Die Nominierungsfrist der SP für die Nachfolge von Alain Berset läuft am heutigen Sonntag ab. Fünf Kandidaten und eine Kandidatin haben sich beworben. Nun entscheidet die SP-Fraktion, wer auf das Bundesratsticket kommt.
Die besten Chancen für eine Wahl als Bundesrat hat gemäss der watson-Wahlbörse der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch. Lange hatte der Basler Regierungs- und Ex-Nationalrat Beat Jans gemäss Wahlbörse die grössten Wahlchancen. Doch seit den Parlamentswahlen hat sich das geändert: Jositsch legte einen massiven Sprung hin.
Politikprofessor Oliver Strijbis erklärt dies mit dem Ausgang der eidgenössischen Wahlen. Dort legte die SVP an Sitzen zu, die Grünen hingegen verloren fünf Sitze. «Die SVP bevorzugt bekanntlich Jositsch, die Grünen eher nicht. Daher hilft das Wahlresultat Jositsch – wenn er denn aufs Ticket kommt.»
So stehen die Chancen der sechs Kandidierenden von der SP-Fraktion, aufs Bundesratsticket zu kommen:
Mit dem Politbetrieb im Bundeshaus ist Daniel Jositsch mit seinen acht Jahren im Nationalrat und zwei Legislaturen im Ständerat bestens vertraut. Mit viel Herzblut macht er sich für den Tierschutz stark. Der Senkrechtstarter ist über die SP hinaus gut vernetzt und überzeugt mit seinen Argumenten auch Menschen, die politisch nicht links eingestellt sind. Der Professor der Universität Zürich brilliert als Jurist und Rhetoriker und punktet mit seiner Kompromissbereitschaft und seinem Ansehen. Kein Politiker und keine Politikerin hat bei den Wahlen so viele Stimmen geholt wie Jositsch.
Mindestlohn, Frauenquoten und Sozialhilfe: In grossen politischen Fragen weicht Daniel Jositsch von der Parteilinie ab. Aus den eigenen Reihen heisst es, er sei zu rechts, zu liberal. Er selbst sagt: «Ich bekämpfe nicht den Reichtum, sondern die Armut.» Negativ ins Gewicht fallen dürfte sein Alter, das nicht zur Verjüngung des Bundesrats beiträgt, welche die SP anstrebt.
Als Zürcher würde der 58-Jährige frischen Wind in den ländlich geprägten Bundesrat bringen. Sein Alleingang bei den letzten Bundesratswahlen hat ihm besonders im linken Flügel Sympathiepunkte gekostet. Zumindest die SP Zürich hat ihm verziehen und schickt ihn ins Rennen. Jositsch zählt zum rechten Flügel der SP, was ihn auch im bürgerlichen Mitte-Rechts-Lager wählbar macht.
Beat Jans kennt den Politbetrieb: 10 Jahre lang sass er im Nationalrat, ehe er den Sprung in die Basler Kantonsregierung schaffte. Sein grösstes Plus ist seine exekutive Führungserfahrung. Der 59-Jährige ist kein typischer linker Akademiker aus der Stadt, schreibt die BAZ. Jans ist diplomierter Umweltwissenschaftler und Agrotechniker und verfügt über einen Lehrabschluss als Landwirt. SP-Ständerätin Anita Fetz bezeichnet Jans als einen «Brückenbauer», der pointiert politisiere und gleichzeitig Kompromisse schmieden kann.
Seit zwei Jahren ist Jans nicht mehr im Parlament. In Bundesbern ist dies eine lange Zeit. Nur selten haben National- und Ständerat jemanden ausserhalb des Parlaments in den Bundesrat gewählt. Der gewünschte Generationenwechsel würde mit dem 59-Jährigen nicht eintreten.
Ein Pluspunkt ist sicherlich seine Herkunft. Basel-Stadt ist seit 50 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten. Der bedeutende Wirtschaftsstandort hofft schon lange auf einen Sitz. Die Basler SP hat Jans einstimmig nominiert. Bei Bauern sowie bei der stärker gewordenen Bauernlobby dürfte der umweltfreundliche Landwirt einen schweren Stand haben.
«Zielstrebiger als Allemann kann man eigentlich gar nicht sein.» So brachte die NZZ kürzlich Evi Allemanns durchgetaktete Karriere auf den Punkt. Vom Gymnasium direkt in den Grossrat des Kantons Bern, 2003 Wahl in den Nationalrat mit dem Jus-Studium in der Tasche, 2018 Wahl in den Regierungsrat des Kantons Bern, 2022 erstmals Bundesrats-Ambitionen. Allemann gilt als fleissige, dossierfeste Politikerin, die über die Parteigrenzen gut ankommt. Sie bringt sowohl Parlaments- als auch Exekutiverfahrung mit und sieht sich als Vertreterin der urbanen Schweiz.
Jetzt wagt sie also erneut einen Anlauf für das höchste politische Amt der Schweiz. Dabei unterscheidet sie sich in einem Punkt von allen anderen Mitstreitern: Sie ist die einzige Frau. Das macht sie besonders bei den welschen SP-Männern beliebt, die dereinst hoffen, die Nachfolge von Elisabeth Baume-Schneider anzutreten.
