Schweiz
Gesundheit

Abstimmungen November: Interview zu EFAS mit SP-Vizepräsident David Roth

David Roth, SP-LU, spricht fuer die Kommission zur Schweizerischen Post, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 10. September 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro d ...
SP-Vizepräsident und Gewerkschafter David Roth lehnt die Gesundheitsreform Efas ab.Bild: keystone

2 Milliarden Prämienentlastung bei EFAS: «Da müssen einem Zweifel kommen»

Über die Gesundheitsreform EFAS entscheidet das Stimmvolk am 24. November. Während Bundesrat, Parlament und Gesundheitsbranche die Änderungen klar befürworten, scheren die Gewerkschaften aus. SP-Vizepräsident David Roth erklärt, wieso.
06.11.2024, 20:48
Anna Wanner / ch media
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Herr Roth, laut Bundesrat werden die Prämienzahlenden bei der Umsetzung der Gesundheitsreform EFAS um bis zu 2 Milliarden Franken entlastet. Die Kosten würden den Steuerzahlern aufgebürdet. Ist es nicht das, was die SP seit Jahren will?
David Roth: Die 2 Milliarden Franken hat man zum Abstimmungstermin aus dem Hut gezaubert, sie stehen nicht im Abstimmungsbüchlein. Das ist unseriös. Da müssten einem Zweifel kommen.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sagt, die Reform führe zu einer Entlastung der Prämienzahlenden. Stimmt das nicht?
Wir können uns an jene Fakten halten, die vorliegen. Die Langzeitpflege ist der am schnellsten wachsende Bereich. Was diese Dynamik für die Kosten bedeutet, belegen Zahlen des Krankenkassenverbands Santésuisse: Diese steigen innert kurzer Frist um 10 Milliarden Franken zulasten der Prämienzahler.​

Der Bundesrat widerspricht diesen Berechnungen: Wegen des ungleich grösseren Wachstums im ambulanten Bereich führe die Reform zu einer massiven Entlastung der Prämienzahlenden.
Ich glaube jenen Zahlen, die veröffentlicht sind und die wir alle nachrechnen können. Vor allem sehen wir, dass die Kantone die Reform unterstützen. Daher kann man davon ausgehen, dass sie sich der Kosten entledigen, die wegen der alternden Bevölkerung in der Langzeitpflege auf uns zukommen. Das war ja die offen formulierte Bedingung der Kantone.​

Sie vertrauen eher den Zahlen der Krankenkassen als den Zahlen des Innendepartements, das seit dreizehn Jahren unter SP-Führung ist?
Ich respektiere die Rolle von Elisabeth Baume-Schneider, die den Bundesrat vertritt. Aber wenn die Gewerkschaften und die Krankenkassen auf ähnliche Zahlen kommen, liegen sie nicht daneben.​

Die aktuelle Kostenentwicklung zeigt: Würde die Reform heute umgesetzt, würden die Prämienzahlenden um mehr als 800 Millionen Franken entlastet. Bestreiten Sie diese Entwicklung?
Diese Zahlen stehen als unbelegte Behauptung im Raum. Im Abstimmungsbüchlein findet man etwas anderes. Dort ist vielmehr festgehalten, dass die Reform in 17 von 26 Kantonen zu mehr Prämiengeldern führt. Das ist doch unseriös.​

Die Zahlen stammen aus den Jahren 2016 bis 2019, sie bilden die Grundlage zur Berechnung der einheitlichen Finanzierung. Seither ist der ambulante Bereich um rund 4 Milliarden Franken gewachsen – alleine auf Kosten der Prämienzahlenden. Die Kantone würden sich mit der Reform an diesen Kosten beteiligen. Das führt zu einer Entlastung.
Die Kantone stimmen der Reform nur zu, weil sie sich künftiger Kosten entledigen wollen. Denn die Gesundheitsdirektoren wissen, die Langzeitpflege weist künftig das stärkste Wachstum auf. Darum ist klar: Die Kantone wollen Kosten abschieben. Die Leute werden diesen grossen Brocken zahlen müssen.​

Der Bundesrat sagt: Das stimmt nicht.
Es war nie die Idee der Reform, die Prämienzahlenden zu entlasten, deshalb hat man auch behauptet, den Kostenschlüssel verteilungsneutral festgelegt zu haben.​

Das ändert sich durch die Einheitliche Finanzierung stationärer und ambulanter Leistungen (EFAS)
Wer heute die Hüfte operiert und im Spital übernachtet, zahlt über die Krankenkasse weniger, als wer am selben Tag wieder nach Hause gehen kann. Die Spitalübernachtung ist für den Prämienzahler günstiger, verursacht aber insgesamt mehr Kosten. Mit der einheitlichen Finanzierung sollen Gesundheitsleistungen über einen einzigen Verteilschlüssel abgegolten und solche Fehlanreize beseitigt werden: Künftig würden die Kantone mindestens 26,9 Prozent der Kosten übernehmen, die Krankenkassen 73,1 Prozent.

