Kaum eine Lobby hat in der Schweizer Politik so viel Macht wie jene der Bäuerinnen und Bauern. Sie kann mit Volksabstimmungen die Massentierhaltungsinitiative bodigen. Sie kann Vorlagen im Parlament nach Interessen der Landwirte verwässern, wie die Agrarpolitik «AP22+», welche nun keine zusätzlichen Klimaziele oder Vorgaben zum Tierwohl mehr beinhaltet. Und sie kann beeinflussen, wer die höchsten Ämter der Schweiz bekleidet.
Das zeigte die Bundesratswahl 2022. Elisabeth Baume-Schneider galt im Vorfeld nicht als Favoritin. Doch am Tag, an dem sie bei der Konferenz der bäuerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier zum Hearing eingeladen war, erschien ein «Blick»-Artikel, in dem Baume-Schneider mit Schwarznasenschafen posierte.
Das schien den bauernnahen Parlamentariern gefallen zu haben. Zumindest sickerte nach den Anhörungen der beiden SP-Kandidatinnen zu den Medien durch, Baume-Schneider hätte die Konferenz besser von sich überzeugen können. Und so wählte das Parlament – entgegen allen Erwartungen der Polit-Analysten – Baume-Schneider in den Bundesrat.
Die Bauernlobby gilt als «Königsmacherin».
Es ist kein Zufall, fand das erste Hearing der diesjährigen SP-Bundesratskandidaten Pult und Jans erneut vor der Konferenz der bäuerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern statt. Offiziell lässt sich die Konferenz nicht in die Karten blicken. Ihr Präsident, Mitte-Nationalrat Markus Ritter, schreibt auf Anfrage von watson nur: «Die Hearings waren konstruktiv und sehr aufschlussreich. Die Ausgangslage ist nach wie vor offen.»
Doch inoffiziell sickert zu den Journalistinnen und Journalisten bereits durch: Beat Jans hat die Konferenz besser von sich überzeugen können. Er habe Läckerli mit ans Hearing gebracht. Das kam gut an.
Pult hingegen musste sich wegen einer aggressiven Kampagne gegen Bauern, an der er bei der Kommunikationsagentur «Feinheit» im Auftrag von Umweltverbänden im Sommer 2020 mitgearbeitet hatte, rechtfertigen. «Agrarlobby stoppen!», war die Parole der Plakate und Videos im Vorfeld der Trinkwasser- und Pestizidinitiative.
Dass Pult bei den Bauernvertretenden nicht punkten konnte, könnte seinen Genickbruch bedeuten. Aber warum hat die Bauernlobby so viel Macht in Bundesbern? Schliesslich verfügt sie, verglichen mit anderen Interessensgruppen, nicht über das grösste Portemonnaie.
Dafür kann sie aber drei Dinge vorweisen, von denen andere Lobbys nur träumen können.
Welche Begriffe und Bilder fallen dir ein, wenn du an die Schweiz denkst? Uhren, Banken, Schokolade? Oder Berge, Kühe, Käse? Heidi, die sich in der deutschen Stadt nach ihrer Schweizer Alp sehnt? Wilhelm Tell, den es zwar nie gegeben hat, der aber gemäss der Sage ein Bergbauer war?
Das Image der Schweiz ist eng mit den Bauern verflochten. Man könnte meinen, diese Verbindung bestand schon immer. Doch zu verdanken ist diese «Bauernstandsideologie» dem Schweizer Bauernverband (SBV).
Als sich der Dachverband für die Schweizer Landwirtschaft vor 126 Jahren gründete, setzte der erste Sekretär des SBV, Ernst Laur, den «Bauernmythos» in die Welt. Er propagierte eine Ideologie der heroischen Bauern als Träger der Schweizer Tradition und Moral. Damit gab er dem Land, das allein schon aufgrund seiner vier Sprachen keine Einheit bildete, eine gemeinsame Identität.
Eine Identität, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg an Wichtigkeit gewann. Zu einer Zeit, in der die Schweiz sich um die Versorgung ihrer Bevölkerung sorgte. Die Landesregierung rief darum die «Anbauschlacht» ins Leben. Sie forderte die Bevölkerung dazu auf, selbst Nahrungsmittel anzubauen. Jeden freien Fleck zu Ackerland umzufunktionieren.
