Es braucht gleich zwei Leute, um Thierry Burkart zu ersetzen. Die FDP erhält ein Führungsduo. Die St.Galler Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher und der Glarner Ständerat Benjamin Mühlemann wollen die Liberalen in einer Co-Leitung präsidieren. Ihre Kandidatur machten sie am Mittwoch publik – zeitgleich mit dem Ablauf der Meldefrist. Neben Vincenz-Stauffacher/Mühlemann gibt es keine weiteren ernsthaften Bewerbungen.
Zuvor hatte es nur prominente Absagen gehagelt. Andri Silberschmidt wollte ebenso wenig FDP-Präsident werden wie Damian Müller. Sie alle betonten zwar, dass der Job sehr reizvoll, aber mit ihrer Lebenssituation nicht vereinbar sei. Parteipräsident ist ein Verschleissjob. Viele Termine, viel Druck, wenig zu gewinnen. Auch bei der Mitte war das Kandidatenfeld für die Nachfolge von Gerhard Pfister sehr überschaubar.
Während die Grünen und die SP bereits Doppelspitzen kennen, ist es für die bürgerlichen Kräfte ein Novum. An Kritiker des neuen Führungsmodells mangelt es denn auch selbst in der eigenen Partei nicht. «Der einfachere Weg ist, wenn jemand alleine die Fahne trägt», sagte Beat Walti CH Media vor Wochenfrist. Er ist Präsident der Findungskommission und wird nun doch mit zwei Fahnenträgern vorliebnehmen müssen. Auch Nationalrat Christian Wasserfallen äusserte sich skeptisch: Er zweifle daran, dass es im Freisinn zwei Personen gebe, die stets deckungsgleicher Meinungen seien.
Wie deckungsgleich sind die Meinungen bei Vincenz-Stauffacher und Mühlemann also? So ziemlich, finden die beiden. In mehreren Gesprächen hätten sie gegenseitig ihre politischen Positionen abgetastet und dabei viele Gemeinsamkeiten gefunden. «Und wir ergänzen uns in vielerlei Hinsicht sehr gut», sagt Vincenz-Stauffacher. Mann, Frau, etwas jünger und etwas älter und mit einem anderen politischen Rucksack. Die St.Gallerin hebt dabei die Exekutiverfahrung von Mühlemann hervor.
Wären sie auch jeweils alleine angetreten? «Diese Frage hat sich am Ende gar nicht mehr gestellt», sagt der Glarner Ständerat, «es hat sich so klar herauskristallisiert, dass das für uns die ideale Lösung wäre.» Beiden ist es wichtig, dass neben dem Präsidentenamt auch ihr berufliches und familiäres Leben Platz habe. Das funktioniere mit einer Arbeitsteilung besser. Und was entgegnen sie den Skeptikern einer Doppelspitze? Vincenz-Stauffacher lacht und sagt:
Jetzt gehe es mit ebendieser Power in den Wahlkampf für die kommenden nationalen Wahlen. Die FDP sei auf Kurs, sind sich beide einig. «Die Partei ist sehr gut aufgestellt und wir haben unsere Positionen gefestigt», sagt Vincenz-Stauffacher. Mühlemann ergänzt, es sei keine grundsätzliche Neupositionierung zu erwarten.
Das Herzensprojekt von Vincenz-Stauffacher ist die Individualbesteuerung. Die ehemalige Präsidentin der FDP-Frauen kämpft seit Jahren dafür. Ihr neuer Präsidentenkollege Mühlemann hat «eher nein» angekreuzelt beim letzten Smartvote-Fragebogen. Allerdings habe er nach der Diskussion im Ständerat am Ende für die Vorlage gestimmt. Damit ist dieser potenzielle Streitpunkt bereits ausgemerzt.
Die 58-jährige Susanne Vincenz-Stauffacher sitzt seit 2019 im Nationalrat. Sie ist Anwältin mit eigener Kanzlei und hat zahlreiche ehrenamtliche Mandate. Vor ihrer Wahl in den Nationalrat war Vincenz-Stauffacher Mitglied des St.Galler Kantonsrats. Von 2020 bis 2025 amtete sie als Präsidentin der FDP Frauen Schweiz.
Der 46-jährige Benjamin Mühlemann sitzt erst seit den Wahlen 2023 im Bundeshaus, wo er den Kanton Glarus im Ständerat vertritt. Davor war er seit 2014 Mitglied der Glarner Regierung, zunächst sieben Jahre als Bildungsdirektor, ab 2020 als Finanz- und Gesundheitsdirektor. Zwischen 2010 und 2014 sass er im Glarner Landrat.
Mühlemann studierte an der ZHAW in Winterthur Journalismus und Kommunikation. Er arbeitete einige Jahre als Redaktor bei der «Südostschweiz» und war in der Kommunikation des Energieunternehmens Axpo sowie beim Gebäudetechnikverband Suissetec tätig. Heute arbeitet in einem Teilpensum als Berater für strategische Kommunikation.
Auf nationaler Ebene ist Mühlemann seit seiner Wahl 2023 politisch noch wenig in Erscheinung getreten. Einen Namen hat er sich aber gemacht, als er in der festgefahrenen Diskussion rund um die Armeefinanzen eine Lösung zimmerte. Auch dank eines Einzelantrags von ihm kann die Armee ihr Budget bis 2028 auf rund 30 Milliarden erhöhen.
Auf das neue FDP-Führungsduo warten grosse Herausforderungen. Vom ersten Tag an dürften es mit der Vorbereitung auf die eidgenössischen Wahlen 2027 beschäftigt sein. Bei den letzten Wahlen im Oktober 2023 schaffte es die FDP nach erneuten Verlusten noch auf einen Wähleranteil von 14,3 Prozent – und landete lediglich 0,2 Prozentpunkte vor der Mitte. Sollte sie 2027 hinter die Mitte zurückfallen, riskiert sie ihren zweiten Bundesratssitz zu verlieren.
Ebenso wichtig wird es sein, wie Mühlemann und Vincenz-Stauffacher die FDP in der Debatte um die EU-Abkommen positionieren. Derzeit erarbeitet eine parteiinterne Arbeitsgruppe einen Antrag zuhanden der Delegiertenversammlung. Vincenz-Stauffacher gilt als Unterstützerin der neuen Abkommen, Mühlemann hat sich noch nicht festgelegt.
Diesen europapolitischen Grundsatzentscheid treffen die freisinnigen Delegierten am 18. Oktober. Am selben Tag wählt die Delegiertenversammlung auch die neue Doppelspitze Mühlemann/Vincenz-Stauffacher formell ins Amt. Und verabschiedet Thierry Burkart, der die Partei seit 2021 führte. Unter seiner Führung ist die FDP wieder stärker nach rechts gerückt. (aargauerzeitung.ch)