Ruth Humbel hat die Reform 2009 angestossen, damit sich die Kantone nicht weiter aus der finanziellen Verantwortung steigender Gesundheitskosten stehlen.
Ruth Humbel gehörte zu den Parlamentarierinnen mit den meisten Mandaten im Gesundheitswesen. Das ist nicht sehr glaubwürdig.

Das Parlament machte viele Kompromisse auch gegen links. Darum unterstützen SP-Gesundheitspolitikerinnen wie Barbara Gysi, Sarah Wyss, Flavia Wasserfallen, selbst Co-Präsidentin Mattea Meyer und Co-Fraktionschefin Samira Marti die Reform. Liegen sie alle falsch?
Ich respektiere die Abwägungen meiner Parteikolleginnen. Genau wie die grosse Mehrheit der SP und eine beträchtliche Minderheit der SVP sehe ich aber mehr Risiken als Chancen. Meine Parteikolleginnen haben in der Abwägung entschieden, dass die Reform mehr Chancen als Risiken birgt. Zudem haben viele die Reform lange begleitet und wollten sie durchs Parlament bringen, damit die Bevölkerung darüber entscheiden kann.

Sie sagen, ihre Kolleginnen stimmten der Reform nur zu, damit wir darüber abstimmen können?
Ich kann mich nicht zu den Motiven einzelner Leute äussern. Für mich überwiegen die Nachteile. Andere sehen in der Reform mehr Vorteile. Die letzten dreizehn Jahre habe ich für tiefere Prämien gekämpft, zuletzt als Präsident der Luzerner Gesundheitskommission habe ich auch die Spitalplanung begleitet. Und aus dieser Perspektive beurteile ich die Vorlage.​

David Roth
SP-Nationalrat David Roth sieht in der Reform hauptsächlich Risiken, aber keine Vorteile.Bild: severin bigler/chmedia

Um was geht es denn? Fürchten Sie die Prämienentwicklung? Oder halten Sie die Reform inhaltlich für verfehlt?
Die Reform enthält unbestrittene Teile: Wir wollen, dass stationär und ambulant in gleichem Ausmass finanziert werden. Das Problem ist, dass dieser Konsens von der Krankenkassenlobby missbraucht wurde, um die Macht auszubauen; ebenso von den Kantonen, um sich der dynamischen Kosten der Langzeitpflege zu entledigen. Zudem erhalten wir eine höhere Kostenbeteiligung für die Betroffenen. Sie müssen bei einem längeren Spitalaufenthalt und für die Pflege mehr aus dem eigenen Sack bezahlen.​

Der Pflegeanteil bleibt bei Annahme der Reform bis 2036 unverändert. Im Unterschied zu heute, da der Bundesrat diesen schon per Verordnung ändern könnte.
Dass das Parlament die Höhe der Selbstbeteiligung an der Pflegeleistung befristet hat, zeigt, dass sie irgendwann steigen wird. Das ist doch kein Fortschritt!​

Die Hausärztinnen und Kinderärzte stehen genauso hinter der Vorlage wie die Spitex und die Spitäler. Wenn sie so nachteilig ist, wieso wird die Reform so breit gestützt?
Kein Berufsverband unterstützt die Reform. Denn sie sehen, wie negativ sich der Einfluss der Krankenkassen auf ihre Arbeit auswirkt. Das ist auch der Grund, wieso die Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben.​

Das stimmt nicht. Die Spitex-Organisationen sind für die Reform, genauso wie die Ärzte.
Das sind aber keine Arbeitnehmendenorganisationen, sondern teilweise sogar profitorientierte Akteure. Die Angestellten werden unter Druck kommen und dafür kämpfen müssen, was sie überhaupt noch abrechnen können. Das ist heikel: Gerade die Arbeit nahe am Menschen lässt sich nur schwer quantifizieren. Das bedeutet eine Verschlechterung für die Pflegefachleute und für die Patientinnen und Patienten.​

Ist es nicht bevormundend zu sagen, für Ärzte, Pflege und Spitäler verschlechtere die Reform die Situation, wenn diese darin Vorteile sehen?
Der Grund, wieso die Gesundheitsbranche zustimmt, ist: Es können sich alle schadlos halten. Ärzte, Spitäler, Spitex – sie alle verlieren nichts. Angesichts der stetig steigenden Krankenkassenprämien ergibt es aber keinen Sinn, eine Reform zu machen, die höhere Prämien riskiert.​

