Schweiz
Gesellschaft & Politik

Schweiz: Höheres Rentenalter fällt im Parlament durch

Höheres Rentenalter fällt im Parlament durch – SVP und FDP ärgern sich gegenseitig

Auch andere Lösungen, um die Finanzierungslücke in der AHV mittelfristig zu schliessen, werden auf die lange Bank geschoben. Die bürgerlichen Parteien schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
12.06.2023, 20:43
Doris Kleck und Anna Wanner / ch media
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Der Entscheid vor einer Woche war hauchdünn - und eine handfeste Überraschung. Der Nationalrat verlangte mit 93:92 Stimmen eine Art Schuldenbremse, um die Finanzierung der AHV-Renten über 2030 hinaus zu sichern. Die Sozialkommission sollte einen Automatismus als Gegenvorschlag zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen ausarbeiten. Letztere will das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln und sieht in einem ersten Schritt eine Erhöhung von 65 auf 66 Jahre vor. «Der Coup des Linkenschrecks» titelte der «Sonntagsblick». Der Linkenschreck, das ist der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. Einer der Köpfe hinter der Renteninitiative des Jungfreisinns.

Andri Silberschmidt, FDP-ZH, spricht waehrend der Debatte um die Renteninitiative, waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 5. Juni 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Andri Silberschmidt – oder eben «der Linkenschreck».Bild: keystone

Doch bereits am Montag ist der Gegenvorschlag des Nationalrats Makulatur. Die Sozialkommission lehnt eine solche Lösung ab, wie sie mitteilte. Sie schaffte es nicht, sich auf die Eckwerte für eine Schuldenbremse zu einigen. Dabei stand nicht alleine die Erhöhung des Rentenalters im Vordergrund. Die Kommission diskutierte drei konkrete Vorschläge, welcher Mechanismus im Falle eines Defizits in der AHV greifen sollte:

  • Finanzierung über Rentenaltererhöhung: FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt wollte, dass im Falle eines Defizits ein Ausgleichsmechanismus greift, der verschiedene Faktoren berücksichtigt. Nebst höheren Einnahmen eben auch die Erhöhung des Referenzalters.  
  • Finanzierung über eine längere Lebensarbeitszeit: SVP-Nationalrat Thomas de Courten wollte das Rentenalter an die Lebensarbeitszeit von 44 Jahren koppeln. 
  • Finanzierung über Bundesmittel: Die Grüne-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber verlangte, dass das Defizit in der AHV mit Geldern aus der Bundeskasse gestoppt wird.

Von den drei Vorschlägen setzte sich in der Ausmarchung die Lebensarbeitszeit durch. Doch als es um die Frage ging, Gegenvorschlag mit Lebensarbeitszeit oder doch keinen Gegenvorschlag, unterstützten nur noch FDP und SVP dieses Modell. Die Mehrheit der Kommission wollte nichts davon wissen. Auch die Grünliberalen nicht. Vizepräsidentin Melanie Mettler sagt, die Lebensarbeitszeit sei ein interessantes Modell. Die Bundesverwaltung habe im Frühling vom Parlament den Auftrag erhalten, dieses zu prüfen. Doch aktuell würden die Entscheidungsgrundlagen fehlen. Mettler, eine Verfechterin der Schuldenbremse, zeigte sich enttäuscht, dass alle Parteien an ihren Maximalforderungen festgehalten haben - und der Gegenvorschlag damit erledigt ist.

Ein Wahlplakat zur AHV-Initiative steht bei einer Strasse, am Samstag, 20. August 2022, in Muensingen. Am 25. September werden ueber die Vorlagen zur AHV-Revision, Massentierhaltung und Verrechnungsst ...
Das irreführende Plakat der Gewerkschaften wird auch mit der nächsten AHV-Reform nicht wahr: Das Parlament will das Rentenalter nicht erhöhen.Bild: KEYSTONE

Die Pirouette der SVP

Eine interessante Rolle spielte in der Debatte die SVP. Sie unterstützte vor einer Woche mit 49 Stimmen den Gegenvorschlag. Nur drei SVP-Mitglieder lehnten einen solchen ab, darunter auch Fraktionschefs Thomas Aeschi, der dezidiert gegen ein höheres Rentenalter ist: Dies sei ungerecht gegenüber Berufsleuten, die körperlich anstrengende Arbeit verrichten. Wenn eine Schuldenbremse, dann nur mit der Einführung einer Lebensarbeitszeit.

Aeschi hat offenbar seine Muskeln innerhalb der Fraktion spielen lassen. Freisinnige werfen ihm vor, die SVP habe Angst, vor den Wahlen im Herbst ein höheres Rentenalter zu unterstützen. Aeschi selbst verweist darauf, dass es nicht möglich sei, innerhalb derart kurzer Zeit eine Schuldenbremse für die AHV auszuarbeiten.

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SVP-Fraktionschefs Thomas Aeschi. Bild: keystone

Tatsächlich gibt es enge Fristen bei der Behandlung von Volksinitiativen und Gegenvorschlägen. Das Parlament hätte die Vorlage für die Schuldenbremse spätestens in der Wintersession verabschieden müssen.

Zwei AHV-Abstimmungen an einem Tag

Aeschi beantragte schliesslich im Namen der Kommission, dass der Nationalrat am Dienstagmorgen über einen Ordnungsantrag abstimmt, der eine möglichst rasche Beratung der Renteninitiative verlangt. Dagegen wehrte sich nur die FDP. Ihr Fraktionschef Damien Cottier warf der Sozialkommission vor, dass sie den Auftrag des Nationalrates nicht richtig wahrgenommen habe. Einen Gegenvorschlag arbeite man nicht in einer Sitzung aus, die knapp 60 Minuten dauerte. Das sei keine seriöse Arbeit.

Ausser der FDP stimmten alle Fraktionen mehr oder weniger geschlossen für den Ordnungsantrag. Aeschi schaffte es, die Parteikollegen wieder auf seine Linie zu bringen. Der Gegenvorschlag ist damit erledigt. Die Initiative des Jungfreisinns wird voraussichtlich im nächsten Frühjahr ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung kommen. Am gleichen Tag wie die Initiative des Gewerkschaftsbundes. Sie verlangt eine 13. AHV-Rente. (bzbasel.ch)

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114 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ingmarbergman
12.06.2023 21:09registriert August 2017
Wer im Herbst SVP und FDP wählt, soll sich dann einfach nicht beklagen, wenn der Mittelstand weiter geschröpft wird.
(von der Unterschicht müssen wir gar nicht anfangen zu reden, die sind für die Bürgerlichen eh nix wert.)
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Garp
12.06.2023 21:08registriert August 2018
Lebensarbeitszeit 44 Jahre? Da hat man dann keine Lust mehr umzuschulen oder mehrere längere Weiterbildungen zu machen. Und dann schreit man wieder wegen Fachkräftemangel. Und an wieviel Prozentstellen ist die denn gebunden?

Das wäre einfach nicht zeitgemäss. Manche Politiker leben schon fern der Realität.
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Nocciolo
12.06.2023 21:38registriert November 2014
Lebensarbeitszeit: d.h. ich könne mit 62 Jahren in Rente? Wär ich dafür. Aber wird wohl kaum so gemeint sein. Wird vermutlich ein Mindesteinkommen pro Jahr verlangt, was dann wieder die Ärmsten trifft.
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