Via Stelleninserat werden Ärzte für ein neues Arztzentrum gesucht. So weit normal. Eine Anforderung an die Bewerber ist aber ungewöhnlich: Gesucht werden Ärzte, die sich vegetarisch oder vegan ernähren.
Das Stelleninserat macht deutlich: Es ist kein normales Ärztezentrum, in dem ab dem kommenden Frühjahr Patienten behandelt werden.
Hinter dem Projekt steht VegMedizin – ein Team von Ärzten, das Vegetarier und Veganer medizinisch berät und auch Zweitmeinungen anbietet. Bislang wurden die Sprechstunden telefonisch, per Live-Konferenz oder über verschlüsselte E-Mails abgehalten. Mit der Realisierung des Zentrums soll neu auch der direkte Patientenkontakt möglich sein.
Ergänzend zur Telemedizin möchte «VegMedizin» zukünftig auch den Komplettservice anbieten können, teilt Sprecherin Barbara Schönthal auf Anfrage mit. «Einschliesslich körperlichen Untersuchungen, für die wir bisher zu Arztkollegen verweisen mussten.»
Wie viele Ärzte im geplanten Zentrum arbeiten werden, welche Fachärzte vertreten sein werden und wo der genaue Standort ist, darüber gibt es bislang keine Informationen. Aus dem Stelleninserat ist nur abzulesen, dass die Praxis im Raum Zürich/Luzern geplant ist.
Derzeit könnte man noch keine weitere Details bekannt geben, schreibt Schönthal, «getreu dem Sprichwort ‹Über ungelegte Eier spricht man nicht.›» Die Ärztin betont aber, dass nicht nur Veganer und Vegetarier in der Praxis willkommen sind. «Wir bleiben unserem Grundsatz treu, dass wir kompetente und vorurteilsfreie Medizin anbieten, egal ob jemand homosexuell, Ausländer, Vegetarier, Veganer oder sonst andersdenkend ist.»
«Vorurteilsbeladene» Ärzte haben 2016 zur Gründung des telemedizinischen Service geführt. Als Beispiel nannte Schönthal in einem früheren Artikel den Fall einer Frau, die wegen Eisenmangels ihren Hausarzt aufsuchte. Statt dem Leiden seiner Patientin sorgfältig auf den Grund zu gehen, hätte er für sie nur inkompetente Belehrungen übrig gehabt. Sein Fazit: «Kein Wunder, wenn Sie sich vegan ernähren.»
Danach hat sich die Frau an «VegMedizin» gewandt und das Ärzteteam fand die tatsächliche Ursache heraus. Verantwortlich sei nicht die vegane Ernährung gewesen, so Schönthal. Sondern ein gutartiges Darmgeschwülst, das chronisch blutete und den Eisenmangel verursachte.
«Swissveg», der grösste Interessensvetreter für Vegetarier und Veganer in der Schweiz, begrüsst das bestehende telemedizinische Angebot und das geplante Ärztezentrum. Kranke Veganer würden von Ärzten häufig falsche Auskünfte erhalten, sagt Renato Pichler, Präsident und Geschäftsführer «Swissveg». «Es heisst einfach, du bist krank, weil du dich falsch ernährst.»
Vielen Ärzten fehle das Grundwissen über die verschiedenen Ernährungsweisen. Darum würden sie bei Erkrankungen die falschen Schlüsse ziehen. Pichler: «Es nervt, wenn der Arzt bei jeder Konsultation versucht seinen Patienten zu überreden, wieder Fleisch zu essen.»
Bei Ärzten, die jeden Tag Veganer untersuchen würden, wisse man, dass die Auskunft kompetent sei und man könne sich darauf verlassen. Es entstehe ein Vertrauensverhältnis.
Pichler macht ein Beispiel: «Ich würde mich auch nicht von einem Herzchirurgen operieren lassen, der nur alle zehn Jahre einen Eingriff selber vornimmt.» Wobei er sagt, er hoffe, dass es in ein paar Jahren keine speziellen Ärzte für Veganer und Vegetarier mehr brauchen würde.
Das Marktforschungsunternehmen Demoscope hat im Auftrag von «Swissveg» im Frühling 2017 eine repräsentative Umfrage durchgeführt und untersucht, wie sich Herr und Frau Schweizer ernähren.
«Dass drei Prozent sich vegan ernähren, hat uns selber überrascht», sagt Pichler. «Swissveg» war von einem Prozent ausgegangen.
Die Zahl zeigt: Vegane Ernährung liegt im Trend. Die Dienstleister könnten unterschiedlich gut mit der Entwicklung mithalten, sagt Pichler. «Die Supermärkte haben in den letzten Jahren aufgeholt und ihr Angebot an veganen Produkten sukzessive vergrössert.» Die Gastronomie hinke noch hinterher. «Vor allem in ländlichen Gegenden.»