Wer testet das Pflegepersonal auf eine Coronavirus-Infektion? Wer beruhigt die Senioren im Altersheim? Wer versucht fürs Spital genug Hygienekleidung zu ergattern? Und gibt es eigentlich jemanden, der nun nach den dringend benötigten Medikamenten gegen das Virus sucht?
Wir haben mit fünf Helfern in der Coronavirus-Krise gesprochen. Zu anderen wurden wir nicht vorgelassen: Zu jenen niedrig bezahlten Arbeitern bei Detailhändlern oder dem öffentlichen Verkehr, die nun ebenfalls Sondereinsätze leisten.
Pflegefachmann Martin arbeitet im Kantonsspital Aarau (KSA) immer dort, wo es gerade einen personellen Engpass gibt. Als Mitarbeiter des Pflegepools erfährt er seinen nächsten Einsatz in der Regel am Abend zuvor. Seit zwei Wochen ist alles anders: Das Corona-Virus bestimmt den Alltag des 44-Jährigen.
Er kümmert sich um die Angestellten im Gesundheitswesen. Das Kantonsspital Aarau hat für sie eigens eine Hotline eingerichtet; dies als Ergänzung zur Corona-Hotline für Patienten. Pflegefachpersonen, Betreuer aus Alters- oder Behindertenheimen oder Ärztinnen rufen an und schildern ihre Beschwerden. Husten? Fieber? Liegen zwei oder mehr Symptome auf eine mögliche Corona-Ansteckung vor, bietet Martin sie zum Test auf.
Es geht bei diesen Vorsichtsmassnahmen um die Sicherheit des Gesundheitspersonals, aber auch um die Patienten. Wer in einer Arztpraxis, in einem Altersheim oder in einem Spital arbeitet, ist besonders häufig mit Menschen aus den Risikogruppen in Kontakt. Mit Panik ist Martin bislang nicht konfrontiert gewesen: «Die meisten Personen, die sich bei uns melden, sagen bereits am Telefon: ‹Es ist wohl nichts›. In der aktuellen Situation machen sich aber auch Fachleute mehr Gedanken über die eigene Gesundheit.»
Sitzt Martin nicht am Telefon, nimmt er Abstriche vor. Pro Tag führt sein Team aktuell etwa 40 solche Tests durch. Ein leer stehendes Gebäude auf dem KSA-Gelände wurde kurzfristig zu einem provisorischen Testzentrum umfunktioniert. Brille, Mundschutz, ein gelber Überschurz und Plastikhandschuhe: Diese Ausrüstung schützt Martin, wenn er das Stäbchen mit Schaumstoff durch die Nase der Testpersonen einführt und im Rachenraum einen Abstrich macht.
Das sei zwar etwas unangenehm, dauere allerdings nur einige Sekunden, sagt er. Gut verschlossen in einem Röhrchen, wird der Test ins Labor gebracht. Am Abend klingelt das Telefon bei den getesteten Personen und sie erfahren ihr Resultat. «Bei den Tests, die ich gemacht habe, gab es bislang noch kein positives Resultat», sagt er. Kurz wird er nachdenklich: Die Meldungen über die Hunderten von Todesfällen in Italien gingen aber auch an ihm nicht spurlos vorbei, schiebt er nach.
Angst, sich selber anzustecken und ernsthaft krank zu werden, habe er jedoch nicht: «Ich arbeite jeden Tag in einem Umfeld mit Krankheitserregern. Es werden sämtliche Vorkehrungen getroffen, damit wir Spitalmitarbeitenden uns nicht anstecken. Ein Restrisiko bleibt immer. Aber das kennen viele Berufe. Würde ich auf dem Bau arbeiten, könnte ich jeden Tag vom Gerüst fallen», sagt er.