Für einen kurzen Moment wurde die Schweiz damit wirklich zu einem Volk von Bauern.
Das hat sich inzwischen aber geändert. Bauernbetriebe verschwinden zunehmend. Das positive Image der Bäuerinnen und Bauern ist in den Köpfen der Schweizerinnen und Schweizer, auch dank des vollen Einsatzes des SBV, geblieben. Es wird auch beeinflusst haben, dass die Bäuerinnen und Bauern im National- und Ständerat überproportional stark vertreten sind. Ihr Anteil ist in der neuen Legislatur gar noch gestiegen. Neu politisieren in Bern 25 Bäuerinnen und Bauern, also zehn mehr als bisher.
Die Bauernlobby ist extrem gut vernetzt und organisiert. Und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Das war bei seiner Gründung das erklärte Ziel des SBV. Im Parlament hat sich der SBV dieses überparteiliche Netzwerk vor allem mit der besagten Konferenz der bäuerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentarier geschaffen.
In dieser befinden sich nicht nur Bäuerinnen und Bauern, sondern auch landwirtschaftsnahe Personen aus National- und Ständerat. Ihre Mitgliederzahl ist mit diesen Wahlen gestiegen. Waren es in der vergangenen Legislatur etwa 30 Personen, sollen es in der neuen Legislatur «rund vierzig» sein, wie sich Markus Ritter von verschiedenen Medien zitieren lässt.
Will man herausfinden, wer dieser bäuerlichen Konferenz angehört, kann man sich jedoch die Finger wund googeln. Und wird nichts herausfinden. Denn die Konferenz ist keine offizielle parlamentarische Gruppe, deren Mitglieder öffentlich zugänglich aufgelistet sind. Wer dazugehört und wer nicht, entscheidet ein Gremium des SBV, indem es die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die ihr zusagen, einlädt.
Auf Anfrage von watson sagt Markus Ritter, der diese Einladungen verschickt, nur, dass «rund 30 Mitglieder des Parlaments» am Bundesrats-Hearing von Jon Pult und Beat Jans dabei gewesen sind. Und dass es «keine Liste» gibt, wer ihrer Konferenz angehört.
Nicht zu wissen, welche National- und Ständeräte an den Konferenzen der Lobby teilnehmen, macht die Kritik an ihrer Macht aber umso schwieriger. Geht ein Mal mehr eine Vorlage bachab, die den Bäuerinnen und Bauern Subventionen kürzen oder Vorgaben zu Klimaschutz machen wollte, können Medien nur mutmassen, dass es an der Bauernlobby gelegen hat. Aber Annahmen sind nun mal weniger starke Argumente gegen eine Lobby als handfeste Beweise.
Eines wissen die Medien allerdings: Parlamentarier, die aus der Reihe tanzen, schliesst der Bauernverband ganz schnell wieder aus seiner Konferenz aus. Denn sie verlangt von ihren Mitgliedern Loyalität. Das zeigt das Beispiel Kilian Baumann.
Der Grünen-Nationalrat und Biobauer setzt sich für nachhaltige Landwirtschaft ein. Damit ist er der Bauernlobby ein Dorn im Auge. Markus Ritter deutete im Oktober gegenüber dem «Tages-Anzeiger» darum an, dass Baumann keine Einladung mehr zur bäuerlichen Konferenz erhalten wird: «Wenn jemand nicht viel mit unseren Positionen anfangen kann, macht es keinen Sinn, ihn in der Konferenz zu haben.»
Die Stärke der Bauernlobby besteht nämlich genau darin, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier homogene Interessen vertreten. Während andere Lobbys sich noch über gemeinsame Parolen einigen müssen, kann die Bauernlobby bereits handeln. Sie kann ihre Kampagne für oder gegen eine Volksinitiative starten, Interviews zur Thematik geben, innerhalb ihrer Partei für eine bauernfreundliche Parole weibeln. Oder wie nun im aktuellen Fall: den Parteikolleginnen und -kollegen schildern, welchen Eindruck Beat Jans und Jon Pult im ersten Hearing bei ihnen hinterlassen haben.
Genau das gefällt mir nicht. Was wir - und die ganze Welt bräuchte - wäre echte Transparenz. Aber die Politiker fühlen sich wohl in einem dichten Nebel, wo sie schalten und walten können, wie sie wollen.