Bei der Bundesratswahl vom 12. März können Sie entscheiden zwischen Bauernpräsident Markus Ritter und dem Zuger Regierungsrat Martin Pfister. Zufrieden mit diesem Ticket?
Daniel Jositsch: Nein. Es befriedigt mich nicht. Zwar werde ich mir die Kandidaten genauer ansehen. Ich glaube aber nicht, dass ich aus diesem Ticket wähle.
Wen wollen Sie wählen?
Jene Person, die ich dafür am geeignetsten halte.
Innerhalb der Mitte?
Diesmal ist ziemlich klar, dass der neue Bundesrat das Verteidigungsdepartement übernehmen muss. Deshalb muss eine für dieses Departement geeignete Person gewählt werden. Aus meiner Sicht wäre zum Beispiel Werner Salzmann ein hervorragender Chef des VBS.
Werner Salzmann ist Ständerat der SVP, nicht der Mitte. Den werden Sie doch kaum wählen, oder?
Wieso nicht? Mir geht es um die Fähigsten in der Landesregierung. Den Parteienwechsel kann man später wieder ausgleichen.
Würde das nicht die Konkordanz brechen?
Die Konkordanz wird damit ja nicht grundsätzlich infrage gestellt.
Eine Wahl Salzmanns würde aber den Viererblock der SVP-FDP im Bundesrat zum Fünferblock machen.
Ja, natürlich. Nur sehe ich das weniger parteipolitisch, sondern stärker als Ständerat. Die erste Bundesratswahl, die ich im Parlament erlebte, war 2007 die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf. Ich war zehn Tage im Parlament, als es zur Explosion kam. Seither sah ich ein ums andere Mal, wie fragwürdig das Wahlsystem ist, das faktisch einen Ticketzwang vorsieht. Schon die Zauberformel ist eine fragwürdige Einschränkung für die Wahl eines Bundesratsmitglieds.
Die Zauberformel heisst, dass das Parlament nur Vertreter von vier Bundesratsparteien wählen kann – nach einer klar festgelegten Formel.
Genau. Mit der Zauberformel legte man im Parlament ein Machtkartell fest. Das ist aber in der Verfassung nirgends vorgesehen. Weil sich dieses Kartell selbst erhält, stehen die Parlamentsmitglieder unter Druck, zwingend innerhalb der Zauberformel zu wählen. Dazu kommt der Ticketzwang der Fraktionen. Früher war das Ticket ein Vorschlag. Heute ist es ein Zwang, der mit massivem Druck gegenüber Kandidierenden und Parlament durchgesetzt wird. Das führt dazu, dass Parlamentsmitglieder nicht mehr frei wählen und kandidieren können.
Diese Entwicklung begann 2007, als die damalige SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf für SVP-Bundesrat Christoph Blocher gewählt wurde – und die SVP Widmer-Schlumpf aus der Partei ausschloss.
Das war der eigentliche Sündenfall. Seither liefen die anderen Fraktionen der SVP brav hinterher – auch wenn sie der SVP die Schuld in die Schuhe schieben. Aber alle Fraktionen wollen ihre Tickets durchboxen und sind an der doppelten Zwangssituation interessiert: Man wählt nur innerhalb der Zauberformel. Und nur Personen, die auf dem Ticket sind.
Sind Bundesratswahlen aus Ihrer Sicht undemokratisch?
Ich halte dieses System für undemokratisch, absolut. Es widerspricht der Verfassung, wenn der Wahlkörper, der nur aus 246 Personen besteht, nicht die Freiheit hat, nach bestem Wissen und Gewissen die geeignetsten Leute zu wählen. Wie das die Verfassung vorsieht.
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Unser System der Bundesratswahl ist hier vom Mechanismus her vergleichbar mit gewissen Diktaturen, zum Beispiel mit der Duma in Russland. Natürlich ist das zugespitzt, weil die Konsequenzen andere sind. Aber auch in der Duma ist ein Parlamentarier von der Verfassung her frei in seiner Wahl. Er kann diese Freiheit in der Praxis aber selbstverständlich nicht umsetzen. Das ist mit der Bundesratswahl im Schweizer Parlament vergleichbar.
Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
Es gäbe den radikalen Weg, im Gesetz entsprechende Absprachen zu verbieten. So weit würde ich nicht gehen. Ich appelliere an alle Parlamentarier, ihre Freiheit wieder wahrzunehmen. Ich selbst stand immer dazu, dass ich verschiedentlich Personen wählte, die nicht auf einem Ticket standen. Das werde ich weiterhin tun. Man kann auch eine ausgewogene Regierung installieren, ohne dass die Zauberformel lückenlos eingehalten wird. Von 2007 bis 2015 sass Eveline Widmer-Schlumpf als BDP-Politikern auf einem SVP-Sitz. Die Schweiz ging deswegen nicht unter.
Hat Ihre Kritik damit zu tun, dass Sie 2022 selbst schlechte Erfahrungen machten, als Sie gar nicht erst kandidieren durften?
Nein. Aber ich kam mit diesem System intensiv in Berührung. Ich kenne die Sicht von Personen, die ausserhalb des Tickets gewählt werden könnten und die Sicht von Parlamentsmitgliedern, die den Druck haben, aus dem Ticket zu wählen. Ich stelle meine Forderungen ohne jedes Eigeninteresse auf. Für mich ist es vorbei. Eine Fraktion darf diese Wahl nicht steuern. Das ist nicht verfassungskonform. Eine Fraktion kann aber einen Vorschlag machen. Passt dieser dem Parlament nicht, muss es frei wählen können.
SVP-Doyen Christoph Blocher sagt plötzlich, das Parlament dürfe sehr wohl ausserhalb des Tickets und aus einer anderen Partei wählen. Obwohl er 2007 mitverantwortlich war für den Parteiausschluss von Widmer-Schlumpf. Wie erklären Sie sich das?
Herr Blocher war damals persönlich sehr betroffen und hat dann ein wenig überreagiert. Generell hat die SVP in den letzten Jahren dazugelernt. Sie stellte fest, dass ihr System mit automatischem Parteiausschluss nicht funktioniert. Denn die Fraktionen setzen ihr Ticket inzwischen taktisch zusammen: Man nimmt Person X aufs Ticket, weil man Person Y durchbringen will.
Wie 2022, als sowohl die Anhänger von Eva Herzog wie von Evi Allemann in der SP-Fraktion Elisabeth Baume-Schneider als Gegenkandidatin auf dem Ticket wollten. Weil sie sich so bei der Wahl bessere Chancen versprachen. Eine Fehleinschätzung.
Zu diesem konkreten Fall möchte ich mich nicht äussern. Aber ja, Strategien können auch in die Hosen gehen. (aargauerzeitung.ch)
Aber nein!
Es besteht wirklich keine Notwendigkeit, den Boden für eine SVP-Mehrheit im Bundesrat zu bereiten.