Es muss über eine Dekade her sein, als die Autorin dieses Textes die damals noch nicht volljährige Hazel Brugger an einem Poetry Slam in der aargauischen Agglo zum ersten Mal wahrnahm. Brugger las in Jeans und T-Shirt einen Text vor, das Gesicht so abgelöscht wie das eines Fast-Pensionärs, der die letzten vierzig Jahre im falschen Beruf gearbeitet hatte.
Dabei war es umgekehrt: Sie war jung und gerade dabei, den richtigen Karriereweg einzuschlagen. Der Zettel in ihrer Hand zitterte. Aber am Ende des Vortrags war man sich sicher: Die wird mal gross.
Das ist lange her, und Hazel Brugger ist längst viel zu gross für die Schweiz geworden. Eine Frau ihres Formats passt da nicht mehr hinein, nicht in die Veranstaltungshallen und nicht in das Vorstellungsvermögen in vielen Schweizer Köpfen.
Viele Menschen haben es ihr hierzulande übel genommen, dass sie früh damit anfing, ihre Karriere in Deutschland aufzubauen. Dass sie vor wenigen Tagen dem SRF sagte, in der hiesigen Kulturlandschaft herrsche eine «grosse Bequemlichkeit», dürfte sie hierzulande nicht beliebter gemacht haben.
Die Frau mit dem ausdruckslosen Gesicht – manche finden es böse – hat aber alles richtig gemacht. Als junge Frau hat sie bei der «heute»-Show weltgewandte, von Kommunikationstrainern gecoachte deutsche Berufspolitiker durch ihre schamlosen Fragen um Fassung ringen lassen. Sie hat die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel interviewt, ein bekennender Hazel-Fan.
Die Comedienne hatte eine Audienz beim verstorbenen Papst Franziskus – und würde beim neuen wohl auch eine kriegen. Im Herbst plant die 31-Jährige, mit ihrer Soloshow in New York aufzutreten. Und man fragt sich: Ist sie gerade auf dem Weg, der Roger Federer der Schweizer Comedy zu werden? Und wie weit ist sie von ihrem ersten Werbevertrag mit einem Weltkonzern noch entfernt?
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg könnte der Eurovision Song Contest sein. Bislang konnten zwar nur wenige Moderatorinnen und Moderatoren den Glanz, der durch die Moderation auf sie fiel, für den Aufbau einer Weltkarriere nutzen. Aber wer kann das bei Hazel Brugger wirklich ausschliessen?
Am Mittwochabend moderierte sie mit Sandra Studer vor einem Millionenpublikum in Basel das Halbfinale des grössten TV-Events der Welt. Brugger neckte die ESC-Teilnehmenden im Greenroom mit ihrer offensiven Fragetechnik, verblüffte mit Zungenakrobatik vor der Kamera, tanzte zu DJ Bobos «Chihuahua». Darauf angesprochen, meinte sie tags darauf: «Ich befürchtete, dass mein grosser, tumber Körper nicht so grazil aussehen würde wie die Tänzer. Und das war dann ja auch so.»
In Erinnerung bleiben dürfte vor allem die Parodie eines Schweiz-Musicals mit Sandra Studer und der schwedischen ESC-Moderatorinnenlegende Petra Mede. «Tell's vision» und «Television» fanden da mühelos zueinander. Schliesslich war der Tell-Mythos noch nie eine schweizerische, sondern eine europäische Angelegenheit. Und die in den USA geborene Hazel Brugger, Tochter eines Schweizer Neuropsychologen und einer deutschen Englischlehrerin, steht allemal für eine sich global vernetzende Kulturelite.
Phasenweise fühlte man sich bei Hazels Musikeinlage an ihren Auftritt im Pro-7-Format «Wer stiehlt mir die Show?» erinnert, bei dem sie im ESC-tauglichen Outfit – wallendes Kleid, wallendes Haar, Backgroundtänzer und ganz viel Kunstnebel – als Sängerin eine Popschnulze parodierte, die den estnischen «Espresso» wie einen «Flat White» aussehen lässt (O-Ton Hazel).
Die Kommentare im Netz machen klar: Für die meisten war das ausser Wettbewerb laufende Werbemusical für die Schweiz das Highlight der Show. Auch Bruggers Kollegin Sandra Studer hatte beim Medientermin am Tag danach nur Lob für Hazel: «Sie ist superschlau und superschnell und ein wahres Improvisationsgenie. Ich wusste zu jedem Moment, dass sie da ist und mich nicht hängenlassen wird.»
Hazel zeigte mit ihrer Moderation auch eine neue Seite von sich: Die Frau, die in ihren Comedyshows immer damit kokettiert, dass sie mehr der «praktische» Typ sei, parlierte geschminkt und im Glitzerkostüm vor einem Millionenpublikum auf Englisch, als hätte sie noch nie etwas anderes gemacht. Ihr ausdrucksloses Gesicht wirkte seriös und feierlich. Dem ausländischen Publikum dürfte kaum aufgefallen sein, dass die Frau hier gerade dabei war, ihr Image komplett auf den Kopf zu stellen.
Sie sei nun so müde, dass sie keine Energie mehr habe, nervös zu sein, sagte Brugger am Mittwoch. Nach dem zweiten Halbfinale am Donnerstagabend wird sie am Samstag für das Finale in den Ring steigen. Dort kann ihr eigentlich nur noch eine Frau die Show stehlen: Michelle Hunziker. Und über dieser gibt's eigentlich keine mehr. (aargauerzeitung.ch)