Ihr Konkurrent Beat Jans sagte in der NZZ, er beziehe seine politischen Überzeugungen aus dem, was er erlebt habe, «nicht aus Büchern oder aus der Juso» – und zielte damit auf Sie ab. Woher kommen Ihre politischen Überzeugungen?
Meine politischen Überzeugungen sind die Summe meines ganzen Lebens – und dazu gehört, dass ich auch ab und zu ein Buch lese und vor 18 Jahren zwei Jahre bei der Juso Graubünden aktiv gewesen bin. Ebenso tragen meine Familie, meine Schulzeit, meine parlamentarische Arbeit, mein Engagement bei der Alpen-Initiative und in meiner Partei dazu bei.
Sie sind 39 Jahre alt, haben noch nie ein Exekutivamt ausgeübt. Was qualifiziert Sie für den Bundesrat?
Ich habe mich über den Sommer mit dieser Frage beschäftigt und mit Personen gesprochen, die die Herausforderungen des Bundesratsamts bestens kennen. Am Ende dieses Prozesses kann ich mit Überzeugung sagen, dass ich die notwendigen Fähigkeiten mitbringe. Und ich glaube, der Schweiz täte ein Bundesratsmitglied aus meiner Alterskategorie gut. Eines, das mitten im Leben steht.
Die wieder antretenden Bundesratsmitglieder sind alle zwischen 55 und 65 Jahre alt. Was können Sie besser?
Meine Perspektive wäre eine wertvolle Ergänzung. Mit 39 Jahren stehe ich den noch jüngeren Generationen näher. Ich habe einen starken Zugang zu den Themen, die sie beschäftigen und von denen sie stärker und langfristiger betroffen sind – etwa der Klimawandel.
«Nebelspalter»-Chefredaktor Markus Somm nennt Sie aufgrund Ihrer Juso-Vergangenheit einen «marxistischen Schellenursli» und warnt die Bürgerlichen vor Ihrer Wahl. Zu Recht?
Wer mich und meine Arbeit im Parlament in Chur oder Bern kennt, weiss, dass ich kein Hardcore-Sozialist oder Marxist bin. Ich bin ein klassischer Sozialdemokrat mit starken Überzeugungen. Mein politischer Leistungsausweis ist geprägt von meiner Offenheit für pragmatische Lösungen.
Die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider vor einem Jahr schrieb man auch einem Foto mit Schwarznasenschafen zu, das die Herzen der mächtigen Bauernlobby erobert haben soll. Wie wollen Sie auf der Gefühlsebene punkten?
Ich habe keine Special Effects auf Lager. Ich habe mir von Anfang an vorgenommen: Bei meiner Kandidatur stehen meine Überzeugungen im Vordergrund, ich will mich nicht verbiegen. Nur so bin ich im Erfolgsfall frei, im Bundesratsamt mich selber zu bleiben.
Eines der wichtigsten Dossiers ist die Europapolitik: Wären Sie als Bundesrat bereit, den Gewerkschaften Zugeständnisse abzuringen, um ein Abkommen mit der EU zu ermöglichen?
Zu diesem Zeitpunkt der Debatte missfällt mir die Logik von Zugeständnissen – nicht nur durch die Gewerkschaften -, weil sie Verlierer impliziert. Europapolitik muss ein Vorhaben sein mit dem Ziel, das Leben der Menschen in der Schweiz zu verbessern. Wir dürfen uns nicht die Erzählung von zu schluckenden Kröten aufdrängen lassen.
Wie gelingt das?
Am Ende muss ein Gesamtpaket resultieren, das gute Kompromisse beinhaltet – nicht nur Zugeständnisse. Wichtig ist, dass beim Abschluss der Verhandlungen bereits die Gesetzgebung zur Umsetzung dieser Verträge im Inland vorliegt. Dort können wir mit flankierenden Massnahmen die Nachteile einer stärkeren Einbindung in den EU-Binnenmarkt auffangen. Das war schon bei den Bilateralen I entscheidend für den Erfolg, etwa mit dem Lohnschutz oder der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA).
Was ist besser: Ein neues Abkommen oder der EU-Beitritt?
Ich stehe zu meiner Überzeugung: Langfristig befürworte ich den EU-Beitritt. Es ist besser, in Brüssel mitzuentscheiden, als auf dem Papier unabhängig zu sein und die EU-Entscheide einfach nachzuvollziehen. Doch mir ist klar, dass ich in der Minderheit bin. Im Bundesrat steht ein EU-Beitritt nicht auf der Tagesordnung. Deshalb setze ich mich für die Weiterentwicklung des bilateralen Wegs ein.
Falls Sie gewählt werden und im Innendepartement EDI landen: Was wären Ihre Rezepte gegen die steigenden Krankenkassenprämien?
Mir ist es wichtig, mit der Bevölkerung ehrlich zu sein: Unser Gesundheitswesen wird nicht günstiger, sondern teurer. Die Gründe dafür sind positiv: Wir werden älter und die Medizin macht laufend grosse Fortschritte. Die Kosten für die Gesundheitsversorgung werden wir in den kommenden Jahrzehnten nicht senken können, wir werden höchstens das Wachstum drosseln können.
Wo sehen Sie Handlungsspielraum?
