Das Vallée de la Brevine gilt zu Recht als «Sibirien der Schweiz». Am 12. Januar 1987 fiel das Thermometer auf klirrend kalte -41,8 Grad Celsius. Dies gilt bei MeteoSchweiz noch immer als offizieller Schweizer Kälterekord. Möglich gemacht hat dieser Extremwert eine Talsenke, auch bekannt als Kaltluftsee. Vereinfacht gesagt, kann an solchen Orten eine Temperaturumkehr auftreten. Dann ist es unten kälter als oben und ein Kaltluftsee entsteht (hier gibt's die ausführliche Erklärung).
La Brévine ist der wohl bekannteste und einfach zu erreichende Kaltluftsee in der Schweiz. Ebenfalls solche entstehen unter anderem beim Sämtisersee im Alpstein – mit einer (Schneeschuh-)Wanderung zu erreichen – oder auch bei Hintergräppelen im Toggenburg oder beim Sägistalsee auf fast 2000 Metern über Meer. Dieser sorgte im Januar mit Temperaturen von minus 42,3 Grad für Aufsehen.
Die beiden Letztgenannten zeigen aber auch das Problem auf: Die Gebiete sind zum Teil sensibel, geschützt (z. B. Hintergräppelen) oder sind (zumindest im Winter) nur schwer zugänglich, wie eben der Sägistalsee oder die Glattalp. Zudem kann ein Besuch bei richtig frostigen Temperaturen an diesen Orten auch gefährlich werden, weil vielen Ausrüstung, Erfahrung oder Vorbereitung fehlt. Darum: Geht da bei tiefen Temperaturen nicht hin.
Wer trotzdem eisige Orte erleben will, für den haben wir hier – neben den bekannten wie Samedan, Ulrichen oder Ebnat-Kappel – sieben weniger bekannte Alternativen. Stephan Vogt, Mitarbeiter von MeteoSchweiz, der in seiner Freizeit die Website kaltluftseen.ch betreibt, hat uns Gegenden verraten, die «aufgrund der topografischen Disposition mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gut funktionierende Kaltluftseen sind». Messungen, welche dies belegen, sind in diesen nicht explizit bekannt. Aber die Orte sind heisse Anwärter für kalte Erlebnisse.
Also dann: den nächsten klaren, windstillen Morgen (oder auch die Abenddämmerung) abwarten, Mütze auf und los!
Auf dem Weg zum Stockhorn steigt man auf dem Chrindi in die zweite Gondel um. Im Winter kann man von der Mittelstation aus auf eine Winterwanderung oder Schneeschuhtour gehen oder beim Schlittschuhlaufen auf dem Hinterstockensee verweilen. Man sollte aber genügend warm angezogen sein.
Denn weil der See in einer rund 40 Meter tiefen Senke liegt, ist die Chance für einen Kaltluftsee hier hoch. Es kann also gut sein, dass die Temperatur von der Seilbahnstation hinunter zum See deutlich sinkt und du dies zu spüren bekommst.
So erreichst du den Hinterstockensee.
Das Hochmoor Rothenthurm ist das grösste zusammenhängend Hochmoor der Schweiz. Wanderer und Spaziergänger haben hier im Naturschutzgebiet verschiedene Möglichkeiten, die einmalige Gegend zu erkunden.
Im Gegensatz zum Hinterstockensee befinden wir uns hier nicht in einer geschlossenen Senke. Trotzdem kann sich bei passenden Bedingungen ein Kaltluftsee bilden, da mehr Kaltluft zu- als abfliessen kann.
Hier gibt's mehr Informationen zum Hochmoor Rothenthurm.
Auch ganz in der Nähe der grössten Schweizer Stadt lässt sich ein Kaltluftsee finden. Um diese Stelle herum brach im 17. Jahrhundert gar ein Grenzstreit zwischen Wettingen AG und Otelfingen ZH aus. Das Isloch (Eisloch) wird seither von der Kantonsgrenze durchschritten.
