Schweiz
Gesellschaft & Politik

Jetzt will auch Jositsch einen SVPler als Amherd-Nachfolger wählen

Daniel Jositsch, SP-ZH, spricht waehrend der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 10. Dezember 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Daniel Jositsch spricht von einem «Machtkartell» bezüglich Bundesrat.Bild: keystone

Jetzt will auch Daniel Jositsch einen SVPler als Amherd-Nachfolger wählen

Er werde wohl weder Bauernpräsident Ritter noch den Zuger Regierungsrat Pfister wählen, sagt SP-Ständerat Daniel Jositsch. Er vergleicht das Wahlprozedere in den Bundesrat mit der russischen Duma.
13.02.2025, 06:2413.02.2025, 08:05
Othmar von Matt / ch media
Mehr «Schweiz»

Bei der Bundesratswahl vom 12. März können Sie entscheiden zwischen Bauernpräsident Markus Ritter und dem Zuger Regierungsrat Martin Pfister. Zufrieden mit diesem Ticket?
Daniel Jositsch: Nein. Es befriedigt mich nicht. Zwar werde ich mir die Kandidaten genauer ansehen. Ich glaube aber nicht, dass ich aus diesem Ticket wähle.

Wen wollen Sie wählen?
Jene Person, die ich dafür am geeignetsten halte.​

Innerhalb der Mitte?
Diesmal ist ziemlich klar, dass der neue Bundesrat das Verteidigungsdepartement übernehmen muss. Deshalb muss eine für dieses Departement geeignete Person gewählt werden. Aus meiner Sicht wäre zum Beispiel Werner Salzmann ein hervorragender Chef des VBS.​

Werner Salzmann, SVP-BE, steht auf nach seiner Wahl zum zweiten Vizepraesidenten des Staenderats, an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 2. Dezember 2024 im Staenderat in Bern. (K ...
Werner Salzmann ist Berner SVP-Ständerat Bild: keystone

Werner Salzmann ist Ständerat der SVP, nicht der Mitte. Den werden Sie doch kaum wählen, oder?
Wieso nicht? Mir geht es um die Fähigsten in der Landesregierung. Den Parteienwechsel kann man später wieder ausgleichen.​

Würde das nicht die Konkordanz brechen?
Die Konkordanz wird damit ja nicht grundsätzlich infrage gestellt.​

Eine Wahl Salzmanns würde aber den Viererblock der SVP-FDP im Bundesrat zum Fünferblock machen.
Ja, natürlich. Nur sehe ich das weniger parteipolitisch, sondern stärker als Ständerat. Die erste Bundesratswahl, die ich im Parlament erlebte, war 2007 die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf. Ich war zehn Tage im Parlament, als es zur Explosion kam. Seither sah ich ein ums andere Mal, wie fragwürdig das Wahlsystem ist, das faktisch einen Ticketzwang vorsieht. Schon die Zauberformel ist eine fragwürdige Einschränkung für die Wahl eines Bundesratsmitglieds.​

Die Zauberformel heisst, dass das Parlament nur Vertreter von vier Bundesratsparteien wählen kann – nach einer klar festgelegten Formel.
Genau. Mit der Zauberformel legte man im Parlament ein Machtkartell fest. Das ist aber in der Verfassung nirgends vorgesehen. Weil sich dieses Kartell selbst erhält, stehen die Parlamentsmitglieder unter Druck, zwingend innerhalb der Zauberformel zu wählen. Dazu kommt der Ticketzwang der Fraktionen. Früher war das Ticket ein Vorschlag. Heute ist es ein Zwang, der mit massivem Druck gegenüber Kandidierenden und Parlament durchgesetzt wird. Das führt dazu, dass Parlamentsmitglieder nicht mehr frei wählen und kandidieren können.​

Diese Entwicklung begann 2007, als die damalige SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf für SVP-Bundesrat Christoph Blocher gewählt wurde – und die SVP Widmer-Schlumpf aus der Partei ausschloss.
Das war der eigentliche Sündenfall. Seither liefen die anderen Fraktionen der SVP brav hinterher – auch wenn sie der SVP die Schuld in die Schuhe schieben. Aber alle Fraktionen wollen ihre Tickets durchboxen und sind an der doppelten Zwangssituation interessiert: Man wählt nur innerhalb der Zauberformel. Und nur Personen, die auf dem Ticket sind.​

Eveline Widmer-Schlumpf wird einen Tag nach ihrer Wahl, am 13. Dezember 2007, als Bundesrätin vereidigt.
Am 13. Dezember 2007 wurde die damalige SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf vereidigt. Das Parlament hatte sie anstelle von Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt.keystone/archiv

Sind Bundesratswahlen aus Ihrer Sicht undemokratisch?
Ich halte dieses System für undemokratisch, absolut. Es widerspricht der Verfassung, wenn der Wahlkörper, der nur aus 246 Personen besteht, nicht die Freiheit hat, nach bestem Wissen und Gewissen die geeignetsten Leute zu wählen. Wie das die Verfassung vorsieht.​

Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Unser System der Bundesratswahl ist hier vom Mechanismus her vergleichbar mit gewissen Diktaturen, zum Beispiel mit der Duma in Russland. Natürlich ist das zugespitzt, weil die Konsequenzen andere sind. Aber auch in der Duma ist ein Parlamentarier von der Verfassung her frei in seiner Wahl. Er kann diese Freiheit in der Praxis aber selbstverständlich nicht umsetzen. Das ist mit der Bundesratswahl im Schweizer Parlament vergleichbar.​

Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
Es gäbe den radikalen Weg, im Gesetz entsprechende Absprachen zu verbieten. So weit würde ich nicht gehen. Ich appelliere an alle Parlamentarier, ihre Freiheit wieder wahrzunehmen. Ich selbst stand immer dazu, dass ich verschiedentlich Personen wählte, die nicht auf einem Ticket standen. Das werde ich weiterhin tun. Man kann auch eine ausgewogene Regierung installieren, ohne dass die Zauberformel lückenlos eingehalten wird. Von 2007 bis 2015 sass Eveline Widmer-Schlumpf als BDP-Politikern auf einem SVP-Sitz. Die Schweiz ging deswegen nicht unter.​

Hat Ihre Kritik damit zu tun, dass Sie 2022 selbst schlechte Erfahrungen machten, als Sie gar nicht erst kandidieren durften?
Nein. Aber ich kam mit diesem System intensiv in Berührung. Ich kenne die Sicht von Personen, die ausserhalb des Tickets gewählt werden könnten und die Sicht von Parlamentsmitgliedern, die den Druck haben, aus dem Ticket zu wählen. Ich stelle meine Forderungen ohne jedes Eigeninteresse auf. Für mich ist es vorbei. Eine Fraktion darf diese Wahl nicht steuern. Das ist nicht verfassungskonform. Eine Fraktion kann aber einen Vorschlag machen. Passt dieser dem Parlament nicht, muss es frei wählen können.​

SVP-Doyen Christoph Blocher sagt plötzlich, das Parlament dürfe sehr wohl ausserhalb des Tickets und aus einer anderen Partei wählen. Obwohl er 2007 mitverantwortlich war für den Parteiausschluss von Widmer-Schlumpf. Wie erklären Sie sich das?
Herr Blocher war damals persönlich sehr betroffen und hat dann ein wenig überreagiert. Generell hat die SVP in den letzten Jahren dazugelernt. Sie stellte fest, dass ihr System mit automatischem Parteiausschluss nicht funktioniert. Denn die Fraktionen setzen ihr Ticket inzwischen taktisch zusammen: Man nimmt Person X aufs Ticket, weil man Person Y durchbringen will.​

ARCHIV --- ZUM 10. JAHRESTAG DER ABWAHL VON CHRISTOPH BLOCHER UND DER WAHL VON EVELINE WIDMER-SCHLUMPF IN DEN BUNDESRAT AM DIENSTAG, 12. DEZEMBER 2017, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VER ...
Am 13. Dezember 2007 wählte das Parlament Christoph Blocher ab. Die SVP schloss daraufhin Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf aus der Partei aus.Bild: KEYSTONE

Wie 2022, als sowohl die Anhänger von Eva Herzog wie von Evi Allemann in der SP-Fraktion Elisabeth Baume-Schneider als Gegenkandidatin auf dem Ticket wollten. Weil sie sich so bei der Wahl bessere Chancen versprachen. Eine Fehleinschätzung.
Zu diesem konkreten Fall möchte ich mich nicht äussern. Aber ja, Strategien können auch in die Hosen gehen. (aargauerzeitung.ch)​

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
297 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
SpitaloFatalo
13.02.2025 06:47registriert März 2020
Könnte manch einer kurz seinen Anti-Jositsch-Reflex abschütteln, müsste man eingestehen, dass er mit dem, was er zu Bundesratswahlen sagt, absolut recht hat.
347105
Melden
Zum Kommentar
avatar
Forrest Gump
13.02.2025 06:45registriert Februar 2014
Komplett unrecht hat er nicht. Dennoch kann man sagen, dass das aktuelle System eine gewisse Stabilität garantiert. Ansonsten würde zukünftig FDP/SVP dank ihrer Mehrheit im Parlament einfach bei jeder Wahl eine/n der ihren wählen und man hätte plötzlich 5-6 rechte Politiker im BR. Das aktuelle System ist nicht perfekt, aber dankd diesem Agreement ein Garant für einen einigermassen ausgeglichenen Bundesrat der sämtliche Interessen vertritt.
24526
Melden
Zum Kommentar
avatar
Gina3
13.02.2025 07:01registriert September 2023
Dass die Mitte politisch nicht existent ist, scheint sich immer mehr zu bestätigen -
Aber nein!
Es besteht wirklich keine Notwendigkeit, den Boden für eine SVP-Mehrheit im Bundesrat zu bereiten.
22056
Melden
Zum Kommentar
297
    Reiche Amerikaner verlagern ihr Vermögen in die Schweiz

    Wegen der Wirtschaftspolitik in den USA denken immer mehr wohlhabende US-Bürger darüber nach, ihr Vermögen ins Ausland zu verlagern. Viele setzen dabei auf die Schweiz als sicheren Hafen.

    Zur Story