Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2012 galt Bundesanwalt Michael Lauber als Hoffnungsträger. Sechs Jahre später steht der oberste Strafverfolger der Schweiz vor einem Scherbenhaufen. Am Mittwoch entscheidet die Vereinigte Bundesversammlung, ob Lauber für weitere vier Jahre im Amt bleiben soll. Die Gerichtskommission des Parlaments hat empfohlen, ihn nicht wiederzuwählen.
Wird Lauber abgewählt, so ist er der dritte Bundesanwalt in Folge, der in seinem Amt floppte. Sein Fall zeigt exemplarisch, woran die Behörde krankt. Ein Drama in 5 Akten.
Michael Lauber ist 45 Jahre alt, als er 2012 das Ruder in der Bundesanwaltschaft übernimmt. Das Parlament wählt ihn mit 203 von 206 gültigen Stimmen und keiner zweifelt daran, dass er der richtige Mann für das Amt ist. Er wird beschrieben als «offen», «zupackend» und «kompetent», als «Mensch mit Pfiff», «Schnelldenker und Schnellredner».
Der Pfarrerssohn aus dem Kanton Solothurn startete seine Karriere als Untersuchungsrichter. Später war er Spezialfahnder bei der Berner Kantonspolizei und leitete die Zentralstelle organisierte Kriminalität im Bundesamt für Polizei (heute Fedpol). Danach zog es ihn ins Fürstentum Liechtenstein, wo er zuerst eine Meldestelle zur Bekämpfung der Geldwäsche aufbaute und später den Aufsichtsrat der Finanzmarktaufsicht Liechtensteins präsidierte.
Als parteiloser Externer schien Lauber die perfekte Wahl für das Amt – ein Kompromisskandidat, der über die Parteigrenzen hinaus auf Akzeptanz stiess. Denn was sich nach den Turbulenzen mit den letzten zwei Bundesanwälten Valentin Roschacher (2000 bis 2006) und Erwin Beyeler (2007 bis 2011) alle wünschten, war: ein Neuanfang.
Unter Laubers Vorgängern wurde die Behörde immer wieder von Skandalen erschüttert. Medienwirksam kündigten die Strafverfolger des Bundes grosse Erfolge an, um dann am Ende kleinlaut beigeben zu müssen. Mehrere solche Misserfolge, ungeschickte Amtsführung und verschiedene Pannen führten dazu, dass Roschacher frühzeitig von seinem Amt zurücktreten musste. Seinem Nachfolger Beyeler erging es nicht besser. Er wurde nicht wiedergewählt.
Kurzum: Die Erwartungen an Lauber waren bei dessen Wahl gross. Die Politik erhoffte sich mehr Effizienz, mehr Ruhe und vor allem ein Ende der Flops.
Bei seinem Amtsantritt signalisiert Lauber, dass er die Bundesanwaltschaft neu ausrichten will. Das Vertrauen in die Behörde sollte wiederhergestellt, das ramponierte Image aufgebessert werden. «Kommunikation ist absolut entscheidend. Ich will nichts verstecken», sagt er in einer Vorstellungsrede.
Doch auch die beste Öffentlichkeitsarbeit kann nicht verstecken, dass die Bundesanwaltschaft auch unter Lauber weitere Schlappen einstecken muss. Die gravierendste erfolgt im Juni 2018. Der Prozess gegen die Tamil Tigers – der grösste Fall, der je am Bundesgericht in Bellinzona verhandelt wurde – endet für Lauber in einem Fiasko. Das Gericht bewertet Aussagen aus Einvernahmen, die in Sri Lanka unter fragwürdigen Umständen durchgeführt wurden, als nicht verwertbar. Die 13 Angeklagten werden vom Vorwurf, einer kriminellen Organisation anzugehören, freigesprochen. Nur fünf Personen werden wegen Finanzdelikten zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt.
