische Vorstösse evaluiert, ob er die Aktienmehrheit an der börsenkotierten BKW-Gruppe verkaufen soll. Die Vorstössen werden dann jeweils nach viel Lärm wieder verworfen, weil Stromproduktionsanlagen und Netze letztlich zur Basisinfrastruktur des Landes gehören.

Die grosse Unübersicht

Eine Erklärung für die kantonale Passivität liegt auch in der verschachtelten und unübersichtlichen Aktionärsstruktur der Stromkonzerne - insbesondere bei Alpiq und Axpo. Es ist eine krisenuntaugliche Schönwetterkonstruktion, wie es ein Branchenkenner bezeichnet. Note: ungenügend. Die vergangenen zwölf Monaten hätten eindrücklich aufgezeigt, dass die aktuelle Aktionärsstruktur hinderlich sein könne.

Die heutige Aktionärsstruktur der Stromkonzerne ist aber nicht nur ungeeignet zur Bewältigung von Krisen, sondern sie ist zusätzlich auch ein bisschen absurd: Denn mehrere Aktionäre sind gleichzeitig auch Konkurrenten - wie etwa das Zürcher EKZ oder die Ostschweizer Energiegruppe SAK. Eine unmögliche, ja unsinnige Situation, wie es ein Vertreter eines Stromkonzerns sagt. «Eine Bereinigung wäre wünschenswert.»

Die gegenläufigen Interessen von Aktionären und ihren Stromkonzernen zeigen sich auch beim sogenannten «Heimfall»: In den kommenden Jahren laufen viele kantonale Konzessionen aus, welche den Firmen die Stromgewinnung aus Seen und Flüssen erlauben. Das hat in manchen Kantonen eine gewisse Goldgräberstimmung ausgelöst. Sie sind entzückt über die Aussicht auf künftige Gewinne durch Eigenbewirtschaftung der Wasseranlagen, schwächen aber damit ihre eigenen Stromfirmen. Deren Kerngeschäft wird schrumpfen, «massiv» sogar, wie jüngst Axpo-Präsident Thomas Sieber gegenüber der «Schweiz am Wochenende» betonte, was wiederum den Wert der Stromfirmen senken wird.

Und die Ironie der Geschichte: Sollten die Kantone und Gemeinden tatsächlich ihre Wasserwerke künftig selbst bewirtschaften wollen, dann werden sie gezwungenermassen jemanden mit dem Handel beauftragen oder allenfalls selbst ins Handelsgeschäft einsteigen müssen. Wobei dann letztlich die Trader in den Kantons- und Gemeindestuben bei Marktverwerfungen mit den gleichen Liquiditätsrisiken zu kämpfen haben werden wie Axpo und Co. (bzbasel.ch)

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36 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Phrosch
01.10.2022 12:48registriert Dezember 2015
Neiaberau, die machen das Gleiche wie in der Pandemie?!? 😲 Wer hätte das ahnen können. 🤔 Da sind wir jetzt echt überrascht. Nicht.
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ZüriseeKraken
01.10.2022 12:34registriert April 2022
Klassiker! Problem ignorieren. Beobachten und abwarten. Flickenteppich von Massnahmen. Verantwortung dem Bund abschieben.

Im Nachhinein noch "danke" sagen und dem Bund vorwerfen, er habe die kantonale Souveränität verletzt.

Haben wir schon bei COVID gesehen. Ich behaupte nicht, dass der Bund bei COVID alles richtig gemacht hat. Aber wenigstens hat er etwas gemacht. Die Kantone hingegen ...

Jetzt droht sich das Trauerspiel in der Stromkrise zu wiederholen. Die Kantone scheinen unfähig, ihre Kompetenz zum Krisenmanagement auszufüllen. Diese K. muss deshalb dem Bund übertragen werden.
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Overton Window
01.10.2022 11:45registriert August 2022
Das Ganze wird in Fachkreisen auch "dem Neoliberalismus beim scheitern zuschauen" genannt.
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