«Fall Winterthur» – es ist Zeit, die Ligen endlich neu zu denken
Der Hilferuf kam per offizieller Medienmitteilung. In Winterthur – nach Zürich, Genf, Basel, Lausanne und Bern die sechstgrösste Stadt im Land – ist es nicht mehr möglich, ein Hockey-Unternehmen in der zweithöchsten Liga zu nähren. Präsident und Besitzer Rolf Löhrer habe über viele Jahre das Defizit aus eigener Tasche gedeckt. «Diese Last kann und will er künftig nicht mehr tragen.» Und dann der Hilferuf: «Jetzt brauchen wir Hilfe, da sich die Rahmenbedingungen stark negativ verändert haben.»
«Die Sponsoring-/TV-Einnahmen und Vermarktungsgelder durch den Verband sind in den letzten Jahren stark gesunken, während gleichzeitig die Kosten für Trainings- und Spielbetrieb stetig gestiegen sind.» Bis Ende des Jahres müsse eine Lösung gefunden werden.
Die Swiss League gehört – anders als die juristisch eigenständige National League – zum Verband (Swiss Ice Hockey). Sie ist neben den Nationalteams das sportliche «Premium-Produkt» des Verbandes. In Sonntagsreden wird oft und gerne die grosse Bedeutung der Swiss League als Ausbildungsliga betont. Daher die Fragen an den Verband, mit den offiziellen Antworten:
Der EHC Winterthur macht seine finanzielle Schieflage publik. Was ist der Kommentar der Verbandsverantwortlichen – Geschäftsführer und Präsident – dazu?
Verband: Der Verband bedauert die aktuelle finanzielle Situation des EHC Winterthur sehr. Wir wissen, dass diese Herausforderung für den Klub, seine Mitarbeitenden, seine Spieler sowie die Fans eine grosse Belastung darstellt. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass gemeinsam mit allen involvierten Partnern nach Lösungen gesucht werden kann.
Kann der EHC Winterthur mit finanzieller Hilfe durch den Verband rechnen?
Eine direkte finanzielle Unterstützung durch den Verband ist nicht vorgesehen. Aufgabe des Verbandes ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Klubs der Swiss League insgesamt stärken und langfristig stabilisieren. In diesem Sinne stehen wir in engem Austausch mit dem EHC Winterthur und begleiten den Klub beratend auf seinem Weg.
Gibt es konkrete Vorschläge zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Swiss League?
Um die wirtschaftliche Basis der Swiss League insgesamt zu verbessern, hat der Verband zusammen mit der Sportmarketing-Agentur Two Circles sieben Szenarien für die Weiterentwicklung der Liga erarbeitet (es handelt sich um die legendäre und teure Warme-Luft-Studie – die Red.). Ziel dieser Lösungsszenarien ist es, die Swiss League sportlich zu stärken, wirtschaftlich zu stabilisieren und medial sichtbarer zu machen. Konkrete Eckpunkte werden derzeit in den gemeinsamen Working Groups mit den zentralen Stakeholdern ausgearbeitet und abgestimmt.
Eine Verbesserung wäre nur mit ersten konkreten Schritten möglich:
- Erstens: Eine gute TV-Produktion auf Verbandskosten und die TV-Bilder beim Hockey-TV-Sender MySports unterbringen, um die Liga auf dem Medien-Jahrmarkt sicht- und vermarktbar zu machen.
- Zweitens: Die Schaffung einer eigenständigen Vermarktungsabteilung, die sich beim Verband um die Swiss League kümmert. Personal wäre schon jetzt mehr als genug in Lohn und Brot.
Beides ist nicht vorgesehen.
Es ist Zeit, die Wirklichkeit zu akzeptieren.
- Erstens: Der Verband ist nicht dazu in der Lage, mehr als warme Worte des Trostes zu spenden. An der Situation der Swiss League wird sich nichts ändern. Winterthur ist auf dem besten Weg, als nächster Klub nach Langenthal das Glück in der höchsten Amateurliga zu suchen. Und für Olten wird die Versuchung, diesen Weg zu gehen, mit jedem siebenstelligen Saisondefizit grösser.
- Zweitens: Die National League ist juristisch eigenständig und boomt. So richtig die Forderungen nach einer Reduktion von 14 auf 12 oder gar 10 Teams auch sein mögen: Sie sind nicht durchsetzbar. Und ebenso wenig gibt es eine Möglichkeit, die Klubs der National League zu einer Subventionierung der Swiss League zu zwingen. Zug hat sogar ohne Not sein Farmteam aufgelöst. Es macht keinen Sinn, gebetsmühlenartig richtige Massnahmen zu fordern, wenn sie nicht umgesetzt werden können.
- Drittens: Die Swiss League hat keine wirtschaftliche Grundlage mehr. Weil sie im Niemandsland zwischen Profi- und Amateurhockey gestrandet ist und mit elf Teams zu klein ist. Die Stadionauslastung liegt inzwischen bei 39,47 Prozent. Das bedeutet: Der wirtschaftliche Unterschied zwischen den beiden höchsten Ligen ist zu gross geworden: Das kleinste Budget in der National League beträgt inzwischen 14 Millionen (Ajoie). Das Doppelte der höchsten Budgets in der Swiss League.
