Sei es der Place de la Riponne in Lausanne, die Bäcker-Anlage in Zürich oder der Basler Matthäusplatz: In verschiedenen Schweizer Städten hat der Konsum von Kokain, Crack und Co. im öffentlichen Raum in den letzten Monaten zugenommen. Das Drogenelend, das in der Schweiz lange aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden war, wurde diesen Sommer wieder sichtbar.
Am gravierendsten ist die Situation in Genf – wegen Crack, sprich rauchbarem Kokain. Innerhalb eines Jahres hat sich die Zahl der Konsumierenden verdoppelt, weil Dealer aus Subsahara-Afrika den Markt mit fixfertigen, billigen Crack-Steinen schwemmten. Der Ansturm auf den städtischen Drogenkonsumraum «Quai 9» wurde zu gross: Er musste Anfang Juli nach dutzenden Handgreiflichkeiten und Polizeieinsätzen seine Türen für Crack-Süchtige schliessen. Doch damit verlagerte sich das Problem nur noch stärker in das umliegende Quartier – zum Ärger von Bewohnern und Ladenbesitzerinnen. Ende September beklagten sich Restaurantinhaber und Verkäuferinnen in einem Artikel von «20minutes» über Einsatzeinbussen von 30 bis 50 Prozent.
Am Mittwoch hat der Kanton Genf nun seine mit Spannung erwartete Strategie vorgestellt, um die Probleme in den Griff zu kriegen.
Gleich fünf Genfer Regierungsrätinnen und Regierungsräte traten vor die Medien. Gesundheitsminister Pierre Maudet verwies auf die Vielschichtigkeit des Crack-Problems: Zum einen gehe es darum, auf das Unbehagen der Bevölkerung zu reagieren, zum anderen die sozialen und gesundheitlichen Bedürfnisse der Suchtabhängigen besser zu erfüllen. Die Regierung hat deshalb einen dreijährigen Aktionsplan beschlossen, dessen Kosten sich auf sechs Millionen Franken pro Jahr belaufen.
Die wichtigste Massnahme betrifft den Betrieb des Drogenkonsumlokals. Dieses soll am bestehenden Standort am Bahnhof erweitert werden, um die Konflikte zwischen den Abhängigen zu entschärfen. Geplant ist ein separater Sektor, in welchem Süchtige Crack konsumieren und sich erholen können.
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sollen künftig zudem mehr Strassenrundgänge durchführen. «Wir müssen so oft wie möglich zu den Süchtigen gehen», sagte Pierre Maudet. Das geht nicht ohne zusätzliches Personal: Bis zu zehn neue Stellen sind für das «Quai 9» vorgesehen.
Das Genfer Sozialdepartement will derweil das Angebot an Beschäftigungsaktivitäten für Suchtabhängige – etwa im Bereich Sport und Kunst – ausbauen. «Das Problem bei Crack ist, dass es kein Ersatzprodukt gibt», sagte Sozialdirektor Thierry Apothéloz. Umso wichtiger sei es, die Crack-Süchtigen zu beschäftigen und in einen Alltag zu überführen. Das Sozialdepartement wird zudem die Kapazität an Notschlafstellen erhöhen.
Und was macht die Polizei? Sicherheitsdirektorin Carole-Anne Kast erläuterte, dass der Deal auf der Strasse sehr schwierig zu unterbinden sei. Denn bei den Crack-Steinen handle es sich um minime Dosen, welche die Dealer bei sich trügen. Entsprechend konzentriere sich die Polizei darauf, in den Quartieren vermehrt «abschreckende Präsenz» zu markieren, sagte Kast. Zudem wolle man intensiver daran arbeiten, die Netzwerke der Dealer im Hintergrund aufzuspüren. Die Genfer Sicherheitsdirektorin geht davon aus, dass sich deren Basis ausserhalb der Schweiz befindet. Genf sei ihr Einfallstor für die Verbreitung von fixfertigen Crack-Steinen in der Schweiz gewesen, meinte Kast. «Ich denke, das Phänomen wird sich überallhin ausbreiten.»
Suchtexperte Frank Zobel hält dies für möglich, aber nicht gesichert (siehe Interview unten). So oder so hat die Genfer Regierung am Mittwoch bereits angekündigt, die Einzelheiten ihrer Crack-Strategie mit den Behörden von anderen Schweizer Städten zu teilen.
