«Wer Fleisch isst, kann auch Pelz tragen»: Schweizer Pelzhersteller über mögliche Folgen
Die Pelznähmaschine aus Stahl auf dem kleinen Schreibtisch hat schon 60 Jahre auf dem Buckel – doch sie näht noch immer zuverlässig Tierfelle zusammen. Rundherum im Raum hängen Pelze: Schweizer Fuchs, kanadischer Biber, namibisches Schaf. Wir befinden uns im Reich von René Sigrist. Hier in seinem Atelier schneidet und näht der 58-Jährige Felle. Und streckt sie mit der «Zweckpistole», die griffbereit von der Decke baumelt und die Felle formstabil macht.
René Sigrist ist Kürschner: Er verarbeitet Tierfelle zu Pelzkleidern. Nur ein Dutzend Menschen in der Schweiz gehen diesem Beruf nach. Die meisten Kleider mit Pelz werden von internationalen Marken verkauft. Sigrist wurde das Handwerk in die Wiege gelegt: Er führt das Geschäft «Sigrist – Mode in Pelz» in Willisau in dritter Generation. Schon als 5-Jähriger habe er gewusst, dass er Kürschner werden wolle, sagt der Luzerner, der im Obergeschoss des 1927 eröffneten Pelzgeschäfts aufwuchs.
Bundesrat setzt auf Gegenvorschlag
Anders als noch zu Grossvaters Zeiten ist das Handwerk heute eine hochpolitische Affäre. Am Mittwoch diskutierte der Nationalrat die von Tierschützern eingereichte Pelz-Initiative: Sie fordert ein Einfuhrverbot für «tierquälerisch» erzeugte Pelzprodukte – wobei als Massstab die Schweizer Tierschutzvorschriften gelten sollen. Der Bundesrat sieht dadurch handelsrechtliche Verpflichtungen verletzt. Er lehnt die Initiative ab, nicht aber den Ruf nach einem Verbot.
Der Nationalrat hat die Initiative gutgeheissen; jetzt geht sie an den Ständerat.
Bereits per 1. Juli 2025 trat eine Verordnung in Kraft, die nach einer zweijährigen Übergangsfrist ein Importverbot für «tierquälerisch» erzeugte Pelze vorsieht. Mit einem indirekten Gegenvorschlag zur Pelz-Initiative möchte der Bundesrat das Verbot nun auf Gesetzesstufe heben. Bei der Definition von «tierquälerisch» will er sich dabei an den fünf Leitprinzipien der Weltorganisation für Tiergesundheit orientieren. Eines davon lautet: «Freiheit von Verletzungen, Schmerzen und Krankheit.»
Wie der Pelzfachverband SwissFur unterstützt auch René Sigrist den Gegenvorschlag. Der Handlungsbedarf ist unbestritten: Denn die 2013 in Kraft getretene Pelzdeklarationsverordnung, die Verkäufer zu Transparenz über die Herkunft und Tötungsmethode der verarbeiteten Tiere verpflichtete, wurde ungenügend umgesetzt. Bei Kontrollen waren bis zu 80 Prozent der Deklarationen mangelhaft. Dafür seien nicht die Kürschner verantwortlich, sondern andere Verkaufsstellen wie Modeboutiquen, betont SwissFur-Präsident Ivan Benjamin.
Die Krux mit den Schlagfallen für Biber
Solches Fehlverhalten ärgere ihn sehr, sagt René Sigrist, der laut eigenen Angaben nur einmal kontrolliert wurde – ohne Beanstandung. Gleichzeitig tue es ihm weh, dass die Initiative eine ganze Branche unter «Generalverdacht» stelle. «Wer Fleisch isst, kann gerade so gut Pelz tragen», findet Sigrist.
Beim Rundgang durch sein Geschäft versucht er, das negative Pelz-Bild zu korrigieren. Etwa, als er hinten im Atelier auf einen Nerzmantel zeigt. «Diesen hat ein Mann von seiner Grossmutter geerbt, findet ihn aber nicht schön», sagt der Kürschner. Er wird den Mantel nun in seine Einzelteile zerlegen und ein Gilet daraus nähen. «Das ist viel nachhaltiger, als einen Kunstpelz aus Rohöl zu kaufen, den man nach zwei Saisons wieder wegwirft!»
Bei einem Ja zur Initiative würde sich Sigrist stärker auf solche Neugestaltungen fokussieren. Auch die Verarbeitung von Fellen von Schweizer Füchsen, die der Luzerner von Jägern bezieht, wäre von der Initiative nicht tangiert. Anders ist die Situation beim Biber. Auf dem Etikett einer Samt-Biberjacke liest die Kundin: «Wildfang aus in der Schweiz nicht zugelassener Fallenjagd». Und weiter: Die Jagd erfolgte gemäss den Tierschutz- und Jagdgesetzen der USA und Kanada. Sigrist betont: «Die Biber werden zur Bestandsregulierung in jedem Fall gejagt. Ihr Fell zu verbrennen macht keinen Sinn.»
Tierschützer warnen vor «Verwässerung» der Vorlage
Tierschutzorganisationen bezeichnen den Einsatz von Schlagfallen jedoch als «Tierquälerei». Sie bürgen das Risiko, dass Tiere nicht sofort stürben und leiden müssten. Zudem könnten geschützte Tiere versehentlich in der Falle landen. Derweil möchte der Bundesrat den Einsatz der in der Schweizer Jagd verbotenen Fallen bei Importprodukten nicht unterbinden – sofern die Tiere «augenblicklich artgerecht erschlagen werden».
«Wenn ein Tier leidet und lange in einer Falle liegen bleibt, dann geht das Fell sowieso kaputt», sagt René Sigrist. Bei den Bibern aus Nordamerika kämen deshalb zertifizierte Fallen zum Einsatz.
Die Zertifizierung ist jedoch der grosse Zankapfel zwischen der Pelzindustrie und Tierschützern: Wer zertifiziert und auf der Basis welcher Kriterien?
Der Bundesrat setzt im Gegenvorschlag auf ein nationales Zertifizierungsprogramm, um den Pelzimport zu kontrollieren. Die vorberatende Nationalratskommission lehnt diese Sonderlösung ab. Sie verlangt, auf internationale Bewilligungsstandards wie die Furmark-Zertifizierung zurückzugreifen. Bei dieser kann die Kundschaft per QR-Code ein Produkt zurückverfolgen. Weil die Zertifizierung aber von der Pelzbranche entwickelt wurde, warnen Tierschützer vor einer «inakzeptablen Verwässerung» des bundesrätlichen Gegenvorschlags.
Pelz als Billigware vs. Luxusgut
SwissFur-Präsident Ivan Benjamin wehrt sich gegen die Kritik. Und macht ein Beispiel: «Die Furmark-Zertifizierung schliesst den Import von chinesischen Pelzen in die Schweiz aus, da es keine Kontrollmöglichkeiten in China gibt.»
Aus dem Reich der Mitte ist bekannt, dass Tiere vielfach in engen Käfigen für die Pelzproduktion gehalten werden – Pelze, die als billige Massenware in der Schweiz verkauft werden. Aber nicht in Sigrists Geschäft in Willisau: Hier spielen die Pelze in einer anderen Preisklasse. Seinen Kundinnen und Kunden seien die persönliche Beratung und transparente Deklaration wichtig, betont Sigrist – und genau deshalb laufe das Geschäft gut. Die Mehrheit der Kundschaft ist dabei über 50 Jahre alt. Männer interessieren sich vor allem für pelzgefütterte Jacken, Frauen für Mäntel. Wie den Bibermantel für 3500 bis 4500 Franken.