Auch im Verfahren gegen Nicolas Blancho und Qaasim Illi, die Aushängeschilder des Islamischen Zentralrats Schweiz, kommt das Gericht zum Schluss dass die Anklageschrift handwerkliche Mängel enthält. Blancho und Illi werden freigesprochen. Ebenfalls zu einer Panne kommt es in einem Geldwäschereiverfahren gegen sechs Usbeken. Das Bundesstrafgericht heisst ein Ausstandsbegehren gegen den Verfahrensleiter bei der Bundesanwaltschaft gut. Dieser reiste ausserhalb der Prozessordnung nach Usbekistan und habe so den Anschein von Befangenheit erweckt.
Selbst seine PR-Offensiven bringen Lauber nach einer Weile nicht mehr nur Lob ein. Er suche zu oft das Rampenlicht, betreibe gar in seinem Amt Politik und steigere die sowieso schon hohen Erwartungen an die Bundesanwaltschaft umso mehr.
Der Schatten legt sich immer mehr über Lauber, bis es dann im November 2018 zum endgültigen Knall kommt. Unter dem Titel «Football Leaks» deckt ein internationales Journalistennetzwerk auf, dass sich der Bundesanwalt mehrmals mit dem Fifa-Chef Gianni Infantino getroffen hat – heimlich und ohne die Gespräche zu protokollieren. Brisant daran: Die Geheimtreffen fanden zu einem Zeitpunkt statt, in dem Lauber wegen Korruption gegen die Fifa ermittelte.
Lauber verteidigt sich, sagt, bei dem ersten Treffen mit Infantino sei es lediglich um eine «Standortbestimmung» gegangen, beim zweiten hätten sie «verfahrensspezifische Fragen» geklärt. Er sei der Ansicht gewesen, dass solche informelle Treffen nicht protokolliert werden müssen. In solchen Fällen gelte die Dokumentationspflicht nicht.
Die Kritik um Lauber flaut etwas ab – doch nicht lange. Bald wird bekannt: Es gab ein drittes geheimes Treffen zwischen Infantino und Lauber. Für die Politikerinnen und Politiker ist das ein deutlicher Vertrauensbruch. Warum hat der Bundesanwalt nicht alle Fakten auf den Tisch gelegt, als man ihn zur Rede gestellt hat? Warum hat er das dritte Treffen verschwiegen?
Kollektive Amnesie macht sich breit. Keiner der am dritten Treffen Beteiligten kann sich daran erinnern, dass dieses stattgefunden hat. Lauber weist von sich, das dritte Treffen mit dem Fifa-Boss verschwiegen zu haben. Er sagt, er gehe davon aus, dieses habe stattgefunden. Nur erinnere er sich partout nicht daran: «Ich lüge nicht, ich kann nur sagen, was ich weiss.»
Die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft eröffnet eine Disziplinaruntersuchung gegen Lauber. Für ihn bedeutet das den endgültigen Gesichtsverlust. Trotzdem kommt für ihn ein Rücktritt nicht in Frage. Im Gegenteil. Er kandidiert für die kommende Amtsperiode ab 2020. In einem emotionalen Medienauftritt zeigt er sich darüber bestürzt, dass man nicht einmal in Betracht ziehe, dass er die Wahrheit sage.
Der nächste Paukenschlag folgt. Das Bundesstrafgericht stellt beim Bundesanwalt wegen der geheimen Infantino-Treffen Befangenheit fest. Lauber muss deshalb in den Fifa-Verfahren in den Ausstand treten, womit diesen die Verjährung droht. Ausserdem stellt das Gericht fest, dass der Bundesanwalt die Strafprozessordnung verletzt habe, weil er die Treffen nicht protokollierte.
