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Warum immer noch russisches Gas durch die Ukraine fliesst

FILE - A worker at a Ukrainian gas station Volovets in western Ukraine Wednesday, in Oct. 7, 2015. Fears are rising about what would happen to Europe's energy supply if Russia were to invade Ukra ...
Ein Arbeiter an der Gasverdichterstation in Wolowez in der Westukraine.Bild: keystone

Warum immer noch russisches Gas durch die Ukraine fliesst – aber jetzt Eskalation droht

Die Nord-Stream-Röhren sind nach den Sabotageakten unbenutzbar. Ausgerechnet durch die Ukraine aber fliesst weiterhin russisches Gas nach Westen. Nun aber droht eine Eskalation.
30.09.2022, 06:0630.09.2022, 12:11
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In jedem Krieg gibt es Entwicklungen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Es kann vorkommen, dass zwei Parteien, die sich auf dem Schlachtfeld bekämpfen, weiterhin miteinander im Geschäft sind. Im Fall des Ukraine-Kriegs betrifft dies die Lieferung von Erdgas aus Russland via die Transgas-Pipeline durch das angegriffene Land.

Der Umfang wurde in den letzten Monaten deutlich reduziert, weil die Ukraine keine Zuflüsse mehr durch das südliche Trassee akzeptiert, das durch die russisch besetzte Region Luhansk führt. Sie fordert, dass die Lieferung nur noch über die nördliche Leitung durch die ukrainisch kontrollierte Region Sumy erfolgt. Der Streit droht jetzt zu eskalieren.

Noch aber fliesst das Gas, was bemerkenswert ist angesichts der Lecks in den beiden Nord-Stream-Pipelines, die sehr wahrscheinlich durch Sabotageakte verursacht wurden. Der Verdacht fällt auf Russland. Obwohl zuletzt kein Gas (mehr) durch die Ostsee-Röhren floss, könnte Moskau versuchen, in Europa die Angst vor einer Energiekrise im Winter zu schüren.

Spannungen seit 2004

Vorerst ist das reine Spekulation, und der Transit durch die Ukraine funktioniert weiterhin. Er basiert gemäss der NZZ auf «einer jahrzehntelangen Abhängigkeit». Mit dem Bau der Transgas-Pipeline durch die Sowjetunion wurde in den 1960er-Jahren begonnen. Sie führt durch die Slowakei und Tschechien nach Deutschland und Österreich.

Auch nach der Auflösung der Sowjetunion blieb sie die «Lebensader» der russischen Gaslieferungen in den Westen. Seit einiger Zeit aber kam es vermehrt zu Spannungen. Nach der «Orangen Revolution» in Kiew 2004 verlangte der Gazprom-Konzern von der ukrainischen Regierung statt des bisherigen Vorzugstarifs auf einmal «Weltmarktpreise».

Putin und die «Gaswaffe»

Anfang 2006 kam es zu einem Lieferstopp. Allerdings floss das für das übrige Europa bestimmte Gas weiterhin durch die Ukraine, worauf diese einen Teil für sich abzweigte. Schliesslich wurde ein Vertrag unterzeichnet, in dem Kiew die Preisaufschläge akzeptierte und im Gegenzug einen höheren Tarif für den Gastransit herausholen konnte.

Gas-Pipelines Russland Europa
Bild: Statista

Beigelegt aber wurde der Konflikt nie. Wladimir Putin versuchte weiterhin, die Ukraine mit der «Gaswaffe» unter Druck zu setzen. Diese wehrte sich erfolgreich. Ein Schiedsgericht in Schweden verurteilte Russland 2017 zu einer Zahlung von 2,5 Milliarden Dollar. Ende 2019 unterzeichneten Gazprom und der ukrainische Naftohaz-Konzern einen neuen Liefervertrag.

