Das Rahmenabkommen mit der EU ist tot. Bei seinem Entscheid letzte Woche war sich der Bundesrat «der damit verbundenen Nachteile» bewusst. Um die Schäden möglichst gering zu halten, will der Bundesrat erstens Schweizer Recht autonom dem EU-Recht anpassen. Zweitens will er in einem politischen Dialog mit der EU eine «gemeinsame Agenda» entwickeln. Und drittens will er sich dafür einsetzen, dass das Parlament die Kohäsionsmilliarde freigibt.
Diesen Beitrag von 1.3 Milliarden Franken – über zehn Jahre verteilt ausgezahlt – hatte das Parlament im Dezember 2019 blockiert. Der Schritt war eine Reaktion auf die fehlende Anerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung durch die EU.
Während der Dialog mit Brüssel und die autonome Rechtsanpassung längerfristige Prozesse sind, macht der Bundesrat bei den Kohäsionsgeldern Tempo. Sie sollen bereits in der Herbstsession im September vom Parlament freigegeben werden. Es wird der erste Test für die bislang bestenfalls in Umrissen erkennbare neue europapolitische Strategie des Bundesrats.
Klar ist bereits: Die grösste Partei wird dem Bundesrat in dieser Frage nicht folgen. Die SVP sei nicht bereit, das Geld rasch zu überweisen, wie Parteipräsident Marco Chiesa im «Sonntags-Blick» erklärte:
Am anderen Ende des Spektrums hingegen will die SP den Beitrag rasch auszahlen und «substanziell erhöhen», wie Co-Präsident Cédric Wermuth der «Sonntags-Zeitung» sagte.
FDP-Ständerat Thierry Burkart lehnt die Haltung von SVP und SP ab. Er macht aktuell eine gewisse «operative Hektik im System» aus und ruft zur Gelassenheit auf: «Wir dürfen uns jetzt weder in eine Spirale von Entschuldigungen und Wiedergutmachungen noch in eine von Retorsionsmassnahmen und Blockademanövern begeben.»
Der Aargauer ist ein Gegner des Rahmenabkommens. Bereits vor dem bundesrätlichen Nein zum Vertragswerks sprach er sich in einem Gastbeitrag für CH Media für die Freigabe der Kohäsionsmilliarde aus. «Das ist eine Verpflichtung, welche die Schweiz eingegangen ist und der sie nachkommen sollte», meint Burkart. Einen über diese Verpflichtung hinausgehenden Beitrag lehnt er ab.
Der vom Bundesrat vorgeschlagene Weg sei grundsätzlich richtig: zunächst autonom durchführbare Massnahmen anpacken, um die Beziehung zur EU zu stabilisieren. Und dann genügend Zeit für einen Dialog mit Brüssel und eine Debatte im Inland zulassen, um ein erneutes Scheitern wie beim Rahmenabkommen zu verhindern. Die Chancen im Parlament für eine Freigabe des Kohäsionsbeitrags als ersten Schritt seien «intakt».
Mitte-Ständerat Benedikt Würth aus St.Gallen sieht hingegen «unübersehbare Risiken» bei der Strategie des Bundesrats. «Unilaterale Anpassungen ohne Zusicherungen von Brüssel werden breiten Widerstand auslösen». Würth hatte sich im April für eine Sistierung, aber gegen einen Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen ausgesprochen – und ist entsprechend enttäuscht vom Bundesrat.
Für eine Parlamentsmehrheit zu Gunsten der Freigabe der Kohäsionsgelder müsse der Bundesrat rasch konkret machen, wie sein aussenpolitisches Konzept zur Stabilisierung des bilateralen Wegs aussehe:
Wie viel die Kohäsionsmilliarde dazu beitragen kann, ist fraglich. Im «Sonntags-Blick» bezeichnete sie EU-Parlamentarier Andreas Schwab im Vergleich zu den Zahlungen des Nicht-EU-Lands Norwegen als «kleinen Beitrag». Die Blockierung des Gelds durch die Schweiz sei ein «Unding». Petros Mavromichalis, EU-Botschafter in Bern, hatte Anfang Mai im CH-Media-Interview klargestellt, die EU werde ihre Bürger nicht «für eine Milliarde Franken verkaufen». Aber die Überweisung «würde sicher das Diskussionsklima verbessern». (aargauerzeitung.ch)
Man sollte endlich die Befindlichkeiten sortieren und Abgemachtes nicht plötzlich negieren.