Hausärztinnen sagen genauso wie Pflegefachleute, die Zusammenarbeit werde erleichtert, wenn die Finanzierung überall dieselbe ist. Auch für Patientinnen ist es besser, wenn eine Leistung nicht der Kostenlogik folgt, sondern medizinischen Kriterien.
Das ist vorgeschoben. Diese Zusammenarbeitsmodelle existieren heute schon. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass Krankenkassen ihre neue Macht dazu nutzen werden, um die obligatorischen Leistungen auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Versicherten vermehrt auf Zusatzversicherungen angewiesen sind – bei denen die Kassen Profit machen dürfen. Es gibt ein Heim im Kanton Zürich, wo nicht einmal der Lehnstuhl in der Grundpauschale einbegriffen ist. Wollen wir das überall?​

Die Reform erteilt den Krankenkassen keine einzige neue Kompetenz. Und bereits heute legt das Parlament fest, welche Leistungen über die Krankenkassen abgegolten werden. Wieso soll das plötzlich in der Hand der Krankenkassen liegen?
Es ist Sinn und Zweck der Reform, dass die Kassen mehr Macht erhalten, um die Entscheidungen über Behandlungen stärker mittragen zu können. Das steht so in allen Berichten. Viele Entscheidungen lassen sich eben nicht schwarz-weiss anhand des Leistungskatalogs entscheiden. Hier mehr Macht den Angestellten privater Kassen zu geben, damit sie am Bildschirm entscheiden, wer wie behandelt wird, ist inakzeptabel.​

Die einheitliche Finanzierung schafft eine Grundlage für weitere Reformen, weil sich die wichtigsten Financiers nicht mehr die Kosten zuschieben, sondern am selben Strick ziehen. Ist das nicht wichtig?
In der Reform nur Vorteile zu sehen, ist naiv. Die Krankenkassen werden ihre neue Macht dazu nutzen, um die Grundleistungen auf einem Minimum zu halten, um den Menschen Zusatzversicherungen anbieten zu können. Das ist die Logik, die sie verfolgen.​

Die Tarife verhandeln die Krankenkassen nicht alleine. Und den Leistungskatalog bestimmt die Politik. Die Kantone hätten endlich einen Anreiz, die Ärztezulassung besser zu steuern, weil sie die Kosten mittragen müssten.
Das sind Mittel, über die wir heute schon verfügen. Wir können auch das Credo «ambulant vor stationär» über entsprechende Listen weiterverfolgen. Diese geben den Spitälern vor, welche Leistungen sie zwingend ambulant durchführen müssen. Das geht auch ohne grosse Reform. Die Erfahrung – auch aus dem Ausland – zeigt zudem, dass das besser funktioniert. (aargauerzeitung.ch)​

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Wolfman
07.11.2024 04:30registriert April 2020
Eigentlich muss sich jeder nur diese Frage stellen...
Wann hat ein bürgerlicher Vorstoss, eine bürgerliche Initiative, ein bürgerlicher Geseztesvorschlag usw. dem Normalbürger und Büezer je etwas substanzielles gebracht? Ich meine etwas greifbares, echtes? Kein Stammtischgepoltere, sondern wirklich etwas, das der Normalbürger und Büezer zu seinem Wohl und Nutzen hatte? Und nicht nur bürgerliche Lobbys? Tja...es gibt keine. Und darum ist diese, von den bürgerlichen gewollte EFAS genau so ein Beschiss wie die versenkte BVG Reform.🤷‍♂️
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Fairness
07.11.2024 07:07registriert Dezember 2018
Mein NEIN ist schon weg. Wegen der alternden Gesellschaft und den kommenden hohen Kosten der Langzeitpflege, all den abzockenden neuen Spitexfirmen für Angehörigenpflege, von denen drei Viertel zu Lasten der Prämienzahler mit höheren Prämien gehen würden. Die Kantone haben nur deswegen der Änderung zugestimmt.
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Schneider Alex
07.11.2024 07:29registriert Februar 2014
Krankenkassenprämien steigen: Mit der Reform würden die Kosten der Pflegeheime und Spitex neu hauptsächlich von den Krankenkassen übernommen. Der Anteil der Kantone sinkt. Die ungerechten Kopfprämien für alle drohen noch schneller zu steigen als heute schon! Dazu kommt : In 17 Kantonen, darunter Zürich, Bern, Basel und Luzern, würden die Prämien sofort um rund 310 Millionen Franken steigen.
2012
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