Auch wenn es sich hierbei um einen Mini-Kaltluftsee handelt, so ist die Gegend in schwer zugänglichem Gelände spannend. Stephan Vogt schreibt: «Expositionsbedingt vermag der Boden derart auszukühlen, dass sich hier Schnee deutlich länger halten kann als anderswo auf ähnlicher Höhe. Kalte Luft tritt hier auch aus sogenannten ‹Blaslöchern› aus.»
Das führte dazu, dass hier selbst im Sommer noch Eis gefunden wurde, woher der Name «Eislöcher» stammt.
Hier gibt es mehr Informationen zum Isloch.
Wir wechseln nach Graubünden und kommen wieder zu einem offenen Kaltluftsee. Die Landquart verlässt das Prättigau nach Grüsch durch die Klus. Da auch hier mehr Kaltluft zu- als abfliessen kann, staut sich ein Kaltluftsee auf.
Dass dieser existiert, zeigt auch eine Messstation von MeteoSchweiz. Im benachbarten Schiers wurden hier schon einige sehr tiefe Temperaturen in der Schweiz für diese Höhenlage gemessen (628 Meter über Meer) – und dies, obwohl die Messstation rund 20 Meter über dem Fluss beim Eingang in die Klus liegt. Da das untere Prättigau in den Wintermonaten lange abgeschattet ist, bleibt es auch tagsüber verhältnismässig kalt, wie Schiers zeigt.
Der Landquart entlang kannst du im Sommer und Winter auf einem Wanderweg spazieren und mit etwas Glück den Kaltluftsee erleben.
Wir kommen nochmals in die Nähe von Zürich. Hinter dem Uetliberg kann ein Kaltluftsee auch bei Landikon erlebt werden. Hier sorgt der Bahndamm dafür, dass ein solcher entstehen kann.
Wenn die Bedingungen passen, staut sich am Bahndamm, welcher das Reppischtal durchquert, die Luft. So entsteht ein seichter, nur wenige Meter hoher Kaltluftsee.
Auch dieses Gebiet ist mit Fusswegen und Strassen gut erschlossen und kann selbst erlebt werden.
Heute sieht man nichts mehr davon, aber westlich des Dorfes Seewen SO existierte bis ins 16. Jahrhundert ein See. Auf Landkarten erinnert die Bezeichnung «See» für das Gebiet noch ans einst rund 2,5 Kilometer lange Gewässer im Schwarzbubenland. Dieses entstand einst durch einen Bergsturz und wurde von der Bevölkerung mittels eines Tunnels entwässert.
Spezifische Messungen wurden hier zwar noch nicht durchgeführt, aber der Werkhof/die Sammelstelle ARA der Gemeinde liegt nahe am tiefsten Punkt der Senke. Vogt sagt: «Den Leuten müsste das bestimmt schon aufgefallen sein, dass es dort einiges kälter sein kann als im Dorf.»
Für alle anderen ist der Wanderweg dem Seebach entlang zu empfehlen. Von 550 Metern über Meer begibt man sich am östlichen Ende der Senke knapp 15 Meter tiefer und erreicht dann beim Dorf Seewen wieder über 550 Meter.
Für den letzten Kaltluftsee-Kandidaten reisen wir in den Kanton Neuenburg. Und zwar ins Vallée de la Sagne/Vallée des Ponts – seines Zeichens ein Nachbartal von La Brévine. Auch dieses Tal bildet eine abgeschlossene Senke und hier wurden – auch wenn nicht offiziell – schon unter minus 40 Grad Celsius gemessen.
Der kälteste Punkt im rund 18 Kilometer langen Hochtal auf rund 1000 Metern über Meer dürfte sich südöstlich der Ortschaft Les Ponts-de-Martel im Schluckloch der Grand Bied befinden, wie Vogt vermutet.
Wenn genügend Schnee liegt und die Bedingungen passen, kann hier der Kaltluftsee beim Langlaufen erlebt werden. Interessant ist auch der Torfmoorpfad Sentier Tourbières, praktisch direkt beim tiefsten Punkt des Tals.
PROST