Meine Überzeugung ist: Alle sollen den gleichen Zugang zu unserem Gesundheitssystem haben, ich will keine Zweiklassenmedizin. Dieser Zugang muss finanzierbar bleiben, damit die Mittelschicht und die ärmeren Leute nicht zu stark belastet werden. Wir müssen einerseits Fehlanreize beseitigen, Kostentransparenz herstellen und illegitime Gschäftlimacherei unterbinden. Andererseits – und das wird entscheidend sein – müssen wir ein kreatives Finanzierungssystem finden, bei dem die Prämienbelastung für alle tragbar bleibt.
Sie wollen einkommensabhängige Prämien statt Kopfprämien?
Ich möchte mich nicht festlegen. Als Bundesratskandidat zu behaupten, man hätte bereits Lösungen für die Gesundheitskosten gefunden, wäre unseriös.
Gibt es eine Methode Pult?
Als Bundesrat geht es darum, aus dem politisch Machbaren das Bestmögliche herauszuholen. Mein zentrales Führungscredo ist es, den Mitarbeitenden Vertrauen entgegenzubringen, damit Innovation entstehen kann. Wenn es Entscheidungen braucht, sind sie zu treffen. Und ich muss als politischer Vorgesetzter hinstehen und die ganze Verantwortung dafür übernehmen.
Als Vorsteher des Innendepartements müssten Sie nächstes Jahr die Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG) vertreten, die Sie im Parlament abgelehnt haben. Finden Sie trotzdem etwas gut an dieser Reform?
Dass es eine Reform ist (lacht)! Im Fall einer Wahl würde ich korrekt und seriös die Argumente des Bundesrats für diese Reform darlegen. Die BVG-Reform wird es schwer haben in einer Abstimmung, ganz egal, wer dem EDI vorsteht.
Was ist besser zur Sicherung der Altersvorsorge: Länger arbeiten oder höhere Beiträge zahlen?
Die Bevölkerung gibt hier die Antwort: Sehr viele, die es sich leisten können, gehen vorzeitig in Pension. Und es zeigt sich auch bei Volksabstimmungen: Die Erhöhung des Rentenalters hat einen schweren Stand. Das wird auch die Abstimmung über die Renteninitiative des Jungfreisinns im März zeigen. Wenn die Deckung der AHV wie prognostiziert nach 2030 in Schieflage gerät, dann müssen wir über die Finanzierung sprechen und vorurteilsfrei nach guten Lösungen suchen.
Der Bund hat ab 2025 ein strukturelles Defizit. Wo würden Sie sparen?
Gerechtes Sparen ist äusserst anspruchsvoll, weil die Prioritäten der verschiedenen Anspruchsgruppen sehr unterschiedlich sind. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist wichtig. Aber wir sollten darüber diskutieren, ob die Schuldenbremse ein System des permanenten Schuldenabbaus sein muss oder nicht eher zur Stabilisierung. Die Schweiz nimmt keinen Schaden, wenn der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP auch einmal gleich bleibt.
Braucht es Steuererhöhungen – und wenn ja, für wen?
Ich kann und will mich nicht darauf festlegen, ob es Steuererhöhungen braucht. Aber in den letzten Jahren hat man auch auf Bundesebene eine Steuerpolitik gemacht, die grosse Unternehmen und grosse Vermögen entlastet hat. In Zeiten wachsender Ungleichheit würde ich im Bundesrat die Diskussion führen, ob nicht die stärkeren Schultern, also die wirtschaftlich Leistungsfähigeren, wieder eine grössere Last tragen sollten.
Ihre Parteikollegin Elisabeth Baume-Schneider sagte, sie habe keine Angst vor einer 12-Millionen-Schweiz. Wie sehen Sie das?
Ich teile die Aussage von Elisabeth Baume-Schneider. Was mir wirklich Angst machen würde, wäre eine 5- oder 6-Millionen-Schweiz.
Wie meinen Sie das?
Das Bevölkerungswachstum ist mit grossen Herausforderungen verknüpft und ich kann das Unwohlsein vieler Menschen über das Tempo dieses Wachstums nachvollziehen. Aber diese Herausforderungen relativieren sich mit Blick auf unser Nachbarland Italien: Die dortigen Probleme für Wirtschaft und Gesellschaft angesichts der schrumpfenden Bevölkerung wünsche ich mir nicht für die Schweiz. Es braucht mehr Ehrlichkeit.
Wo fehlt es an Ehrlichkeit?
Mit unserer derzeitigen Wirtschafts- und Steuerpolitik sorgen wir aktiv für die Ansiedlung von Unternehmen und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Und weil die Arbeitslosigkeit tief ist, müssen die Unternehmen dafür im Ausland nach Arbeitskräften suchen. Wir können nicht den Fünfer und das Weggli haben. Wer keine Zuwanderung will, muss ehrlich und offen sagen, dass das nur mit Einbussen beim Wohlstand möglich sein wird.
Bezüglich der 12 Millionen Schweiz frage ich mich einfach: wo und wie? In meiner ländlichen Gegend wird gefühlt in jede noch so kleine Matte gebaut (verdichtete Bauweise). Der ÖV ist zu den Stosszeiten übervoll (trotz ländlicher Gegend). Und je näher man den urbanen Gebieten kommt, desto mehr Stau gibt es. Da interessieren mich die Lösungsvorschläge.