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Gesellschaft & Politik

Wie die Schweizer Bauern das Rad zurückdrehen wollen

Wie die Schweizer Bauern das Rad zurückdrehen wollen

Tradition pur: Bauern an einer Viehschau in Appenzell-Innerrhoden.Bild: KEYSTONE
Weniger Markt, mehr Grenzschutz
Mehrere Initiativen und Vorstösse sollen eine weitere Liberalisierung der Schweizer Landwirtschaft stoppen. Kritiker fürchten eine Rückkehr zu Massenproduktion und Abschottung.
29.05.2014, 08:0224.06.2014, 09:26
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In der Weltpolitik ist häufig die Rede von «roten Linien». Für die Landwirte ist die «weisse Linie» eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Der Begriff umfasst alle Milchprodukte ausser Käse und Quark. Als der Bundesrat Mitte Mai in einem Bericht festhielt, eine Öffnung des Milchmarkts gegenüber der EU sei «volkswirtschaftlich positiv» zu werten, herrschte Aufruhr im Bauernstand. Von einer «Schnapsidee» sprach der Schweizerische Bauernverband (SBV).

Am Dienstag doppelte der Verein für eine produzierende Landwirtschaft (VPL) an einer Medienkonferenz nach: «Der Bundesrat hat die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt», erklärte der Berner SVP-Nationalrat Rudolf Joder, Präsident des VPL. Dieser wurde im Januar gegründet. Welche Ziele er verfolgt, hält er auf seiner Website unmissverständlich fest: «Wir lehnen die Weiterführung der bisherigen Landwirtschaftspolitik ab und engagieren uns für entsprechende Änderungen.»

SVP-Nationalrat Rudolf Joder verlangt eine Kehrtwende.
SVP-Nationalrat Rudolf Joder verlangt eine Kehrtwende.Bild: KEYSTONE

Deutlicher kann man es nicht ausdrücken: Nach zwei Jahrzehnten Marktöffnung und Liberalisierung sind viele konservative Bauern reformmüde. Früher erhielten sie einen fixen Preis für ihre Produkte, der Schweizer Markt war gegenüber dem Ausland weitgehend abgeschottet. Eine Folge waren Butterberge und Milchseen. Seither wurden die subventionierten Preise sukzessive ersetzt durch Direktzahlungen für Landschaftspflege und ökologische Leistungen. Der Grenzschutz wurde abgebaut, nicht zuletzt auf Druck des Auslands (Stichwort WTO).

Für die Konsumenten brachte die Reformpolitik eine grössere Auswahl und qualitativ hochwertige, innovative Landwirtschaftsprodukte. Nach wie vor fliessen jährlich rund 3,5 Milliarden Franken an Bundesbeiträgen in die Landwirtschaft. Der Strukturwandel verläuft in der Schweiz vergleichsweise geordnet. Zwar müssen jährlich rund 1000 Höfe aufgeben, doch meist wegen fehlender Nachfolge und nicht aus existenzieller Not.

Das Einkommen der Bauern ist relativ konstant, allerdings sind sie zunehmend auf einen Nebenerwerb angewiesen.
Das Einkommen der Bauern ist relativ konstant, allerdings sind sie zunehmend auf einen Nebenerwerb angewiesen.Grafik: Bundesamt für Statistik

Dennoch klagen die Bauern über das nach ihrer Meinung zu hohe Reformtempo. Gegen die vom Parlament beschlossene Agrarpolitik für die Jahre 2014 bis 2017, die weitere Schritte in Richtung Ökologie einleitet, ergriffen Kreise um SVP-Nationalrat Joder letztes Jahr das Referendum, allerdings ohne Erfolg. Doch nun sind mehrere Volksinitiativen und Vorstösse unterwegs, die ganz im Sinn und Geist der Bewahrer sind:

Initiative «für Ernährungssicherheit»

Hinter der im März lancierten Volksinitiative «für Ernährungssicherheit» stehen Bauernverband und SVP. Ursprünglich planten sie je ein eigenes Volksbegehren, doch schliesslich bündelten sie ihre Kräfte. Nach zwei Monaten sind bereits fast 150'000 Unterschriften beisammen, wie Rudolf Joder auf Anfrage erklärte. Was auch daran liegt, dass die Initiative sehr offen formuliert ist und kaum Angriffspunkte bietet. Joder will ergänzend drei parlamentarische Vorstösse einreichen.

