Schweiz
Gesellschaft & Politik

Für die Rüstungslobby geht es ums Überleben

Der Bundesrat untersagte Deutschland die Weitergabe von Munition an die Ukraine: Fliegerabwehrpanzer Gepard, hier in Todendorf, Deutschland, am 6. Oktober 2010.
Der Bundesrat untersagte Deutschland die Weitergabe von Munition an die Ukraine: Fliegerabwehrpanzer Gepard, hier in Todendorf, Deutschland, am 6. Oktober 2010. bild: Carsten Rehder / dpa

Für die Rüstungslobby geht es ums Überleben

Die sicherheitspolitische Kommission will das Kriegsmaterialgesetz lockern. Die Rüstungsindustrie schreibt, ohne Exporte könne sie nicht überleben. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, GSoA, hingegen befürchtet neue Waffenlieferungen ans saudische Unrechtsregime.
22.10.2024, 13:17
Stefan Bühler / ch media
Mehr «Schweiz»

Nach ihrer eigenen Einschätzung geht steht für die Rüstungsindustrie ihre Existenz auf dem Spiel: «Ohne Export kann die Schweizer Rüstungsindustrie schlicht nicht überleben.» So steht es in der Antwort auf die Vernehmlassung zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes, welche die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats angestossen hat.

Kurzer Rückblick: Schon bald nach Russlands Angriff auf die Ukraine gelangten mehrere europäische Staaten mit der Bitte an den Bund, Kriegsmaterial, das sie einst in der Schweiz beschafft hatten, an die Ukraine weitergeben zu können. Deutschland wollte etwa in der Schweiz produzierte Munition des Fliegerabwehrpanzers Gepard liefern. Doch der Bundesrat sagte Nein, unter Hinweis auf die Neutralität. Europa zeigte sich verärgert, bald folgten Drohungen, künftig keine Rüstungsgüter mehr in der Schweiz zu beschaffen.

In National- und Ständerat sorgte das für Diskussionen und einen ganzen Strauss an Vorstössen und Ideen, wie die Weitergabe der Waffen trotz Neutralität ermöglicht werden soll. Davon übrig geblieben ist die parlamentarische Initiative zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes: Neu soll für Länder, «die unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das dem unsern vergleichbar ist», das Verbot der Wiederausfuhr von Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion nach fünf Jahren dahinfallen.

Aufgelistet sind die Länder – vorab EU-Staaten, dazu unter anderen Argentinien, Japan und die USA – in der Kriegsmaterialverordnung. Der Kniff: Der Bundesrat müsste die Weitergabe nicht mehr bewilligen, die Neutralität wäre gewährt.

Rüstungsfirmen sehen Sicherheit der Schweiz in Gefahr

Die Swiss ASD (Aeronautics, Security and Defence), in der die Schweizer Rüstungsfirmen zusammengeschlossen sind, begrüsst die vorgeschlagene Lockerung in ihrer Antwort auf die Vernehmlassung nicht nur, sie hält sie für zwingend nötig. «Aus Sicht der Sicherheitsindustrie müssen Exporte auch an Staaten in Konflikten möglich werden», schreibt sie, freilich nur an jene in der Verordnung aufgelisteten demokratischen Staaten, «die gleiche völkerrechtliche Exportregeln anwenden wie die Schweiz».

ARCHIVBILD ZUR HEUTIGEN EINREICHUNG DER KRIEGSGESCHAEFTE INITIATIVE, AM DONNERSTAG, 21. JUNI 2018 - Grenadier recruits carry Minimis (light machine guns, LMg 05), pictured during an exercize within th ...
«Aus Sicht der Sicherheitsindustrie müssen Exporte auch an Staaten in Konflikten möglich werden», schreibt die Swiss ASD.Bild: KEYSTONE

Dies sei insbesondere mit Blick auf die Nato wichtig: «Wenn ein Nato-Staat in Osteuropa in einen Konflikt verwickelt wird, tritt der Bündnisfall ein.» Dann wären sämtliche Nato-Staaten in den Krieg verwickelt, und nach heutiger Gesetzgebung dürften keine Waffen aus Schweizer Produktion mehr an sie geliefert beziehungsweise von Nato-Staaten an andere Nato-Staaten weitergegeben werden. «Die Konsequenz daraus ist, dass auch in Friedenszeiten keiner dieser Staaten künftig Rüstungsgüter aus der Schweiz beschaffen wird», schreibt Swiss ASD. Das Parlament in den Niederlanden habe dies bereits so entschieden.

