Es hat Seltenheitswert, wenn hierzulande ein Regierungsrat vor Gericht steht. Doch am Dienstag kommt es im Kanton Genf zu dieser Situation. Verantwortlich dafür: Gesundheits- und Verkehrsminister Pierre Maudet. Der Genfer schaffte letzten Frühling die Rückkehr in die Kantonsregierung, welcher er bereits von 2012 bis 2020 angehört hatte – ehe er über eine Luxusreise nach Abu-Dhabi strauchelte.
Vor Gericht geht es um ein Aufeinandertreffen abseits der Politik: Die Genfer Polizei brummte Maudet eine Geldstrafe von 2100 Franken auf, weil er mit seinem Fahrzeug ein anderes Auto angefahren und den Unfallort verlassen haben soll. Der Fahrer des beschädigten Autos verfolgte ihn und meldete sein Kennzeichen der Polizei. Für sie besteht kein «ernsthafter Zweifel» an der Fahrerflucht. Dagegen bestreitet der Politiker, den Zusammenstoss bemerkt zu haben. Er ficht die Geldstrafe an.
Der Fall wird vor dem Genfer Polizeigericht verhandelt – jenem Gericht also, das Maudet bereits 2021 wegen der bezahlten Abu-Dhabi-Reise schuldig gesprochen hatte. Die Verurteilung wegen eines Korruptionsdelikts ist mittlerweile rechtskräftig.
Der Auftritt von Maudet vor Justitia ist nicht das einzige Déjà-vu. Im Gesundheitsdepartement rumort es: In Westschweizer Medien sprachen Angestellte von einem «schrecklichen Arbeitsklima», von «Demütigungen» und «ständiger Unruhe». Am Pranger stehen Maudets «autoritärer» und fordernder Führungsstil. Verschiedene Kader-Abgänge wurden als Folge dieser geschilderten Zustände interpretiert.
Ähnliche Kritik gab es bereits in Maudets früherer Amtszeit. Ein Expertenbericht beschrieb 2020 schwere Mängel bei seinem Management. Der Genfer Staatsrat entzog ihrem Regierungskollegen daraufhin alle Funktionen.
Auch jetzt wurde die Regierung aktiv: Sie konsultierte die Gruppe von Vertrauenspersonen, die innerhalb der Verwaltung für Arbeitsstreitigkeiten zuständig ist. Zudem äusserte sie sich am Freitag zu einem dringlichen Vorstoss aus dem Parlament. Darin verweist der Staatsrat darauf, dass die krankheitsbedingten Ausfälle im Gesundheitsdepartement nicht zugenommen hätten und eine Zufriedenheitsumfrage beim Personal laufe.
Maudet wehrt sich gegen die Vorwürfe. Er sei gewählt worden, um Entscheide zu treffen. Diese könnten Widerstände innerhalb der Verwaltung hervorrufen, sagte er der «Tribune de Genève». «Ich neige dazu, schnell handeln zu wollen, für manche vielleicht zu schnell.» Zugleich betonte der 45-Jährige, dass er die «Lektionen aus der Vergangenheit» gelernt habe. Ähnlich äusserte er sich bereits nach seinem geglückten Comeback.
Politisch gab sich der einstige FDP-Mann einen neuen Anstrich: Mit seiner Bewegung «Libertés et Justice sociale» stellt er sich gegen das Links-Rechts-Schema. Gelang es Maudet, politisch aus alten Mustern auszubrechen?
Genfer Polit-Exponenten sind sich einig. «Er ist ein Ex-FDPler und hat seine rechten Werte nie aufgegeben», sagt Delphine Klopfenstein, Präsidentin der Genfer Grünen. «Er ist eine rechtsgerichtete Person», meint ihr Pendant bei der FDP, Pierre Nicollier.
Im Parlament politisiert «Libertés et Justice sociale» Mitte-rechts. Das zeigt eine Auswertung von «Le Temps». In 71 Prozent der Abstimmungen entschieden Maudets Mitstreiter bislang gleich wie die Mitte, gefolgt vom Mouvement Citoyens Genevois (62 Prozent) und der FDP (58 Prozent).
Die grösste Meinungsverschiedenheit mit der Ratsrechten gab es im Oktober: Dank linker Unterstützung brachte Maudets Partei ihren Vorstoss für eine kantonale Krankenkasse durch – eine nationale Premiere. Die öffentliche Kasse soll die Kontrolle und Transparenz im Gesundheitswesen erhöhen. Die Regierung muss das Vorhaben nun prüfen. Es handelt sich um ein Wahlversprechen von Maudet.
Dass der Genfer eine linke Idee verfolgt, überrascht Politikwissenschaftler Pascal Sciarini nicht: «Schon in der früheren Amtszeit war Maudet ein fundamentaler Rechter, der jedoch auch mal mit linken Einfällen auffiel.» So ermöglichte er etwa als Genfer Sicherheitsdirektor mit der Aktion Papyrus über tausend Sans-Papiers das Bleiberecht.
Diesen Kurs scheine Maudets Partei nun auch im Parlament zu fahren, sagt Sciarini. Das erhöhe die Unberechenbarkeit der Genfer Politik, berge jedoch das Potenzial für neue Koalitionen und Lösungen für Blockade-Situationen.
Mit einer solchen war Maudet als Mobilitätsminister bereits konfrontiert. Sein Vorgänger Serge dal Busco (Mitte) wollte die Ausweitung der Tempo-30-Zonen per Dekret durchpeitschen. Die Bürgerlichen schalteten wegen der «Anti-Auto-Politik» gar die Justiz ein.
Unter Maudet scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. Vertreter diverser politischer Couleur können seinem jüngst veröffentlichten Mobilität-Aktionsplan Positives abgewinnen. Mitte-Präsident Jacques Blondin sagt: «Maudet hat gut daran getan, mit allen Interessensgruppen einen runden Tisch zu organisieren und sie stärker einzubinden.»
Der Genfer hat die kooperative Arbeitsweise also drauf. Bleibt die Frage, ob er dieses Gesicht auch innerhalb der Verwaltung zeigt.
Wär hätte dies erwartet, sicherlich niemand.
Es war von Anbeginn klar dass Maudet in seine alten Fussstapfen treten würde, wer was anderes behauptete war einfach blind. Aber das Volk wollte ihn trotzdem. Jetzt haben sie ihn.