Seine Mutter und seine Schwester hätten hingegen keine Freude gehabt, als er ihnen von seinem Einsatz erzählte. «Sie meinten, ich sei von allen guten Geistern verlassen. Sie haben sich ziemlich erschrocken.» Hätte er denn überhaupt ablehnen können? Der Krankenpfleger nickt. Keine Sekunde habe er daran gedacht.
Maurice Humard kennt sich aus in der Welt der Altersheime, schon 25 Jahre ist er dabei, und immer ging es um das Wohl der Betagten. So schwierig wie in diesen Tagen war seine Aufgabe noch nie. «Es sind besondere Zeiten», sagt Humard, der im aargauischen Niederlenz das Alterszentrum leitet. Es ist ein heimeliger Ort, eigentlich, im Garten gibt es einen Weiher.
In den letzten Tagen aber musste Humard sein Alterszentrum in eine kleine Festung verwandeln. Es geht jetzt nur noch darum, den unsichtbaren Feind draussen zu halten: das Corona-Virus, das gerade für ältere Menschen so gefährlich ist.
Die Tür zum Alterszentrum, die sonst offen steht, hat Humard schliessen lassen. Auch das Restaurant ist zu. Besuche, so etwas wie das Lebenselixier der Bewohner, sind nur noch erlaubt, wenn es unbedingt notwendig ist. Humard lässt jetzt häufiger einen Film laufen, bietet zusätzliche Turnstunden und Gedächtnistrainings an. Und hofft, dass bald alles vorbei ist.
Es war Anfang Februar, als André Fischer, Basler Doktorand der pharmazeutischen Wissenschaften, die Nachricht las, dass die Struktur des Corona-Virus veröffentlicht worden war. Ihm war klar: Nun lassen sich Wirkstoffe suchen, die das Virus eindämmen. Mittels computergestützter Methode braucht es dafür nur die entsprechende Datenbank.
Fischer lud sie auf seinen Rechner und sprach mit seinen Kollegen an der Universität Basel über seine Idee. Fortan war der Schlaf Luxus und Kaffee ein treuer Begleiter.
Mit Manuel Sellner (Doktorand) und Santhosh Neranjan (Masterstudent) vergrub sich Fischer in die Daten. Sieben Tage die Woche, oft bis spät in die Nacht. Kamen sie aus dem Büro, setzten sie sich zu Hause wieder vor den Computer. Es kam vor, dass sie um drei Uhr morgens per Skype noch eine Frage klärten. «Wissenschaft ist unsere Passion. Wir sind froh, wenn wir einen Beitrag zur Eindämmung von Viren leisten können», sagt Fischer.
Die Forscher durchdrangen eine riesige Datenmenge: In etwas mehr als vier Wochen haben sie fast 680 Millionen verschiedene Substanzen per Computerscreening daraufhin analysiert, ob sie das zentrale Enzym des Virus blockieren können.
Die Basler Wissenschafter wurden fündig: Zumindest virtuell weisen elf Substanzen das Potenzial auf, das Virus zu blockieren. «Ob sich dies im menschlichen Körper bestätigt, muss sich noch zeigen. Dafür braucht es weiterführende Forschung: von Tests auf der Zellebene bis zu klinischen Studien», sagt Markus Lill, Forschungsgruppenleiter am Departement Pharmazeutische Wissenschaften der Uni Basel.
Das dauert. Dass in der aktuellen Pandemie ein neuartiges Medikament auf den Markt kommt, sei daher eher unrealistisch, sagt Lill. Die Resultate seiner Gruppe können jedoch Grundlagen für Medikamente gegen künftige Corona-Viren liefern. Und das interessiert: «Die Resonanz auf unsere Ergebnisse war überwältigend», sagt Lill. Wissenschafter weltweit interessieren sich für weiterführende Untersuchungen. Auch aus der Pharma-Branche kamen Anfragen, darunter ist auch eine chinesische Firma.
Die Arbeitstage von Daniela Maritz sind aktuell lang. Sehr lang. Das Telefon klingelt ständig, die Mailbox quillt über. Maritz ist eine der Fachexpertinnen für Infektionsprävention am Kantonsspital Baselland.