Uniterre-Initiative

Die vor allem in der Westschweiz aktive Bauerngewerkschaft Uniterre will im Herbst eine eigene Volksinitiative zur Ernährungssouveränität lancieren. Der Text ist noch nicht ausformuliert, wie Uniterre letzte Woche bekannt gab. Er soll im Gegensatz zur Bauernverbands-Initiative konkrete Forderungen enthalten. So soll der Bund Vorschriften erlassen mit dem Ziel, die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft zu erhöhen.

Importierte Lebensmittel sollen nach Schweizer Standards produziert und vom Cassis-de-Dijon-Prinzip ausgenommen werden.Bild: KEYSTONE

Fair-Food-Initiative

Die Schweizer Umweltschutz- und Tierschutzstandards sollen auch für importierte Lebensmittel gelten. Dies fordern die Grünen mit der Fair-Food-Initiative, die am Dienstag lanciert wurde. Der Bauernverband hegt für die Initiative «eine gewisse Sympathie», auch SVP-Nationalrat Joder findet sie «grundsätzlich positiv». Skeptisch sind laut dem «Tages-Anzeiger» ausgerechnet Vertreter der Bio-Landwirtschaft, sie fürchten einen hohen Kontroll- und Regulierungsaufwand. Unklar ist auch, ob die Initiative mit dem WTO-Abkommen kompatibel ist.

Cassis-de-Dijon-Prinzip

Die Fair-Food-Initiative würde gegen das seit 2010 geltende Cassis-de-Dijon-Prinzip verstossen. Produkte, die in der EU zugelassen sind, können seither ohne Einschränkungen importiert werden. Doch dieser Einwand dürfte sich bald erübrigen: Nationalrat und Bauernverbands-Direktor Jacques Bourgeois (FDP/FR) hat eine parlamentarische Initiative eingereicht, die Lebensmittel von «Cassis de Dijon» ausklammern will. Sie wird von linken und bürgerlichen Kreisen unterstützt.

SVP-Nationalrat Joder, von Beruf Jurist, aber aufgewachsen auf einem Bauernhof in Zimmerwald, will von einer Reformmüdigkeit nichts wissen. Er glaubt aber, dass das Volk mit der zunehmenden Extensivierung der Landwirtschaft nicht einverstanden ist. Vor allem fordert er mehr Grenzschutz: «Die Globalisierung der Landwirtschaft geht in die falsche Richtung.» Die Marktöffnung habe zwar das Angebot vergrössert, man dürfe sie aber nicht ausweiten: «Es macht keinen Sinn, Grundnahrungsmittel wie Milch und Kartoffeln in die Schweiz einzuführen, auch wegen der Umweltbelastung.»

Selbst die Linke will den Bauern eine Reformpause gönnen.
Selbst die Linke will den Bauern eine Reformpause gönnen.Bild: KEYSTONE

Die Linke hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der Basler SP-Nationalrat Beat Jans reichte kürzlich eine Motion ein, die einen Verzicht auf die Agrarreform 2018-2021 fordert. «In den letzten Jahrzehnten ist relativ viel reformiert worden, die Bauern sollen nun Zeit erhalten, sich in Ruhe anzupassen», erklärt Jans. Dahinter verbirgt sich die Sorge, dass es zu einer «Retour-Reform» kommt. «Ein grosser Teil der Bauern würde am liebsten zur Produktesubventionierung zurückkehren», erklärt Jans. Für gefährlich erachtet er besonders die Volksinitiative von SVP und Bauernverband, die so formuliert sei, «dass jeder sie unterstützen kann».

Fragt sich nur, ob das Volk mitspielt. Es hat in der Vergangenheit wiederholt Vorlagen an der Urne eine Abfuhr erteilt, die die traditionelle Landwirtschaftspolitik fortführen wollten. Gleichzeitig hat es sich immer wieder für eine ökologischere Landwirtschaft ausgesprochen. Selbst Rudolf Joder äussert sich vorsichtig: «Es sieht nicht schlecht aus.» In den letzten Jahrzehnten sei die Distanz zwischen Volk und Bauern gewachsen. Letztlich aber ist der konservative Berner überzeugt, dass «das Volk eine eigenständig produzierende Landwirtschaft will».

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