Kritik an der Schweiz

Gleichzeitig versuchte Russland, die Ukraine beim Gastransit zu umgehen, mit Nord Stream 1 und 2 sowie der 2020 eröffneten TurkStream-Pipeline durch das Schwarze Meer. Die Ukraine verfolgte diese Entwicklung mit Unbehagen. Ihr drohten Einnahmen zu entgehen, weshalb auch sie verdächtigt wird, hinter den Nord-Stream-Lecks zu stecken.

Noch aber scheint die Transgas-Leitung für Russland unverzichtbar zu sein. Denn trotz massiver Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur wurde die Pipeline bislang nicht zerstört. Naftohas-Chef Yuriy Vitrenko hatte dafür in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) im Mai eine einfache Erklärung:

«Die Russen bombardieren diese Pipeline nicht, denn sie bekommen ja viel Geld für ihre Lieferungen nach Westeuropa.»

Allerdings hat Russland die Lieferungen stark reduziert. Auch Transitgebühren werden zurückgehalten. Naftohas klagte deshalb Anfang September wegen Verletzung des Liefervertrags von 2019. Dieser wurde nach schwedischem Recht abgeschlossen, als Gerichtsstand wurde Zürich bestimmt. Am Mittwoch wies Gazprom die Vorwürfe zurück.

Yuriy Vitrenko, Chief Executive Officer, Naftogaz of Ukraine, Ukraine, right, attends a panel session next to Ignazio Cassis, President of the Swiss Confederation, left, at the Open Forum during the 5 ...
Naftohas-Chef Yuriy Vitrenko fordert ein europäisches Gas- und Ölembargo.Bild: keystone

Es sei die Ukraine, die ihre Transitverpflichtungen nicht einhalte, heisst es in der Mitteilung mit Verweis auf die «Blockade» der südlichen Leitung. Ausserdem würden Schweden und die Schweiz von der russischen Regierung als «unfreundliche Länder» eingestuft. Gazprom drohte stattdessen mit Sanktionen gegen Naftohas, inklusive Lieferstopp.

«Vernichtende Sanktionen»

Einen solchen würde Konzernchef Vitrenko jedoch in Kauf nehmen. Im RND-Interview unterstützte er ein westliches Gas- und Ölembargo gegen Russland:

«Wenn wir über Sanktionen reden, dann brauchen wir vernichtende Sanktionen, solche, die wirklich geeignet sind, Putins Position zu schwächen. Ein solcher Schritt sollte ein Schock für Russland sein, es könnte ein Schock für Europa sein. Aber es wäre eine bewusste Wahl, auf die man sich auch vorbereiten kann.»

Ein Lieferstopp durch die Ukraine würde nach der Sabotage in der Ostsee wohl für zusätzliche Unruhe und Preissteigerungen auf dem Gasmarkt sorgen. Umso wichtiger sind die Anstrengungen des Westens, sich von russischem Gas unabhängig zu machen.

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28 Kommentare
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Posersalami
30.09.2022 09:19registriert September 2016
Der grösste Schock für Russland wäre, wenn kein m3 Gas und kein Fass Öl mehr nach Europa verkauft werden würde. Es gibt für Russland mittelfristig keine Möglichkeit zur Substitution, weil es dafür keine Infrastruktur gibt.

Also bauen wir die Erneuerbaren Energien so schnell aus wie es irgendwie möglich ist und zeigen Russland den Mittelfinger. Danke
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shinibini
30.09.2022 07:38registriert Mai 2020
Wählt doch weiterhin die SVP wenn ihr fossile Brennstoffe als Zukunft ansieht und gerne Geschäfte mit Korrupten Ländern ud Kriegsverbrechern machen wollt. Am Schluss bezahlt ihr dann noch viel mehr für die warme Stube und könnt somit dem Rösti den Pool heizen.
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banda69
30.09.2022 07:25registriert Januar 2020
Wir hätten uns schon lange von Russland unabhängig machen können. Aber die umweltfeindlichen Profiteure von SVP (Putinversteher) und Konsorten haben sich erfolgreich erneuerbaren und alternativen Energien widersetzt. Danke SVP. Für nichts. Wie immer.
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