Die hohe Krankenkassenprämienlast treibt das Parlament, den Bund und nicht zuletzt die Schweizer Bevölkerung seit Monaten um. In einer Partei scheint die Bekämpfung der Prämienlast auch intern für Konflikte zu sorgen: die Mitte.
Vor allem aus dem SP-Lager werden die Forderungen nach Lösungen immer lauter, die Entlastung der mittleren und unteren Klassen scheinbar immer dringlicher. Bis anhin hatte die SP bei vielen Vorstössen eine starke Verbündete: die Mitte. Aber einige Mitte-Ständeräte geben bei wichtigen Geschäften Gegensteuer.
Am 30. November hat der Ständerat über das Eintreten zur Prämien-Entlastungs-Initiative und deren indirekten Gegenvorschlag abgestimmt. Die SP fordert mit ihrer Initiative, dass niemand mehr als 10 Prozent seines Einkommens für Krankenkassengebühren ausgeben muss.
Die Mitte hatte sich eigentlich klar positioniert. Sie setzt sich für Stärkung der Kaufkraft ein und wollte auf den Gegenvorschlag zur Prämien-Initiative eintreten. Sämtliche Mitte-Nationalräte hatten geschlossen für das Eintreten auf die Vorlage gestimmt.
Im Ständerat wehte aber ein anderer Wind: Mitte-Ständerat Benedikt Würth (SG) stellte einen Antrag auf Nichteintreten. Er wollte, dass das Geschäft gar nicht erst beraten wird. Würth war mit seinem Antrag erfolgreich, dieser erhielt mit 22 zu 20 Stimmen eine Mehrheit. Mit ihm haben sich vier weitere Mitte-Politiker gegen die Parteilinie gestellt.
Noch am selben Tag folgte das Communiqué der Mitte. Man bedaure diesen «Fehlentscheid». Die Mitte schreibt: «Angesichts der explodierenden Krankenkassenprämien [...] besteht klar Handlungsbedarf. Prämienverbilligungen sind ein wichtiges Instrument für den sozialen Ausgleich und für den Schutz der Kaufkraft der Bevölkerung.»
Im Communiqué werden die Querulanten, die sich gegen die Parteilinie stellen, nicht explizit gerügt. Klar betont wird aber, dass der Ständerat mit der «Diskussionsverweigerung» einen Schritt in die falsche Richtung gemacht habe – und mit ihm wohl auch die Mitte-Ständeräte, die für das Nichteintreten auf das Geschäft gestimmt haben.
Doch es bleibt nicht bei einem einzelnen Alleingang einiger Mitte-Ständeratsmitglieder.
Die SP-Fraktion aus dem Nationalrat, die Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot und die SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti haben am 16. Juni 2022 eine gleichlautende Motion eingereicht. Im eingereichten Text wurde der Bundesrat beauftragt, den Beitrag des Bundes an die Individuelle Prämienverbilligung (IPV) für das Jahr 2023 um 30 Prozent zu erhöhen.
Alle drei Motionen wurden am Montag vom Ständerat abgelehnt. Das Nein der kleinen Kammer bedeutet, dass der Bundesbeitrag an die Prämienverbilligungen nicht erhöht wird.
Das gleiche Muster wie im November: Die Ablehnung der Motion im Ständerat war unter anderem darauf zurückzuführen, dass nicht alle Mitte-Ständeräte der Motion zugestimmt haben. Diese Entwicklung überrascht – ein weiteres Mal. Denn auch in diesem Fall hatten alle Mitte-Mitglieder im Nationalrat die Motion geschlossen angenommen.
Die Postion der Mitte war auch bei dieser Motion klar: Am 17. Juni 2022, also einen Tag, nachdem die Motionen eingereicht wurden, publizierte die Mitte ein Communiqué. Darin schreibt sie: «Die Mitte ist daher der Überzeugung, dass es im jetzigen Moment richtig ist, den Bundesbeitrag für Prämienverbilligungen, befristet für ein Jahr, um 30% zu erhöhen.»
Im Communiqué wird überdies der Ständerat Pirmin Bischof (SO) zitiert: «Es ist der Mittelstand, der aktuell am wenigsten von den Unterstützungsleistungen des Staates profitieren kann. Die Erweiterung der Prämienverbilligungen soll nun aber genau diesen Mittelstand entlasten [...] Es ist dringend und notwendig, dass wir jetzt Massnahmen ergreifen, um die inländische Kaufkraft zu schützen». Obwohl sich Bischof im Juni noch klar für die Motion aussprach, lehnte er schlussendlich zwei der gleichlautenden Motionen ab. Bei der Dritten enthielt er sich. Inkonsistenz ohne erklärbares Motiv. Auf die Anfrage von watson ist Bischof nicht eingegangen.
Ähnlich wie Bischof haben auch andere Mitte-Ständeräte je nach Motion, die notabene immer den exakt selben Wortlaut hatte, ein anderes Votum gegeben.
Immer abgelehnt haben die Motion sechs der vierzehn Mitte-Ständeräte: Daniel Fässler (AI), Andrea Gmür-Schönenberger (LU), Peter Hegglin (ZG), Othmar Reichmuth (SZ), Bededikt Würth (SG) und Heidi Z'graggen (UR). Auch die Ständeräte der FDP und der SVP haben mit der Ausnahme einer einzigen Enthaltung geschlossen für die Ablehnung des Antrags gestimmt.
watson hat den Parteipräsidenten Gerhard Pfister gefragt, wie er das Verhalten der Ständeräte bewertet. Er zeigt sich gewohnt diplomatisch: «Ich stelle fest, dass einzelne Ständeräte die Interessen ihrer Kantone denjenigen der Partei vorziehen. Die Mitte wird sich weiterhin für eine Lösung des Problems der steigenden Krankenkassenprämien einsetzen.»
Die Antwort von Pfister lässt erahnen, dass die aktuellen Differenzen auf ein altbekanntes Problem zurückzuführen sind – auf die verschiedenen Präferenzen der Kantone. Denn letztlich sind die Ständeräte gleichzeitig Vertreter ihrer Partei und ihres Kantons. Und je nach Geschäft können sie sich für die eine oder die andere Seite entscheiden.
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Es wäre lustig wenns nicht so traurig wäre.