Szenenwechsel. Die Meisterschaft der höchsten, elf Teams umfassenden Amateurliga (MyHockey League) hat ebenfalls begonnen. Spitzenspiel zwischen Hockey Huttwil und Amateur-Meister Seewen. Das Niveau ist – wie so oft in dieser Liga – erstaunlich und entspricht beim Tempo, der Präzision und der Intensität durchaus einem durchschnittlichen Spiel der zweithöchsten Spielklasse. Es ist Swiss-League-Hockey ohne Ausländer und Profis. Das bedeutet: Erwachsenenhockey auf gutem Niveau und daher tauglich für die Aus- und Weiterbildung von Talenten.
Langenthal hat sich durch den freiwilligen Abstieg in die MyHockey League saniert, mobilisiert im Schnitt nach wie vor gut 1000 Fans, schreibt schwarze Zahlen und ist dazu in der Lage, ein Frauenteam in der höchsten Liga und eine Nachwuchsabteilung zu finanzieren.
Die MyHockey League ist die perfekte Ausbildungsliga und wirtschaftlich das richtige Umfeld für Klubs wie Arosa, Winterthur, Chur, Olten, Visp oder Bellinzona.
Es gibt machbare konkrete Massnahmen, um das Klubhockey auf eine solide Basis zu stellen. Aber die Ligen müssen neu gedacht werden.
- Erstens: Es gibt höchstens 2 weitere Klubs, die mittelfristig das Potenzial und die Infrastruktur haben, um in die auf 14 Teams aufgestockte National League aufzusteigen. Also: Die National League auf 16 Teams aufstocken.
- Zweitens: Die MyHockey League und die Swiss League fusionieren zur höchsten nationalen Amateurliga direkt unter der Profiliga National League. Die neue Liga kann in regionale Gruppen aufgeteilt werden, um den Aufwand im Rahmen zu halten.
- Drittens: Der entscheidende Punkt ist die Ausbildung. Also die Beschäftigung von qualifizierten Trainern und einer entsprechenden sportmedizinischen Betreuung bei allen Klubs.
Hier kommt nun der Verband ins Spiel: Der Zweck des Verbandes ist es, dem Eishockey zu dienen und in die Ausbildung der Spieler zu investieren. Hier konkret: indem die Kosten für die Trainer und Betreuer in der neu geschaffenen zweithöchsten Liga übernommen oder alimentiert werden. So ist auch eine Qualitätskontrolle und die Durchsetzung hoher Standards in der Ausbildung möglich und es ist sichergestellt, dass nicht Spielersaläre finanziert werden.
Unmöglich? Nein. Erforderlich ist nur, dass die Entwicklung zu einem «Selbstbedienungsladen» gestoppt und der Verband wieder zu einem Dienstleistungszentrum für unser Hockey umgebaut wird. Eine vornehme Aufgabe für den neuen Verbandspräsidenten Urs Kessler. Er steht vor einer ähnlich schwierigen Aufgabe wie jeweils die Bundesrätin oder der Bundesrat, die versuchen, das Militärdepartement zu reformieren. Und scheitern, weil sich der Apparat als zu stark erweist.
Wenn Urs Kessler in einer ruhigen Minute den neusten Verbands-Geschäftsbericht studiert – und als erfolgreicher Unternehmer (Jungfrau-Bergbahngeneral im Ruhestand) vermag er, Geschäftsberichte zu lesen –, dann wird ihm ein Licht aufgehen. Er wird feststellen: Doch, wir haben das Geld, um wirkungsvoll eine Ausbildungsliga zu alimentieren.
- Der Verband hat die Personalkosten vom vorletzten zum letzten Geschäftsjahr um gut 1,5 Millionen erhöht.
- Der Personalbestand ist von 55 auf 61 Stellen erhöht worden und soll auf 72 ausgebaut werden. Obwohl der Verband für die WM im eigenen Land 2026 kein zusätzliches Personal benötigt: Das Turnier wird von einer eigens dafür gegründeten Firma durchgeführt.
- Die flüssigen Mittel betragen 14 Millionen und in verschiedenen, zweckgebundenen Fonds werden weitere 7,5 Millionen gebunkert.
Es ist höchste Zeit, dass dieses Geld wieder an die Basis, in die Ausbildung und nicht mehr in die Aufblähung der Administration investiert wird.
Bleibt noch die Frage: Was ist dann mit dem Auf- und Abstieg? Der Auf- und Abstieg gehört zur europäischen Sportkultur. Auch da wird es Zeit, die Ligen neu zu denken.
Inzwischen ist die wirtschaftliche Basis in der Swiss League so schmal, dass im Falle eines Abstieges die Strukturen eines Hockey-Unternehmens aus der National League nicht mehr finanziert oder saniert werden können, wie das noch vor zehn Jahren möglich war.
Aber im Sinne der Dramatik und Durchlässigkeit hat der Sieger der Amateurliga die Chance, den Letzten der National League in einer Liga-Qualifikation herauszufordern. Wer die Mittel aufbringt, um sein Team so zu verstärken, dass es sportlich den Letzten der National League herauszufordern vermag, dann verdient er einen Platz in der National League. Und sonst ist diese Liga-Qualifikation eine folkloristische Bereicherung.
Mit Urs Kessler hat ein Mann mit Gestaltungswillen den Verbandsvorsitz übernommen. Er will mehr sein als ein Operetten-Präsident. Die Zeit ist günstig für neue Ideen und Reformen.
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