Unter der Bundeshauskuppel ist es schon auf verschiedenen Ebenen aufgefallen: Vertreterinnen und Vertreter der SVP nutzen immer wieder die Bühne im Parlamentsgebäude, um auf heikle Art und Weise ihre politischen Ziele zu verfolgen. Sie greifen dabei zu Methoden, die auch rechtlich nicht unzweifelhaft sind.
Erst letzte Woche etwa mit einer persönlichen Attacke gegen SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Das Parlament debattierte darüber, wie die Politik angesichts der steigenden Preise die Kaufkraft schützen soll. Badran beteiligte sich dabei, gab zwei Wortmeldungen ab und stimmte bei den Abstimmungen mit – obwohl sie gesundheitlich nicht auf der Höhe war. Sie habe bei der Debatte dabei sein wollen, erklärt sie später auf Anfrage. Ihr Versuch, mit dem Unwohlsein umzugehen, war deshalb: Augen schliessen und den Kopf wenige Minuten auf den Tisch legen.
Ein unbekannter Politiker beobachtete das Treiben von der SVP-Ratsseite aus. Anstatt aufzustehen und sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen, entschied sich dieser, die Szene zu fotografieren. Wer es war, ist unklar: Die SRG konnte die ungeschnittenen Videoaufnahmen aus dem Nationalratssaal nicht weitergeben. Was aber bekannt ist: Das Foto landete nicht mal vier Stunden später beim abgewählten und ehemaligen SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli.
Er fabulierte daraus einen polemischen «Weltwoche»-Blogbeitrag, in dem er Badran vorwarf, im Nationalratssaal geschlafen zu haben. Die rechtsnationale Leserschaft applaudierte und beschimpfte Badran in der Kommentarspalte als abzockende Politikerin.
Typisch «Weltwoche», typisch SVP, also?
Der jüngste Fall mag zwar ein weiteres Beispiel unjournalistischer Polemik der «Weltwoche» sein. Er beinhaltet aber zwei Komponenten, die mittlerweile Teil von mehreren SVP-Kampagnen sind: einerseits die Angriffe gegen politische Gegnerinnen und Gegner, andererseits die Verwendung von rechtlich heiklen Mitteln im Bundeshaus.
So verletzte Mörgelis Quelle im Nationalratssaal nicht nur die Persönlichkeitsrechte von Badran, sondern nutzte dabei auch noch das Nationalratsprivileg, um aus dem Ratssaal Fotografien zu machen. Dieses Recht wird normalerweise für Nicht-Parlamentarier eingeschränkt: Für die «normale» Bevölkerung gilt auf der Tribüne ein striktes Fotografierverbot, für Journalistinnen und Journalisten eine besondere Bewilligungspflicht.
Von diesem Nationalratsprivileg profitierte nicht nur Mörgelis Quelle. Auch SVP-Nationalrat Roger Köppel nutzte mehrmals seinen Nationalratsausweis, um für die «Weltwoche» in Videobeiträgen aus dem Bundeshaus gegen Behörden und andere Politiker wettern zu können. Solche Aufnahmen sind deshalb heikel, weil die Säle und Sitzungszimmer im Bundeshaus gemäss Hausordnung nur für parlamentarische Zwecke verwendet werden dürfen.
Köppels Vermischung des Jobs als «Chefredaktor» und Nationalrat ist zwar nicht neu. Im März 2022 ging er aber so weit, dass er geheime Informationen aus einer Kommissionssitzung in einem «Weltwoche»-Beitrag veröffentlichte, um gegen Bürgerliche und Linke wegen der Russlandsanktionen zu wettern. Strafrechtlich wurde dies nicht verfolgt, dem SVP-Nationalrat drohen nach aktuellem Stand nur «Disziplinarmassnahmen».
Völlig konsequenzlos blieb hingegen eine rassistische Äusserung von SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi, in der er die Bevölkerung zweier Nationen pauschal in die Nähe von Vergewaltigern rückte. Auch er profitierte vom Nationalratsprivileg, welches ihm bei Äusserungen im Ratssaal vollständige Immunität verleiht. Seine rassistische Wortmeldung landete so straffrei im Wortprotokoll des Nationalrates, archiviert für die Ewigkeit – Bürgerinnen und Bürger ausserhalb des Parlaments hätten bei einem solchen Vorgehen Ermittlungen und Verurteilungen wegen Verstosses gegen die Antisemitismus-Strafnorm zu befürchten.
Aufgefallen war auch der jüngste Auftritt von SVP-Nationalrat Christian Imark: Er platzierte eine Drohung gegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga im gleichen Atemzug, in dem er gegen «linke Energiewende-Lobbyisten» wetterte. Konsequenzen gab es auch hier nicht.
Zuständig wäre dafür Nationalratspräsidentin Irène Kälin. Die Grünen-Senkrechtstarterin aus dem Aargau präsentierte sich aber in ihrer Amtszeit bislang zurückhaltend. Das mag mit der Funktion zusammenhängen – so verlangt es etwa ein ungeschriebenes Recht, dass sich Amtsträgerinnen und Amtsträger bei politischen Äusserungen zurückhalten.
2008/2009 zeigte aber die Tessiner CVP-Politikerin Chiara Simoneschi-Cortesi, dass es auch anders geht: Sie führte ein Jahr lang den Nationalrat und als Hausherrin auch das Bundeshaus mit eiserner Hand. Simoneschi-Cortesi duldete etwa keine Beleidigungen und keine rhetorischen Entgleisungen und ging als legendäre «Herrin des Knopfs» (siehe Video) in die Geschichte der Schweizer Politik ein.
Kälin sagt auf Anfrage, dass sie tatsächlich ein anderes Rollenverständnis habe: «Zurechtweisungen oder Ordnungsrufe können gerade in hitzigen Debatten das Gegenteil bringen, was man überhaupt erreichen will: Sie schaffen Aufmerksamkeit oder zusätzliche Debatten.» Sie führe stattdessen lieber auch mal ein Einzelgespräch, wenn sich jemand im Ton vergreife.
Vorsichtiger wird sie zur generellen Frage, was sie gegen den Missbrauch des Bundeshauses tun wolle. «Es gibt Regeln und die müssen eingehalten werden. Sie auch umzusetzen, ist nicht immer einfach: So ist beispielsweise nicht immer ganz klar, wann man mit Roger Köppel als ‹Nationalrat› und wann man mit ihm in seiner ‹Weltwoche›-Funktion spricht», sagt Ratspräsidentin Kälin.
Zumindest was rassistische Äusserungen betrifft, kündigte sie vor einigen Wochen mögliche Massnahmen an. Gegenüber watson wiederholt sie: «Wer solche Aussagen im Bundeshaus macht und dabei im Scheinwerferlicht der vielen Kameras und Mikrofone steht, soll sich meiner Meinung nach nicht mehr hinter der Immunität verstecken dürfen.» Ein entsprechender Vorstoss liegt noch nicht auf dem Tisch – die Tradition verlangt es von Nationalratspräsidentinnen, während der Amtszeit keine Vorstösse einzureichen.