Allemann wird bisweilen vorgeworfen, unnahbar zu sein. Eine, die es sich mit niemandem verscherzen will. Doch viel chancenmindernder für ihre Kandidatur ist ein anderer Punkt. Wie Bundesrat Albert Rösti ist sie Bernerin. Die Städter aus Zürich und Basel haben bereits lauthals verlauten lassen, dass ihre Region untervertreten sei.
So gut ihre Chancen sind, als Frau von der SP aufs Bundesratsticket zu kommen, so gering sind ihre Chancen, als weitere Vertretung aus Bern in den Bundesrat einzuziehen.
Der Bündner Jon Pult spricht als schweizerisch-italienischer Doppelbürger alle vier Landessprachen. Seit über 20 Jahren ist Pult politisch aktiv und hat die klassische Ochsentour durch die Parlamente und Parteispitzen durchlaufen. Pult punktet mit guter Rhetorik, öffentlich tritt er stets souverän auf. Der 39-Jährige lebt zwischen Chur und Bern und wird als stammtischtauglicher, pragmatischer und urbaner Bergler überparteilich geschätzt.
Pult ist der jüngste Anwärter. Der ehemalige Strategie- und Kommunikationsberater verfügt über keine Exekutiverfahrung. Mit nur einer Legislatur als Nationalrat ist er in der nationalen Politik noch nicht so erfahren wie seine Kontrahenten.
Pults grösster Nachteil: Er kommt aus einem Bergkanton, der im stark ländlich geprägten Bundesrat übervertreten ist. Im Parlament ist er gut vernetzt und gilt bei der SP als grosser Hoffnungsträger. Obwohl er erst seit vier Jahren im Nationalrat sitzt, präsidiert er bereits die nationalrätliche Verkehrskommission. Er ist weltoffen und steht für eine jüngere Generation, was ihn beim Juso-Flügel und den jüngeren Politikerinnen und Politikern beliebt macht. Innerhalb der SP kann Pult insbesondere wegen der angestrebten Verjüngung des Bundesrates auf Unterstützung zählen.
Roger Nordmann ist als langjähriger Fraktionschef im Bundeshaus geachtet. Seit 19 Jahren ist er im Nationalrat, während acht Jahren führte er die SP-Fraktion und prägte die Politik. Er war unter anderem treibende Kraft hinter dem Atomausstieg und dem Klimaschutzgesetz. Sattelfest ist der 50-Jährige insbesondere in der Energiepolitik. Er spricht Deutsch, Französisch und Italienisch.
Der Waadtländer wäre der vierte Vertreter der lateinischen Schweiz. Er selbst sagt: «Ich will mich für das Land engagieren. Im Bundesrat geht es nicht um Regionalpolitik.»
Die SP sieht in seiner Herkunft zwar keinen Nachteil, doch mit Nordmann wäre die Romandie stark übervertreten.
Matthias Aebischer lebt mit seinen vier eigenen Kindern und seiner Partnerin und GLP-Ständeratskandidatin Tiana Angelina Moser in einer Patchworkfamilie, präsidiert (unter anderen) Pro Velo, gilt als urban und streicht den Töchtern am Morgen das Znünibrot – auch am Tag, bevor er seine Bundesrats-Ambitionen bekannt gibt. Aebischer, so finden nicht wenige, verkörpert die SP durch und durch. Darüber hinaus gilt der ehemalige TV-Journalist als begnadeter Kommunikator mit einem guten Draht zu den Menschen und einem ausgeprägten Netzwerk auch im Parlament. Er ist Mitglied in fast sechzig parlamentarischen Gruppen. Der 55-Jährige ist seit 12 Jahren im Nationalrat.
Matthias Aebischer hat im Bundesrats-Rennen vor allem zwei grosse Hürden zu nehmen: seine Herkunft und die fehlende Führungserfahrung. Der Primarlehrer und Ex-TV-Journalist verfügt über keine Regierungserfahrung. Der Berner sieht das selbst nicht als Problem: «Ich präsidiere einige Verbände und Vereine seit einigen Jahren.» Im Lebenslauf findet sich zudem die Zeile «1996 SRF-Olympia-Chef» bei den Sommerspielen in Atlanta.
Stärker ins Gewicht dürfte Aebischers Herkunft fallen. Dass er wie Bundesrat Albert Rösti aus dem Kanton Bern stammt, hilft ihm sicher nicht. In Basel und Zürich sind die Stimmen nach einer angemessenen Vertretung ihrer Region im Bundesrat schon jetzt sehr laut geworden.
Matthias Aebischer dürfte es schwer haben, überhaupt aufs SP-Ticket zu kommen. Die Hypothek seiner Berner Herkunft ist zu gross. Mit 55 Jahren kann er zudem nicht mit einem jugendlichen Alter auftrumpfen. Er ist vier Jahre älter als der abtretende Alain Berset. Gemäss watson-Wahlbörse hat Matthias Aebischer die geringsten Chancen aller Kandidierenden.