Ihr Team kümmert sich um die Spitalhygiene: Zu dritt überprüfen sie die Betreuung von isolierten Patienten und beantworten Fragen zur Ansteckungsgefahr und den entsprechend getroffenen Vorsichtsmassnahmen.
Seitdem das Corona-Virus das Baselbiet erreicht hat, bleibt die Routinearbeit von Daniela Maritz liegen. «Wir sind permanent dran, Ängste abzubauen und aufzuklären», sagt sie. Ängste unter Mitarbeitenden, unter Patienten, unter Angehörigen. Dazu kommen die zig Sachfragen: Wie entsorgt man den Abfall von Corona-Patienten? Welche Konzentration benötigt das Desinfektionsmittel für deren Zimmer?
«Es ist eindrücklich, wie Mitarbeitende aller Bereiche anpacken und was sie leisten. Von der Reinigung über die Logistik bis zum Restaurant.»
Als Aline Dobler ihre Lieferanten abtelefonierte und immer wieder hörte, «Wir haben nichts mehr», merkte die Leiterin des Operativen Einkaufs am Zürcher Stadtspital Triemli, dass die Corona-Krise auch ihre Abteilung erreicht hatte: Schutzkleidung und Hygienemasken waren plötzlich schwer zu kriegen.
Viele Lieferanten können nicht mehr liefern. Plötzlich braucht es mehrere Anfragen und viele Rückfragen und manchmal ist dann zumindest eine Teillieferung möglich. Aline Doblers Arbeitstage sind nun lang, doch sie beklagt sich nicht: Die Versorgung des Spitals habe Priorität.
«Ausgegangen ist uns zum Glück noch nichts, wir haben noch Lagerbestände. Sonst könnten wir nicht mehr arbeiten», sagt Aline Dobler. «Nun sind die Hygienemasken halt mal rosa statt hellblau, aber gleich gut.» Eher amüsant findet sie einige der vielen neuen Händler, die nun die Gunst der Stunde nutzen und dem Spital ebenfalls Ware verkaufen wollen, aber teilweise nicht mal die Mailadresse so buchstabieren können, dass Aline Dobler sie versteht.
Auch mit Zertifikaten, die nur auf Chinesisch geschrieben sind, kann sie nicht viel anfangen. Eine Prognose, was auf sie zukommt, wagt sie nicht. «Ich kann nicht sagen, ob bald die doppelte oder gar 10-fache Menge an Hygienematerial nötig sein wird.»
Wie alle muss sie jeden Morgen schauen, wie stark sich das Corona-Virus weiterverbreitet hat. Sie checkt intern die Lage und liest die Medien. «Es ist eine turbulente Zeit, aber auch spannend», sagt sie, «meine Arbeit ist jetzt nur begrenzt planbar, ich muss schauen, was der Tag bringt.»
Sie machen die Lebensmittelbestellungen für die Heimlieferservices der grossen Detailhändler parat und leisten eine Überstunde nach der anderen. Sie stehen als Sicherheitspersonal an vorderster Front vor den Spitälern und weisen die Patienten den Corona-Aufnahme-Containern zu.
Sie reinigen jede Ecke in den Patientenzimmern von möglichen Viren oder desinfizieren mitten in der Nacht SBB-Wagen.
Lageristen, Securityleute und Putzpersonal sind die stillsten und am schlechtesten bezahlten Helfer in der Corona-Krise. Doch keiner ihrer Arbeitgeber liess sie hier zu Wort kommen. Es hiess, man habe zu viel zu tun oder sei «bei diesem Thema grundsätzlich zurückhaltend».
Ich wünsche mir, dass die Notwendigkeit einer weltweit flächendeckenden Gesundheitsversorgung aus dem aktuellen Anlass, wo auch die Schweiz betroffen ist und die mediale Aufmerksamkeit so gross ist, einen nachhaltigen Effekt hat.