Frank Zobel, in verschiedeneren Schweizer Städten verlagerte sich der Drogenkonsum in den letzten Monaten vermehrt in den öffentlichen Raum. Was geht da vor sich?
Frank Zobel: Die Stadt Genf ist wegen der Ankunft von neuen Dealern, die billige Crack-Steinen auf den Markt brachten, sicher ein spezieller Fall. Aber dass sich auch die anderen Städte mit verstärktem Drogenkonsum auf der Strasse konfrontiert sehen, zeigt, dass sich generell etwas verändert. Wir wissen, dass Kokainkonsum und Kokainprobleme in der Schweiz bereits seit einigen Jahren ansteigen. Diesen Sommer wurde wohl lediglich eine neue Schwelle überschritten, was die Probleme offensichtlich machte.
Wie ist der Kokain-Boom zu erklären?
Die Produktionsmengen in Lateinamerika haben in den letzten Jahren markant zugenommen. Dadurch fielen die Preise für Kokain, was sich nicht nur in der Schweiz auswirkt. Deutschland oder Frankreich kämpfen wegen der hohen Verfügbarkeit von Kokain derzeit mit ähnlichen Herausforderungen.
Welche Rolle spielt dabei Crack, also gerauchtes Kokain?
Aus den Daten lässt sich erkennen, dass Kokain rauchen zusehends beliebter wird. Im Vergleich zur Injektion von Kokain geht der Crack-Konsum schneller. Die Betroffenen verfallen eher in einen Dauerkonsum, und einige von ihnen landen als verwahrloste oder überstimulierte Menschen auf der Strasse. Das ist mit ein Grund, warum der Drogenkonsum in den Schweizer Städten so sichtbar wurde.
In der Deutschschweiz dominiert selbsthergestelltes Crack, doch fixfertige Crack-Steine wie in Genf sind ebenfalls schon aufgetaucht, etwa in Zürich oder Luzern. Werden sich diese überall durchsetzen?
Soweit ich weiss, stammen die ausserhalb von Genf aufgetauchten, fixfertigen Crack-Steine meistens von Drogenkonsumierenden selbst. Manche von ihnen stellen mehr Stoff als für den Eigenkonsum her und verkaufen diesen im kleinen Rahmen. Es handelt sich also oft nicht um professionell organisierte Dealer, die wie in Genf den Markt fluten. Ob letztere ihr Business in der Schweiz ausbreiten, ist nicht in Stein gemeisselt, aber auch nicht ausgeschlossen. Alle Szenarien sind möglich. Wenn es eine grosse Nachfrage nach einem Produkt gibt, entsteht meistens auch ein Angebot.
Reicht die Viersäulen-Politik – bestehend aus Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression – angesichts der Veränderungen auf dem Drogenmarkt noch aus?
Ja, unsere Drogenpolitik ist nach wie vor die richtige. Die aktuellen Probleme in verschiedenen Städten zeigen aber, dass das Modell nicht mehr der Realität angepasst ist. Um die Situation besser unter Kontrolle zu bringen, gilt es nun an den richtigen Schrauben zu drehen. Sicher müssen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vermehrt auf die Strasse, wohin sich der Konsum verlagert hat. Zudem braucht es einen Ausbau der Hilfsangebote – etwa in Form von Schlafstellen, damit Crack-Süchtige zur Ruhe kommen können. All das geht nicht ohne zusätzliche personelle und finanzielle Mittel. Und klar ist auch, dass es in jeder Stadt individuell angepasste Lösungen braucht.
Das Problem ist halt auch: Man weiss wer die Cracksteine in Umlauf bringt aber wenn man Leute mit entsprechender Herkunft öfter kontrollieren möchte wird den Polizisten wieder Rassismus vorgeworfen.
In den letzten Wochen ist mir aufgefallen, wie selbst in kleineren Bahnhöfen wie z.B. Aarau, Winterthur oder Nyon Menschen und tagsüber völlig offen Crack geraucht wird.
Kann die Zunahme in den letzten Wochen absolut bestätigen und das stimmt mich sehr nachdenklich.
Hätte nicht gedacht, dass sich die 90-er Jahre diesbezüglich auf einmal wieder zurückmelden.