Kurz vor der Herbstsession empfiehlt die Gerichtskommission dem Parlament, Lauber nicht für eine weitere Amtszeit zu wählen. In ihrer Erklärung stützt sich die Kommission auf das Urteil des Bundesstrafgerichts. Lauber habe mit den Treffen seine Amtspflichten schwer und grob fahrlässig verletzt. Ausserdem sei in Frage gestellt, ob sich der Bundesanwalt für das Amt noch eigne. Die Kommission kommt zum Schluss: «Die derzeitige Krise und das gestörte Verhältnis zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Bundesanwalt können nur mit einem personellen Neuanfang bei der Bundesanwaltschaft bewältigt werden.»
Lauber kämpft jetzt wie ein Löwe. Im laufenden Disziplinarverfahren der Aufsichtsbehörde engagiert er den renommierten Zürcher Strafverteidiger Lorenz Erni. Dieser ist gleichzeitig auch der Anwalt des ehemaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter, gegen den die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren führt. Das wird nicht überall goutiert. Auch dass der Bundesanwalt eine PR-Agentur anheuert, die ihm seine Wiederwahl am Mittwoch sichern soll, kommt nicht bei allen gut an.
Die grosse Frage ist nun: Fällt der Vorhang für Michael Lauber? Oder bleibt er für die kommenden vier Jahre der höchste Strafverfolger der Schweiz? Darüber entscheiden muss die Vereinigte Bundesversammlung am Mittwoch ab 8 Uhr morgens.
Sollte Lauber scheitern, so ist er der dritte Bundesanwalt innerhalb von 20 Jahren, der aus dem Amt geworfen wird. Für das Schweizer Justizsystem wäre das verheerend. Denn die Kritik an der Bundesanwaltschaft geht über Lauber und seine Vorgänger hinaus. Gegenüber dem Tages-Anzeiger sagte SP-Ständerat Daniel Jositsch vor Kurzem: «Es geht nicht nur um seine Person, sondern ums System.» Das Problem sei, dass die Bundesanwaltschaft eine aus kantonalen Ermittlern zusammengesetzte Gruppe ohne einheitliche Kultur geblieben ist. Die Institution sei ein Fremdkörper: «Einzelne Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft glauben, dass sie eine Art Schweizer FBI führen, das über dem System steht.» Doch bisher habe die Bundesanwaltschaft nicht bewiesen, dass sie irgendetwas besser könne als die kantonalen Staatsanwaltschaften.
Braucht es in diesem Fall überhaupt eine Bundesanwaltschaft? Jositsch findet, jetzt müsse man unabhängig von der Wahl des Bundesanwalts eine Auslegeordnung machen und dann entscheiden, was zu tun ist. Entweder müsse man die Bundesanwaltschaft stark verkleinern oder aber sie stärken und ihre Kompetenzen ausweiten, so Jositsch. Für ihn ist klar: «In der heutigen Form gibt es zu viele Kompromisse.»
Auch auf politischer Ebene gibt es Kritik am System. Dass der Bundesanwalt nicht wie früher nur vom Bundesrat, sondern von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt wird, verschafft ihm zwar eine gewisse Legitimation. Allerdings ist er so in seinem Wahlkampf auf Parlamentarierinnen und Parlamentarier angewiesen, die für ihn ein gutes Wort einlegen. Das schafft Abhängigkeiten, die bei einer Gewaltentrennung in einer Demokratie nicht vorkommen sollten.
Wie am Mittwoch der Krimi um die Bundesanwaltschaft ausgehen wird, ist unklar. Die FDP-Fraktion empfiehlt Lauber zur Wiederwahl. Auch die Fraktion der SVP sprach sich vergangene Woche für ihn aus. In der SP ist der Bundesanwalt umstritten. Am Dienstagnachmittag wurde bekannt, dass eine knappe Mehrheit der Fraktion Lauber wiederwählen will. Damit steigen seine Wahlchancen. Keine Empfehlung geben die CVP und die Grünen ab.
Ich kann also im Herbst nicht die Parlamentarier in den NR und SR wählen welche Lauber abgewählt haben weil ich nicht herausfinde wer für und gegen gestimmt hat. Schade! #laubermussweg