Die Schweizer Rüstungsbranche verliere Kunden und drohe aus den Produktionsketten zu fallen. Im Kriegsfall gäbe es dann keine gegenseitige Abhängigkeit mehr, dank der gewährleistet sei, dass die Schweiz Rüstungsgüter importieren könne. Die Swiss ASD folgert daraus: «Die Sicherheit der Schweiz gerät in Gefahr.»

GSoA droht vorsorglich mit dem Referendum

Anders sieht das die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Sie will die Weitergabe von Waffen an die Ukraine zwar auch ermöglichen, jedoch auf der Basis des «Uniting for Peace»-Verfahrens, mit dem die UNO-Vollversammlung einen Angriffskrieg wie denjenigen Russlands in der Ukraine als völkerrechtswidrig einstuft, falls der UNO-Sicherheitsrat blockiert ist. Die Idee wurde im Parlament in Bern auch schon diskutiert.

Dass hingegen die in der Kriegsmaterialverordnung genannten Staaten das Recht erhalten sollen, Rüstungsgüter aus der Schweiz schon nach einer «sehr kurzen Frist» von fünf Jahren weiterzugeben, hält die GSoA für ein «gravierendes Schlupfloch», etwa für Lieferungen an Saudi-Arabien. Das Land ist international einer der grössten Einkäufer von Kriegsmaterial, verletzt Menschenrechte systematisch und ist in Jemen in einen Krieg verwickelt. Derzeit liefert die Schweiz keine neuen Waffen dorthin.

Die GSoA weist weiter darauf hin, dass auf der Liste mit Argentinien und Ungarn auch Länder zu finden seien, «die kaum unser Verständnis von Menschenrechten teilen». Sei die Frist von fünf Jahren einmal vorbei, habe der Bund keine Handhabe mehr, eine Weitergabe der Waffen zu stoppen. Das ermögliche Umgehungsgeschäfte. Zudem würden viele Staaten auf der Liste der Verordnung heute Kriegsmaterial in Länder exportieren, an die die Schweiz nicht liefere. Sollte die Vorlage unverändert durchs Parlament kommen, sehe sich die GSoA gezwungen, «ein Referendum zu prüfen». (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Waffenlieferungen der USA an die Ukraine
1 / 11
Waffenlieferungen der USA an die Ukraine
250 Haubitzen wie diese hier vom Typ M777 zusammen mit 950'000 Artillerie-Schüssen.
quelle: keystone / evgeniy maloletka
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Einmaliger Gebrauch: Wie sich «Waffenexperte» Putin vor laufenden Kameras blamiert
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
26 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Yogi Bär
22.10.2024 13:48registriert August 2018
Anstatt über die Neutralität generell nachzudenken. Will man Ländern die an unseren Werten verpflichtet sind. Was sind unsere Werte? Geschäfte hinter der Neutralität versteckt, wie Staaten wie Saudi Arabien, Russland, China und Iran? Man sollte sich Überlegen was uns unsere Politiker in denn letzten Jahren gebracht haben ausser Lobbyismus und Polemik? Man müsste wohl die Politik in der Schweiz neu überdenken!
639
Melden
Zum Kommentar
avatar
Neruda
22.10.2024 13:47registriert September 2016
Ich bin für die Lockerung bei Lieferungen an Demokratien, die angegriffen werden, wie z. B. die Ukraine.

Der Rechtsrutsch im Parlament wird aber wohl dafür sorgen, dass sie eine Lockerung für alle Verbrecherstaaten wie Saudi-Arabien durchsetzen wollen, nicht aber an bereits angegriffenen Demokratien. Man kennt die Putinfreunde ja.

Eine solche Vorlage werde ich immer ablehnen. Als Demokratie ist es eine Schande, Systeme, die einen zerstören wollen durch Waffen zu fördern. Diktaturen wollen längerfristig unsere Demokratie zerstören, da müssen wir nicht noch mithelfen!
5916
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schoggistängel
22.10.2024 15:19registriert April 2021
Das war ja sowas von absehbar.
Wenn in der CH hergestellte Waffen nur mit Einschränkungen benutzt / weitergegeben werden können, muss sich jetzt keiner wundern, warum niemand mehr CH-Rüstungsprodukte kaufen will.
415
Melden
Zum Kommentar
26
    Berner Insel-Spitalgruppe schreibt Defizit von 51 Millionen Franken

    Die Insel Gruppe hat das Jahr 2024 im Spitalbetrieb mit einem Defizit von 51 Millionen Franken abgeschlossen. Im Vorjahr hatte der Verlust noch ganze 120 Millionen Franken betragen.

    Zur Story